48.
Aristipp an Eurybates.

[335] Mir kommt wohl, lieber Eurybates, daß ich nicht so starkglaubig bin als der weise und tapfere Xenophon; denn, trotz meinem erklärten Unglauben an Zeichen und Wunderdinge, Dämonen, Empusen und an die Gottheit des Nordwindes, wandelt mich doch zuweilen eine Versuchung an, die Hälfte meiner Habe ins Meer zu werfen, um die griesgrämische Göttin Ate zu versöhnen, die nicht leiden kann wenn ein Sterblicher gar zu glücklich ist. Wirklich scheint es, die Götter wollen mich auf die Probe stellen, ob ich Stärke genug habe,[335] bei so vielen Versuchungen zu Ueppigkeit und Uebermuth der Sokratischen Sophrosyne getreu zu bleiben, und im Genuß des Guten, womit sie mich überschüttet haben, mein Gemüth frei genug zu erhalten, um nicht aus der gehörigen Fassung zu kommen, wenn sich's etwa einst an einem grauen Morgen finden sollte, daß alles, wie ein Zaubergastmahl, wieder verschwunden wäre. – Doch, dieser Gedanke selbst sieht mir so ziemlich einer Eingebung der schelsüchtigen Göttin gleich. Denn was für eine Weisheit wäre das, die ihr Gefühl für das gegenwärtige Gute abstumpfen müßte, um sich zum voraus gegen künftige Uebel unempfindlich zu machen! Die meinige ist die Kunst in guten und bösen Tagen meines Daseyns so froh zu werden, und so wenig zu leiden, als mir möglich ist. Ich betrachte Vergnügen und Schmerz als einen von der Natur gegebenen rohen Stoff, den ich zu bearbeiten habe; die Kunst ist, jenem die schönste, diesem die erträglichste Form zu geben; jenes zu reinigen, zu veredeln, zu erhöhen; diesen, wenn er nicht gänzlich zu stillen ist, wenigstens zu besänftigen, ja (was in manchen Fällen angeht) sogar zu Vergnügen umzuschaffen.

Antipater hat dich ohne Zweifel schon benachrichtigst, daß ich durch meine Vermählung mit der Schwester meines Freundes Kleonidas meinem neuen Bürgerleben in Cyrene die Krone aufgesetzt habe. Ich hätte große Lust dir recht viel davon zu sagen, wie glücklich mich diese Verbindung macht; aber mir ist, mein Dämonion zupfe mich beim Ohr und flüstre mir zu: ein Mann, der eine Art von Liebhaber seines Weibes ist, müsse der Versuchung von ihr zu reden mit allen Kräften[336] widerstehen, weil er immer Gefahr läuft, aus Furcht zu wenig zu sagen, mehr zu sagen als einem weisen Manne ziemt. Auf alle Fälle kann es niemand leichter seyn, sich an meinen Platz zu stellen, als dir, der so gut aus eigener Erfahrung weiß, was häusliche Glückseligkeit ist.

Ein Großes trägt zu Erhöhung der meinigen die schöne Harmonie und Herzlichkeit bei, die zwischen mir, meinen Brüdern Aristagoras und Kleonidas, und zwischen unsern Hausfrauen herrscht, welche letztern sämmtlich eine starke Ausnahme von dem harten Urtheil verdienen, das unsre Freundin Lais über die Griechischen Matronen zu fällen pflegt. In der That machen wir nur eine einzige Familie aus, und außer den Tagen, wo wir uns den Einladungen zu großen Gastmählern nicht entziehen können oder selbst dergleichen geben, bringen wir die Abende meistens unter uns, bald bei meinem Bruder, bald bei mir oder Kleonidas zu; und ein Fremder muß sehr hoch in unsrer Gunst stehen, der zu diesen traulichen Symposien zugelassen wird. Bei diesen letztern sind die Frauen immer gegenwärtig; ohne sie würden wir nur mit halbem Muthe fröhlich seyn können; denn sie sind uns so unentbehrlich als Pindars Grazien den Göttern; nichts däucht uns wohlgethan, was nicht durch ihre Hände geht, nichts angenehm, woran sie nicht Theil nehmen. Die Cyrenische Sitte, welche den Frauen mehr Freiheit zugesteht als die eurige, und sie von keiner Gesellschaft unter Verwandten und Freunden ausschließt, kommt uns zwar hierin zu Statten; wir würden es aber, wenigstens unter uns, zur Sitte machen, wenn es nicht schon etwas Gewöhnliches wäre.[337]

