Erste Scene.

[297] Lady Suffolk. Sidney.


LADY SUFFOLK.

Welch eine Nacht war das! O theure Sidney!

Da liebst Johannen auch, du warest ihrer Kindheit.

Gespielin, auch dein Herz zerfliesst in Wehmuth!

Urtheile nun, aus dem, was du empfindest,

Vom Leiden einer Mutter! Einst die glücklichste

Von allen, preis' ich die jetzt selig, welche nie

Ihr neugebornes Kind an ihren Busen drückte,

Nie von des Säuglings holden Lippen

Den süssen Mutternahmen lallen hörte![297]

O Sidney! Was für eine Nacht war das!

Wie langsam schlichen, Schreckgespenstern gleich,

Die schwarzen Stunden neben mir vorüber!

Ich musste Sie verlassen. Meine Klagen,

Mein Ungestüm hätt' ihre sanfte Seele

Zu sehr verwundet. Ach! Ich musste sie

Verlassen – und, o Gott! in welcher Lage!

Nur diese Nacht, nur wenig Stunden trennten

Sie noch vom Tode! Wie zermarterten

Die grausamen Gedanken meine Seele!

Verzweifelnd, trostlos irrt ich in den Zimmern

Des einsamen Palasts umher, als wie

Von Furien gejagt – Ich klagt', ich schrie,

Ich winselte; dann schwieg ich halb entseelt,

Und sass verstummend da, und rang die müden Arme,

Und sah gen Himmel auf, und konnte nicht mehr weinen.

Bald wälzt ich mich im Staub, und flehte wimmernd

Der Engel Mitleid an; bald fordert' ich

Mit ungestüm vom Himmel Wunderwerke.

Dann, warf ich mich entkräftet von der Wuth

Der Schmerzen auf mein Lager, suchte Ruh,

Und seufzte, dass ich sie nicht finden konnte.[298]

Und da zuletzt der Schlummer sich mitleidig

Auf meine wunden Augenlieder senkte,

So störten Träume, – fürchterliche Träume,

Die kurze Ruhe – Doch was quäl' ich dich

Umsonst mit diesen Bildern – Sage mir,

O Sidney, sage mir, wie hat Johanna

Die Nacht durchlebt?

SIDNEY.

Wie eine, die den Tod

Für einen Engel hält, der sie ins bessre Leben

Hinüber tragen soll –

LADY SUFFOLK.

Solch eine Grösse wirkt in edeln Seelen

Der Christen Glaube! – Wie beschämt sie mich!

SIDNEY.

Zwar blieb ihr zärtlich Herz nicht immer in der gleichen

Erhabnen Fassung; nicht von sanften Klagen

Ihr Mund, ihr Auge nicht von Thränen leer!

Doch wars nur ihre Mutter, nur ihr Vater,

Nur Guilford, nur ihr Volk, um die sie klagte.

Als sie allein sich in dein Kerker sah,[299]

Den eine dunkle Lampe kaum ein wenig

Erheiterte, da sprach sie ernsthaft lächelnd:

O Sidney! Dieses Zimmer schickt sich besser

Zum Zustand meiner Seele, als die goldnen

Geschmückten Zimmer, die wir jüngst bewohnten.

Willkommen, Kerker! Und ihr schweren Fessel

Willkommen! Euch zu tragen, hat die Unschuld

Sich nie geschämt! – Jetzt sah sie schweigend nieder,

Und schien zu staunen. Endlich rief sie aus:

Und bin ich nun allein? – Wo ist mein Vater?

Wo ist mein Guilford? – Ach! Wie hart, wie grausam,

Im Tod uns noch zu trennen! – Doch Geduld!

Bald werden wir uns wieder sehn, um nimmer

Getrennt zu werden! – Da sie dieses sprach,

Fiel eine Thrän' aus ihren aufgehabnen

Stillheitern Augen. Lange schwieg sie drauf,

In himmlische Gedanken, wie es schien,

Vertieft, bis sie mich weinen sah. – Was weinst du,

Geliebte, sprach sie, weine nicht um mich!

Bald werd' ich glücklich seyn! Ihr, die ich hinter mir

Zurücke lasse, ihr verdienet mehr

Als ich beweint zu werden! Nur für euch[300]

Seufzt meine Seele! – Welche Prüfungen

Erwarten euch! Doch seyd getrost! der Himmel

Hat Allmacht, unsrer Schwäche Kraft zu geben.

In solchen Reden, deren süsser Ton

Mein Ohr noch jetzt umsäuselt, schlich

Sich eine Stunde nach der andern weg!

Zuletzt besuchte noch der letzte Schlummer

Den matten Leib. Sie lag und lächelte

Im sanften Schlaf, als schwebten himmlische Gesichte

Um ihren Geist –

LADY SUFFOLK.

O Sidney! Es ist Balsam

Für mein zerrissnes Herz in deiner rührenden

Erzählung – Mich verlangt, die Heilige zu sehen –

Sie ist es! Ja! Sie ist zu heilig, länger.

Die Tochter einer Sterblichen zu seyn!

Schläft sie noch, Sidney?

SIDNEY.

Sehet hier sie selbst!


Der mittlere Vorhang wird aufgezogen, und entdeckt das Gefängniss, worin sich Lady Johanna befindet.


Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Supplemente Band 4, Leipzig 1798, S. 297-301.
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