47.
Lais an Musarion.

[333] Du schreibst schöner, liebe Musarion, als du dir's einbildest. Lysias und Isokrates hätten mich mit aller ihrer Beredsamkeit nicht so gut überzeugen können, daß du glücklich bist, als ich es fühle, indem ich deinen Brief lese, wiewohl darin beinahe gar nicht von dir selbst die Rede ist. Du, meine Musarion, du, die ich immer wie meine leibliche Schwester liebte, und, wie schmerzlich mir auch unsere Trennung war, nur darum bis nach Cyrene von mir ziehen ließ, weil ich glaubte, daß du mit keinem andern Manne glücklicher seyn könntest als mit Kleonidas, du bist was ich wollte daß du seyn solltest; Kleonidas und Aristipp sind es nicht weniger; und wohl mir, daß die Götter, die mich unfähig machten in mir selbst glücklich zu seyn, mir zum Ersatz die Freude an der Glückseligkeit meiner Freunde gaben!

Ich kenne keinen Mann, den ich mehr hätte lieben können als Aristippen, wenn ich dieser Liebe, die du so schön beschreibst, die nicht wie Liebe aussieht und doch so sehr Liebe ist, fähig genug wäre, um das für ihn zu seyn was ihm Kleone unfehlbar seyn wird. Es wäre eine lächerliche Demuth, wenn ich läugnen woll te, daß ich die Kunst, glücklich zu machen welchen[333] ich will, ziemlich gut verstehe, und daß die Natur mich an den meisten Gaben, die dazu nöthig sind, nicht verkürzt hat; auch gestehe ich, das Vergnügen einen Mann, der es werth ist, durch mich glücklich zu sehen, kann mich auf kurze Zeit in die angenehme Täuschung versetzen, als ob ich es gleichfalls sey. Aber daß beides, das Glück das ich gebe, und was ich dagegen zu empfangen scheine, im Grunde bloße Täuschung ist, davon sind die wenigen, mit denen ich bisher den Versuch gemacht habe, so gut überzeugt als ich selbst. Ich muß wohl niemands Hälfte seyn; wenigstens hab' ich den Mann noch nicht gesehen, mit dem ich mir eine Verbindung auf immer einzugehen getraute, ohne seine und meine Ruhe aufs Spiel zu setzen. Dieß wird und muß euch andern wackern Hausfrauen unnatürlich vorkommen; aber es ist nun einmal so mit mir, und ich kann nicht wünschen daß es anders sey. Die Natur, die wie eine gute Mutter dafür sorgt, daß keines ihrer Kinder gegen die andern gar zu sehr zu kurz komme, hat es so eingerichtet, daß, wiewohl die Menschen immer klagen und es gern besser hätten, doch niemand sein Ich mit dem eines andern vertauschen möchte. So geht es auch mir; da ich einmal Lais bin, so ergeb' ich mich mit guter Art darein, und danke Kleonen, daß sie mir die Sorge, in meinem Freund Aristipp den glücklichsten aller Männer zu sehen, abgenommen hat. Er verdient es zu seyn, er ist fähig es zu werden, und daß es ihr gelingen wird, hab' ich von der Stunde an nicht bezweifelt, da ich ihr Bildniß bei Learchen sah; denn ich erkannte auf den ersten Blick Aristipps Hälfte in ihr.[334]

Ich werde nicht von Learchen ablassen, bis er mir, um welchen Preis es sey, eine Copei von diesem Bilde schafft, die ich, dem Recht der Wiedervergeltung gemäß, in meinem Cabinet aufstellen kann. Indessen bitte ich sie und dich, liebe Musarion, das Kistchen, so dir mit diesem Briefe zukommen wird, und seinen Inhalt, aus der Hand einer Freundin mit Freundschaft anzunehmen. Ihr werdet ein wenig erschrecken; aber ich bin so reich an solchem Spielzeug, daß ihr euch des Werthes halben kein Bedenken machen müßt. Die Perlen sind an Wasser, Größe und Rundung eine wie die andere; ihr braucht sie also bloß zu zählen, um euch schwesterlich darein zu theilen. Wem das Kistchen bleiben soll, laßt gerad oder ungerad entscheiden.

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Band 23, Leipzig 1839, S. 333-335.
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