Ueberhaupt kenne ich, Milet vielleicht allein ausgenommen, keine Griechische Stadt, worin man so ruhig, zwangfrei und behäglich leben könnte als in Cyrene, seitdem die neue Verfassung Wurzel geschlagen, und alles Unkraut des Mißtrauens und des Parteigeistes, vor welchem ehmals nichts Gutes bei uns aufkommen konnte, in kurzer Zeit gänzlich erstickt hat. Die Cyrener, wenn sie nicht von irgend einem bösen Dämon aus ihrem natürlichen Charakter herausgeworfen werden, sind ein fröhliches, gutartiges Volk; und daß es ihnen an Kunstfleiß und Betriebsamkeit nicht fehlt, zeigt der blühende Zustand der Fabriken, der Handelschaft und Schifffahrt, welche seit einigen Jahren in immer steigendem Aufnehmen sind, wiewohl wir hierin immer hinter Korinth, Syrakus, Milet und Rhodus zurückbleiben werden. Meine Mitbürger scheinen diesen Nachstand ohne Eifersucht anzusehen; dafür aber würden sie sich sehr beschämt finden, wenn sie in der Kunst gut zu essen und überhaupt in allem, was zum Gemächlichleben und zur angenehmsten Befriedigung der Sinnlichkeit dient, von irgend einem Volke übertroffen würden. Sie nennen dieß gut leben, und gehen darin von dem Grundsatz aus: das menschliche Leben sey so kurz und ungewiß, daß es große Thorheit wäre, sich den gegenwärtigen möglichsten Genuß desselben zu entziehen, um desto mehr Vorrath für eine Zukunft aufzuhäufen, die der Sparer und Sammler vielleicht nie erleben werde. Diesem zufolge setzen sich die meisten, sobald sie durch Erwerb oder gutes Glück zu Vermögen gekommen sind, auf den Fuß von ihren Renten zu leben, oder doch ihr Gewerbe nur so weit fortzuführen, daß sie von dem Ertrag[338] gemächlich und angenehm leben können, und glauben alles gethan zu haben, wenn sie sich so weit einschränken daß sie nicht merklich ärmer werden. Häufige Erfahrungen sollten sie längst belehrt haben, daß dieß eben der geradeste Weg immer ärmer zu werden sey: aber der Cyrener (ich rede von den meisten) hat über diesen Punkt weder Augen noch Ohren, so stark scheint der Einfluß unsers üppigen, zu Trägheit und Wollust geneigt machenden Himmelsstrichs zu seyn, von welchem es schwer und vielleicht unmöglich ist, sich gänzlich frei zu erhalten. Ich finde daher an unsrer dermaligen Regierung lobenswürdig, daß sie diesen Temperamentsfehler unsers Volkes nicht bloß durch vielfältige Aufmunterungen des Fleißes und Unternehmungsgeistes zu verbessern sucht, sondern sich auch angelegen seyn läßt, den Geschmack unsrer Bürger zu veredeln, und ihnen neue und reinere Quellen des Vergnügens zu eröffnen, als sie bisher gekannt hatten. Ich wurde bei meiner Hierherkunft nicht wenig überrascht (denn Kleonidas hatte mir absichtlich ein Geheimniß daraus gemacht), ein Theater und ein Odeon in Cyrene zu finden, und beide schon so wohl eingerichtet, daß (mit deiner Erlaubniß, Eurybates!) Athen selbst kaum bessere Schauspieler, Sänger und andre Tonkünstler aufzuweisen hat. Das letztere haben wir dem Eifer zu danken, womit Kleonidas (dem die Aufsicht über diese neuen Stiftungen aufgetragen ist) seit einigen Jahren sich bemüht hat, geschickte Künstler in beiden Fächern aus dem Asiatischen Griechenlande nach Cyrene zu locken. Die Musik, in der weitesten Bedeutung des Wortes, ist nun auch bei uns ein wesentlicher Theil der Erziehung der Kinder, und unsre Cyrener[339] gewinnen unvermerkt allen Musenkünsten immer mehr Geschmack ab. Man hört schon in mehrern reichen Häusern bei großen Gastmählern, statt bezahlter Lustigmacher, einen geschickten Zögling des berühmten Ions Homerische Rhapsodien singen, und mein Bruder thut sich nicht wenig darauf zu gut, den besten Vorleser in ganz Cyrene in seinen Diensten zu haben.

