1.
Kleonidas an Aristipp.

Seit einiger Zeit befindet sich ein junger Perser Namens Arasambes hier, der großes Aufsehen macht. Er ist (um bei dem anzufangen, was zuerst in die Augen fällt) der schönste Mann, den ich noch gesehen habe, von hoher Geburt (seine Mutter war eine Schwester des letzten Königs) und, wie es scheint, Herr eines unermeßlichen Vermögens. Sein vor kurzem verstorbener Vater, welcher Statthalter von Syrien gewesen war und seinen Sohn zu einer Stelle bestimmte, wo (seiner Meinung nach) ein feineres politisches Verhältniß gegen die vornehmsten Griechischen Freistaaten dem Dienst des großen Königs nützlich seyn könnte, hatte ihn zu diesem Ende schon in der ersten Jugend zu Sardes1 und Ephesus nach Griechischer Art erziehen lassen. Er spricht unsre Sprache sehr geläufig, kennt unsere Dichter, und in Uebungen, die sich für eine Person seines Standes schicken, thut es ihm hier keiner zuvor. Er verbindet morgenländische Prachtliebe mit Griechischem Geschmack, hat die schönsten Pferde, die jemals in Ionien gesehen wurden, und macht sich den Milesiern[1] durch die funkelnden Dariken, die er in Umlauf bringt, nicht wenig beliebt.

Du erräthst leicht, Aristipp, was dir alle diese Vorboten ankündigen. Wie hätte ein so verzärtelter Günstling der Götter gegen die Reize des schönsten Weibes unserer Zeit gleichgültig bleiben können? Es scheint vielmehr, Eros, der sich nicht immer an ungleichen und widersinnischen Verbindungen belustigt, habe ihn geflissentlich nach Milet geführt, damit er die Einzige fände, die ihn selbst zweifelhaft machen kann ob er ihrer Liebe würdig sey. Kurz, Arasambes liegt, mit adamantenen Ketten2 gebunden, zu den Füßen der schönen Lais, und erwartet von ihren Lippen die Entscheidung, »ob er der glücklichste oder der elendeste aller Sterblichen seyn soll.« Sie scheint noch unentschlossen, wiewohl ich es für unmöglich halte, daß sie von so vielen Vorzügen und Versuchungen nicht endlich überwältiget werden sollte. Aber das wunderbare Weib behält immer so viel Herrschaft über sich selbst, daß es noch keinem gelungen ist, ihre schwache Seite ausfindig zu machen; und wenn sie seiner Leidenschaft endlich nachgibt, so geschieht es gewiß nicht anders, als mit Vorbehalt ihrer Freiheit, die ihr, wie sie sagt, um den Thron des großen Königs selbst nicht feil wäre. Auch kennt Arasambes sie schon zu gut, um sich von den reichen Geschenken, womit er sie überhäuft, viele Wirkung zu versprechen; und damit man sehe, daß er selbst keinen Werth darauf lege, schenkt er einen Perlenschmuck, der zwanzig Attische Talente3 werth ist, mit einer Miene weg, als ob es eine vergoldete Haarnadel wäre, und bloß dadurch zu etwas werde, wenn sie es anzunehmen[2] würdige; aber er treibt es in dieser großen Manier so weit, daß unsre Freundin für nöthig hielt, ihm zu erklären, daß sie unter keiner Bedingung weder kleine noch große Geschenke mehr von ihm annehmen würde. Du weißt, in welchem Grade die Zauberin es in ihrer Gewalt hat, selbst dem Verwegensten diese Art von zurückschauernder Ehrfurcht zu gebieten, wovon man beim Eintritt in das heilige Dunkel eines berühmten Tempels oder Hains unfreiwillig befallen wird. Arasambes, der sie wirklich bis zur Anbetung liebt, fühlt sich durch diese abergläubische Scheu noch mehr als andre durchdrungen, und bedarf daher eines Vertrauten um so mehr, da die ungewohnte Zurückhaltung seiner Leidenschaft ein peinlicher Zustand ist, den er nicht sehr lange ausdauern könnte. Dieser Vertraute, mein Freund – bin ich selbst, und höre, wie ich dazu gekommen bin. Bald nach meiner Zurückkunft nach Milet gerieth ich auf den Einfall, das berühmte allegorische Mährchen vom Prodikus, den Hercules auf dem Scheidewege, in zwei Seitenstücken zu malen; so daß Lais in dem einen die Tugend, in dem andern die Wollust vorstellt, und (wie du bereits errathen hast) der junge Göttersohn im einen der Erstern, im andern ihrer reizenden Gegnerin die Hand reicht. Ich arbeitete mit Liebe an diesen Bildern, aber so geheim, daß sogar Musarion nichts davon gewahr ward. Als sie vollendet waren, fügte sich's, daß mein Perser (der schon vorher eine besondere Zuneigung auf mich geworfen hatte, und die Kunst liebt) in meine Werkstatt kam, und über die beiden Bilder in ein solches Entzücken gerieth, daß ich mich genöthigt sah, sie ihm zu überlassen,[3] nachdem ich ihn mit vieler Mühe dahin gebracht, von der Hälfte des Preises, den er selbst darauf setzte, abzustehen. Von dieser Zeit an hat er mich zum Vertrauten und Vermittler seiner Leidenschaft gemacht, und da Tyche4 in ihrer freigebigsten Laune unsrer verschwenderischen Freundin nichts Angemess'neres hätte zuschicken können als einen solchen Liebhaber; so hoffe ich mein Geschäft zu beider Theile Zufriedenheit bald und glücklich zu Ende zu bringen.

Wenn ich mich nicht sehr an dir irre, lieber Aristipp, so wirst du dich in dieß alles wie ein weiser Mann fügen, und mit einer Freundschaft, die dir immer ein beneidenswerthes Vorrecht vorbehalten wird, sehr wohl vorlieb nehmen können.

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Band 23, Leipzig 1839, S. 1-4.
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