Ich traue dir zu viel Weltbürgersinn zu, mein edler Freund, als daß ich besorgen sollte, du werdest ein »Attisches Gesicht« dazu machen, daß Cyrene, die an Größe und Bevölkerung der weltgepriesenen Minervenstadt wenig nachgibt, sich zu beeifern anfängt, ihr auch in der Liebe zu den Künsten die das Leben verschönern, wiewohl noch mit ungleichen Schritten, nachzufolgen. Unser Staat ist nicht so reich als der eurige; wir haben keine Inseln, die uns das eiserne Capital eines drückenden Schutzes mit zwölfhundert Talenten jährlich verzinsen müssen143, und keinen Schatz zu Delos144, den wir angreifen könnten, um unsre Stadt zu verschönern, und unsre Bürger durch prächtige Feste und kostbare Lustbarkeiten bei guter Laune zu erhalten. Unsre Republik hat sich also begnügt, die beiden öffentlichen Gebäude, worin die Musen ihr Wesen bei uns haben, aufführen zu lassen, und jährliche Preise für diejenigen zu stiften, denen die öffentliche Meinung in den Wettstreiten, wozu am Feste der Cyrene145 die verschiedenen Musenkünstler zusammen kommen, den Sieg zuerkannt hat. Alle Unkosten unsrer Schauspiele hingegen werden mittelst einer mäßigen Abgabe, die von den Zuschauern erhoben wird, bestritten. Denn anstatt den Bürgern das Schauspielgeld aus dem öffentlichen[340] Schatze zu reichen, wie bei euch, finden wir billig, daß wer an dergleichen Unterhaltungen Antheil haben will, auch das Seinige zu ihrer Unterstützung beitrage.

Daß wir, seitdem wir ein Theater und ein Odeon besitzen, gute Hoffnung haben, auch Dichter und Dichterlinge aus unserm eigenen Grund und Boden aufschießen zu sehen, wirst du sehr natürlich finden. Die ersten Versuche, die von zwei oder drei jungen Cyrenern in der tragischen Kunst gemacht worden sind, haben freilich die Tragödien von Sophokles, Euripides und Agathon noch nicht entbehrlich machen können: aber in der Komödie hat sich Kleonidas mit gegründetem Beifall versucht, und (wenn mich meine Liebe zu ihm nicht sehr verblendet) Aristophanischen Witz mit der Sittlichkeit der Komödien des Epicharmus zu verbinden gewußt.

Die Komödien euers Kratinus, Eupolis und Aristophanes sind so sehr für Athen und die niedrigsten Classen euers suveränen Pöbels, und überdieß größtentheils für die Zeitpunkte ihrer Aufführung berechnet, daß sie, wofern auch sonst nichts Erhebliches gegen sie einzuwenden wäre, dennoch bloß aus der Ursache, weil sie unserm Volk unverständlich seyn würden, nicht auf unsern Schauplatz gebracht werden könnten. Jedes Volk, das Komödien haben will, muß seine eigenen haben. Die eurigen passen sehr gut für Athen, aber auch nur für Athen, und sogar nur für Athen wie es in den vierzig Jahren zwischen der sechsundachtzigsten und sechsundneunzigsten Olympiade war. Wir haben keinen Demos, keinen Senat, keine Volksredner und Kriegsobersten, die man lächerlich machen könnte; unser Volk nimmt keinen unmittelbaren Antheil an der Regierung,[341] und hat Ursache mit seinen Vorstehern zufrieden zu seyn; und wenn diese auch der satyrischen Geißel einige Blößen gäben, so würde keinem komischen Dichter gestattet werden, sich öffentlich und in Einer Person zu ihrem Ankläger, Richter und Büttel aufzuwerfen. Eine Demokratie, wie die eurige war, kann ihre Ursachen gehabt haben, den Komödienschreibern eine Art von stillschweigender Vollmacht zu Handhabung einer beinahe unumschränkten Censur zu ertheilen; und eure Regierung hatte die ihrigen, sich, so lange sie es nicht ändern konnte, leidentlich dabei zu verhalten; aber diese Ursachen konnten nur im Attischen Athen stattfinden, und haben auch dort zum Theil bereits aufgehört. Wir Cyrener werden also entweder ohne Komödie bleiben, oder uns, wie gesagt, eine eigene erschaffen müssen. Das letztere wird nicht schwer seyn; denn sobald man der Komödie, statt des Lachens und Spottens über die Regierung und über einzelne Personen, andere zu einer öffentlichen angenehmen Volksunterhaltung passende Zwecke gibt, so lassen sich zwischen der Tragödie des Sophokles und der Komödie des Aristophanes, zwischen dem Oedipus und Philoktet des erstern, und den Rittern und der Lysistrata des andern, mehrere Gattungen von Schauspielen denken; und wenn auch Scherz und Lachen die Hauptwirkung der Komödie bleiben soll, so braucht sie sich nur, mit Verzichtthuung auf alle persönliche Satyre, auf sinnreiche und lebhafte Darstellung allgemeiner lächerlicher Charaktere einzuschränken, um eine neue Gattung hervorzubringen, welche gewiß Beifall erlangen und vielleicht nicht ohne Nutzen seyn würde. Ich zweifle nicht, daß die Zeit im Anzug ist, wo Athen, die noch immer in allen Arten von[342] Kunstwerken die ersten und vollkommensten Muster aufgestellt hat, auch in dieser Gattung den Ton angeben, und die Scene mit lebendigen Sittengemälden beschenken wird, an welchen auch unsre Frauen Gefallen finden können. Denn in Cyrene sind die Frauen von Besuchung der Schauspiele nicht ausgeschlossen146 wie bei euch; und dieß ist ein wesentlicher Grund mehr, warum unsre Komödie ohne Vergleichung bescheidener und anständiger als die eurige seyn muß; ja warum selbst die Tragödie sich unvermerkt in einen mildern Ton herabstimmen, und, ohne dem Wesentlichen ihres Charakters zu entsagen, mehr sanfte Rührungen, süße Wehmuth und zärtliches Mitgefühl als Schrecken, Entsetzen und peinliches Mitleiden zu erregen suchen wird.

Da dieser Brief bestimmt ist, dir einen genugthuenden Bericht über meine dermalige Lage und Lebensweise zu geben, so erwartest du vermuthlich, daß ich dir auch ein Wort von den staatsbürgerlichen Obliegenheiten sage, durch welche meine weltbürgerliche Freiheit vielleicht enger eingeschränkt werden könnte, als sie in die Länge zu ertragen geneigt seyn möchte. Zu gutem Glück kommt meiner politischen Trägheit ein altes Gesetz zu Statten, vermöge dessen zwei Brüder niemals weder im Senat noch andern höhern Stellen, zu gleicher Zeit Sitz haben können. Dagegen gibt es mancherlei mehr und weniger bedeutende, mit der innern Polizei der Stadt beschäftigte Aemter und Aemtchen, denen wohlhabende Bürger, wenn die Reihe an sie kommt, sich nicht entziehen dürfen, zumal da diese Ehrenstellen mit keinem Einkommen verbunden und von eingeschränkter Dauer sind. – Aemter dieser Art werde ich,[343] ihrer vielfältigen Unannehmlichkeiten ungeachtet, desto williger übernehmen, da sie, um wohl verwaltet zu werden, Uneigennützigkeit, Besonnenheit und Geschicklichkeit die Menschen verständig zu behandeln voraussetzen, und andern hierin ein Beispiel zu geben von gutem Nutzen seyn kann.

Uebrigens bin ich der Meinung, daß in jedem großen oder kleinen Staat ein Bürger aus derjenigen Classe, zu welcher ich in Cyrene gehöre, sich um das Gemeinwesen schon verdient genug mache, wenn er seinem Hause wohl vorsteht, seine Güter zu verbessern und zu verschönern sucht, Künste und Gewerbe durch einen nicht unbescheidenen, aber seinem Vermögen angemessenen Aufwand unterhalten und beleben hilft, und durch eine edle Gastfreiheit seiner Stadt auch im Auslande Ehre macht.

Noch ein kleines Verdienst hoffe ich mir um Cyrene dadurch erworben zu haben, daß ich ein zu meinem Gute gehöriges Lustwäldchen, das mit Schattengängen und Lauben, und einem Saal mit einer bedeckten Halle versehen ist, den Musen geheiligt, und zu einer Art von öffentlichem Versammlungsort für Gelehrte und Künstler bestimmt habe, wo auch bloße Liebhaber von Wissenschaft und Kunst, Fremde, und überhaupt alle rechtlichen Leute den Zutritt haben. Die Halle ist mit Gemälden und Bildsäulen, der Saal mit Bücherschränken versehen, wo keines der Werke der Griechischen Dichter, Geschichtschreiber und übrigen Schriftsteller, die in einigem Ruf stehen, leicht vermißt werden soll. Beide sind täglich zu gewissen Stunden offen, und einer meiner Hausgenossen ist immer gegenwärtig, um den Liebhabern die Bücher, worin sie lesen[344] wollen, hervorzulangen, und wenn der Saal geschlossen wird, wieder an ihren Ort zu legen. Dieses Museon kostet mich vielleicht den vierten Theil des baaren Geldes, das mein Oheim mir hinterlassen hat: aber wer mit so weniger Mühe zu einem beträchtlichen Vermögen kommt, hat, meiner Meinung nach, eine besondere Obliegenheit auf sich, es auf eine edle und gemeinnützliche Art zu verwenden.

Auf den Fall, lieber Eurybates, daß dir dieser vielleicht allzu weitläufige Bericht über einen so wenig bedeutenden Gegenstand, als mein kleines Cyrenisches Ich ist, etwas lange Weile gemacht haben sollte, ist es nicht mehr als billig, daß ich dich mit einer kurzweiligen Zugabe dafür entschädige.

Hättest du dir wohl einfallen lassen, daß der Abderit Onokradias (der zu unvergeßlich ist, als daß du dich nicht erinnern solltest, ihn mehrmals bei mir und bei dir selbst gesehen zu haben) meiner Person einen so großen Geschmack abgewonnen haben könnte, um mich bis in Cyrene aufzusuchen? Das Eigentliche an der Sache ist: daß er, da er jetzt auf seiner großen Reise begriffen ist, und, von Aegypten aus, den Tempel des Jupiter Ammon besucht hat, »nicht umhin konnte (wie er sagt) einen Abstecher nach Cyrene zu machen, um seinen Freund und Gönner Aristipp zu besuchen,« und ihm seine Dankbarkeit dafür zu bezeugen, daß er ihn zu Athen – seinen Tischgesellschaftern so oft zum Besten gab. Dem sey wie ihm wolle, genug, an einem schönen Morgen, da ich mich eher alles andern versehen hätte, kommt der hoffnungsvolle Sohn Onolaus des Zweiten auf mich zugerennt, und erdrückt mich beinahe in seinen Herculischen Armen. Es gab (wie du[345] denken kannst) eine rührende Erkennungsscene, die noch rührender gewesen wäre, wenn sie nicht so nah ans Lächerliche gegränzt hätte. Es versteht sich, daß ich ihn sogleich in mein Haus führte, und daß von Stund' an eine ewige Gastfreundschaft zwischen mir und meiner Nachkommenschaft und den edeln Sprößlingen des Onogelastischen Geschlechtes in allen seinen Aesten und Zweigen errichtet wurde. Der gute Mensch konnte sich, als ich ihn Kleonen vorstellte, nicht genug verwundern, wie ich zu einer so schönen Frau gekommen sey, und schwur bei Latona und Jasons goldnem Hammelsfell, daß er, wenn ihm ein Mädchen mit so blauen Augen und so schwarzen Wimpern in den Wurf kommen sollte, sie stehendes Fußes heirathen werde, wenn sie gleich nichts als das Hemd auf dem Leibe hätte. – Du glaubst nicht was für Glück die genialische Albernheit dieses jungen Abderiten in Cyrene macht. Er erhält so viele Einladungen, daß er kaum den zehnten Theil bestreiten kann; und ich glaube wir hätten ihn noch lang' am Halse, wenn er die Geschichte seines Stammvaters Onogelastes und des feigenschmausenden Esels nicht gar zu oft erzählen müßte. Uebrigens gefall' es ihm (sagt er) in Cyrene so wohl, daß er oft mitten in Abdera zu seyn glaube. Alles was er bei uns sieht, haben sie in Abdera auch; ein solches Odeon, ein solches Theater, solche Bäder, solche öffentliche Gesellschaftssäle; ihr Jasontempel hat sogar noch zwei Säulen auf der Giebelseite mehr als unser Tempel des Apollo. Nur ihr neues Theater, das muß er gestehen, ist nicht völlig so schön als das unsrige, und, die Sache rund herauszusagen, etwas eng und unbequem. Aber das Cyrenische, meint er,[346] müßte auch ohne Vergleichung mehr gekostet haben: das ihrige wäre der Republik nicht viel über hundertundzwanzig Talente zu stehen gekommen. Man sagte ihm: er hätte sich sehr geirrt; das unsrige koste kaum den dritten Theil dieser Summe; denn wir hätten die Steine dazu aus unsern eigenen Marmorbrüchen gezogen. – »Das ist freilich ein anders, versetzte der Abderit; die Pfeiler und Säulen des unsrigen sind nur von Backsteinen und wie bunter Marmor angestrichen; aber für das, was sie gekostet haben, könnten sie von Jaspis seyn. Ihr wundert euch wie das möglich war? Es ging ganz natürlich zu. Wir Abderiten haben's nun einmal in der Art, daß wir etwas rasch im Denken und Handeln zu Werke gehen; einem Dinge lange nachzusinnen, oder es auf alle Seiten herumzukehren, ist unsre Sache nicht. Der Entwurf wurde gemacht, dem Senat vorgelegt, angenommen, Hand angelegt; alles in Einem Zug. Wie das Werk nahezu halb fertig war, bemerkte jemand, daß es sich auf der einen Seite senke; die Sache wurde untersucht; es mußte ein neuer Grund gelegt werden. Die bisherige Arbeit war größtentheils vergeblich; aber wir dankten den Göttern, daß der Fehler noch in Zeiten entdeckt worden war, und das Werk ging wieder hurtig von der Hand. Nach einer Weile kam einem unsrer Ober-Bauherren ein Gedanke, wie dieß und jenes zierlicher und geschmackvoller seyn könnte. Flugs wurde wieder eingerissen und verändert. Aber andre Leute hatten auch Einfälle und Geschmack, und hatten zu Athen und Korinth und Syrakus und Milet und Samos und Mitylene und allenthalben Theater gesehen, und jeder wollte das Seinige zu einem Bau,[347] wovon Abdera Ehre haben sollte, beitragen. So war denn immer etwas zu tadeln und anders zu machen. Bald mußte die Orchestra erhöht, bald die Vorbühne erweitert werden; bald war der Raum für die Chöre zu klein, bald fehlte es an etwas anderm. Die Säulen waren erst Ionisch, und mußten nach Jahr und Tag mit großer Mühe und Arbeit in Korinthische verwandelt werden. Das alles förderte nun das Werk nicht sonderlich; indessen wer immer zwei Schritte vorwärts gegen Einen rückwärts macht, kommt zuletzt doch ans Ziel. Kurz und gut, der Bau wurde fertig, und es war großer Jubel in ganz Abdera, und anstatt zu klagen daß er so viel kostete, thaten sich unsre Bürger viel darauf zu gute; denn (ohne uns zu rühmen) was unsrer Stadt Ehre macht, ist uns nie zu theuer. Wir hatten für unsre hundertundzwanzig Talente ein neues Theater, das sich sehen lassen durfte; nur Schade, daß sich's erst bei der Einweihung zeigte, daß die Stufensitze um funfzehn bis zwanzig Ellen höher und weiter hätten seyn sollen; denn wir saßen so zusammengedrängt wie die Salzfische in einer Byzantinischen Tonne. Es kommt nur auf eine kleine Gewohnheit an, sagte der Nomophylax, der die Oberaufsicht über den Bau gehabt hatte; und so war es auch: in kurzem beklagte sich kein Mensch mehr, und wir saßen doch nicht bequemer als das erstemal.« – Der ehrliche Onokradias lachte herzlich mit, wie er sah, daß wir uns nicht länger halten konnten in ein lautes Lachen auszubersten. »Es ist wirklich lustig, fuhr er fort, zumal wenn man bedenkt, wie viele kluge Köpfe zur Sache zu reden hatten, und wie viele Sitzungen die armen Bauaufseher, in den sechs Jahren[348] daß am Theater gebaut wurde, halten mußten! Man kann sich vorstellen, ob die Herren fleißig genug zusammen kamen, da über dreihundert Eimer Thasierwein nach und nach dabei geleert wurden. Denn daß die Herren hätten trocken sitzen sollen, war ihnen doch nicht zuzumuthen. Aber freilich, wenn man's sagen dürfte, da liegt eben der Hund begraben! Viele Köche versalzen den Brei; um sich nicht zu zanken, trinkt man; da wird man denn bald einig, und der Ausführung halber verläßt sich einer auf den andern. Wir Abderiten haben das so in der Art; unser Gemeinwesen ist nie schlechter berathen als wenn wir alle Einer Meinung sind.«

Die treuherzige Unbefangenheit, womit der ehrliche Abderit sich selbst und seine Mitbürger auf diese Weise zum Besten gibt, macht daß man ihm mit aller seiner albernen Geschwätzigkeit gut seyn muß; denn er ist die wohlmeinendste Seele von der Welt. Zu allem Glück ist er reich, und so kann man sich unbedenklich an ihm belustigen; hätte das Glück weniger dafür gesorgt, daß er unsers Mitleidens nicht bedarf, so wär' es grausam über ihn zu lachen. Er hat nun in Cyrene die mittägliche Gränze der Griechischen Sprache erreicht, und ist im Begriff nach Sicilien abzusegeln, von da aus das südliche Italien zu bereisen, und dann in seine liebe Vaterstadt zurückzukehren; ungefähr so klug als er ausgezogen war, aber so reich an Dingen die er gesehen und gehört hat, daß er seinen Abderiten sechzig Jahre lang genug zu erzählen haben wird. Er verläßt sich darauf (und ich stehe ihm dafür) daß seine Mitbürger große Freude an ihm haben werden; »denn eine Reise wie die meinige (sagt er) hat, außer dem[349] närrischen Philosophen Demokritus, noch kein Abderit gemacht.« Sollt' ich ihm in drei oder vier Olympiaden seinen Besuch zurückgeben, so bin ich gewiß, ihn an der Spitze seiner Republik zu finden; und die Götter mögen wissen, ob ihre Sachen darum schlimmer oder besser gehen werden!

Speusipp schreibt mir: seitdem ich Athen auf immer verlassen zu haben scheine, spreche sein Oheim Plato in Gesellschaften, wenn meiner gedacht werde, sehr glimpflich von mir, als von einem feinen Weltmann und angenehmen Gesellschafter. Aristipp, sagt er, hat sich eine Art von Philosophie gemacht, womit er sich, wie ich glaube, für seinen eigenen Gebrauch gut genug behelfen mag; aber allgemein gemacht würde sie böse Früchte tragen. – Ist es mit der seinigen etwa anders? Zum Glück (wenn ja die Gefahr so groß seyn sollte) hat die Natur selbst dafür gesorgt, daß keine von beiden allgemein werden kann. Wäre dieß aber nicht, so würde meine Philosophie noch immer den Vorzug haben, daß sie nur durch Mißverstand und Mißbrauch schädlich werden kann; da hingegen die seinige geraden Weges zu einer Art von Schwärmerei führt, deren natürliche Folgen, außer seiner Wolkenkuckucksheimischen Republik, allenthalben verderblich seyn würden.

Lebe wohl, mein edler Freund, und lass' dir mein Andenken, und, wofern du es nöthig findest, auch meinen Ruf gegen den Muthwillen eurer witzelnden Müßiggänger und Spaßmacher empfohlen seyn, die von jedem Manne, dessen Name öfters genennt wird, so viele Geheimgeschichtchen zu erzählen wissen, alles gesehen haben wollen was er gethan, alles gehört[350] haben was er gesprochen hat, und, um die Wahrheit ihrer Mittheilungen unbekümmert, zufrieden sind, wenn sie nur ihren Platz an den Tafeln der Reichen durch irgend ein lächerliches Mährchen oder eine auffallende Albernheit auf Unkosten eines bekannten Namens bezahlen können.

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Band 23, Leipzig 1839, S. 335-351.
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