Viertes Capitel
Was die Einbildung nicht tut!

[99] Nachdem Pedrillo versprochen hatte, daß er seine Zunge im Zügel halten wollte, fing Don Sylvio seine Erzählung also an: Du warest kaum neben mir eingeschlafen – –

Holla, gnädiger Herr, fiel ihm Pedrillo ein, mit Erlaubnis, woher konntet ihr das wissen, denn ihr schliefet ja schon lange, da ich noch wachte?

Du hältst dein Versprechen unvergleichlich, sagte Don Sylvio, willt du so gut sein, und mich ohne Unterbrechung reden lassen? Ich würde bis morgen nicht fertig, wenn ich bei jedem Wort auf deine unverschämte Fragen antworten müßte. Ich sage dir, daß ich wachte, und das soll dir genug sein – Indem ich nun allem dem was uns begegnet ist, nachdachte, sah ich eine Sylphide vor mir stehen – Eine Sylphide? rief Pedrillo, und hielt schnell wieder inne, indem er seinem Herrn steif ins Gesicht sah.

Ja, eine Sylphide, fuhr unser Held ganz gelassen fort, und die schönste Sylphide, die jemals von einem Sterblichen gesehen worden ist. Don Sylvio, sagte sie zu mir, ich weiß wen sie suchen; kommen sie mit mir, ich will sie zu ihrer Geliebten bringen, ich bin schon lange ihre gute Freundin; aber sie sollen doch diese Gefälligkeit nicht ganz umsonst empfangen. O, rief ich, indem ich mich zu ihren Füßen warf, befehlen sie nur, schönste Sylphide, es ist nichts in der Welt, das ich nicht tun will, ihnen meine Dankbarkeit zu bezeugen, wenn sie ihr Versprechen halten. Dasjenige was ich von ihnen dafür verlange, erwiderte die Sylphide, ist eine Kleinigkeit; kommen sie nur, sie sollen erst ihre Princessin sehen, über das andre werden wir bald einig[99] sein. Hierauf nahm sie eine Rose von ihrem schönen Busen, und warf sie auf den Boden; augenblicklich verwandelte sich die Rose in einen Muschel-Wagen von Rubin, der mit zwölf Paradiesvögeln bespannt war, von einer Schönheit, dergleichen noch nicht gesehen worden ist. Ich setzte mich neben sie ein, und in wenigen Minuten stiegen wir in dem anmutigsten Ort ab, den sich die Einbildungskraft nur immer vorstellen kann. Ich würde nicht fertig werden, wenn ich dir eine Beschreibung davon machen wollte.

O gnädiger Herr, sagte Pedrillo, das tut nichts, wenn die Beschreibung lang ist, desto besser; ich wollte euch den ganzen Tag ungegessen zuhören, ich höre euch gar zu gern erzählen.

Stelle dir, fuhr Don Sylvio fort, eine unermeßliche Ebne vor, in welcher die Zauberkunst irgend einer Fee alle die Annehmlichkeiten vereiniget hatte, welche die Poeten von Tibur und Tarent, von dem Thessalischen Tempe und von den Hainen von Daphne rühmen; anmutige Gebüsche, schlängelnde Silberbäche, blühende Auen, Lustgänge von Citronenbäumen, kleine Seen, mit Myrthen eingefaßt, Lauben von Jasmin und vielfärbichten Rosen. – Kurz, alles, was man sich nur von einem Ort vorstellen kann, der dem Vergnügen und der Liebe geheiliget ist. Scharen von jungen Nymphen in leichtem Gewand flatterten unter den Myrthen umher oder tanzten mit Liebesgöttern auf den Fluren, oder badeten in stillen Grotten. – –

Das muß ich gestehen, Herr Don Sylvio, fiel Pedrillo ein, daß ihr unter einem glücklichen Zeichen geboren seid. Sapperment! es leben die Selphiden, das ist etwas anders als diese vertrackten Salamander, die zu nichts gut sind, als euch in einen Froschgraben hinein zu führen! Aber warum habt ihr mich doch nicht auch mitgenommen? Wenn es um ein angenehmes Abenteuer zu tun ist, da denkt niemand an mich.

Höre nur weiter, fuhr Don Sylvio fort; man muß niemand vor dem Ende glücklich preisen, sagte Solon, der Weise, und es scheint nicht anders, als ob ich dazu verhängt sei, eine Erfahrung nach der andern von dieser traurigen Wahrheit zu machen. Indem ich an diesem anmutsvollen Ort mich umsah, erblickte ich eine Nymphe, unter einer Laube sitzend, die mit einem Sommer- Vogel spielte, der an einem goldnen Faden um sie her flatterte.[100] Himmel! wie ward mir, da ich sah, daß es meine geliebte Princessin war, da ich ihn für eben den blauen Sommervogel erkannte, den wir suchen! Bist du der junge Ritter, sagte die Nymphe zu mir, der unter dem Schutz der Fee Radiante das Abenteuer unternommen hat, den blauen Sommervogel zu entzaubern? Ich bin es, schönste Nymphe, antwortete ich, und bereit ihnen mein Leben selbst – O so viel verlang ich nicht, fiel sie mir ins Wort, wenn du mir beweisen kannst, daß du Don Sylvio von Rosalva bist, so ist der Sommervogel dein. Sagen sie nur, womit ich es ihnen beweisen soll, erwiderte ich, ich weiß zu gewiß daß ichs bin, als daß ich vor irgend einer Probe mich scheuen sollte. Zeige mir nur das Bildnis der Princessin, antwortete sie, du mußt es haben, wenn du Don Sylvio bist, ich verlange keinen andern Beweis. O! Pedrillo, ich Unglückseliger! Wo war die Fee, meine Beschützerin, in diesem fatalen Augenblick? Ich gab ihr das Bildnis, aber kaum hatte sie es in der Hand, so sah ich – Himmel! werd ich es aussprechen können? mit Entsetzen sah ich an statt der schönen Nymphe den grünen Zwerg vor mir stehen. Das kleine bucklichte Ungeheuer war vor Freude ganz ausgelassen, sprang in die Höhe, drehte das Bildnis in der Hand herum, blöckte die Zähne gegen mich, und sagte endlich mit spöttischem Gelächter zu mir: Nun hab ich was ich wollte! Wisse du unmächtiger Nebenbuhler, daß niemand als der Besitzer dieses Bildnisses im Stand ist dem blauen Sommervogel seine eigene Gestalt wieder zu geben. Nun sind beide in meinen Händen, und du hast nichts mehr zu hoffen. Geh, dank es meiner Entzückung, daß ich dir das Leben schenke; aber merke, was ich dir jetzt sage. Ich werde dich aufs genaueste beobachten, und wenn ich dich nur über einem Gedanken an meine Geliebte ertappe, so bist du des Todes! – –

Du kannst dir die Wut vorstellen, Pedrillo, worein mich diese Reden und der Anblick dieses häßlichen Gnomen mit dem Bildnis meiner Princessin in seinen Klauen setzen mußte; ich fiel über ihn her, und rang mit ihm, fest entschlossen, entweder mein Leben zu lassen, oder mein Bildnis wieder zu haben. – –

Der Vorsatz war gut und löblich, sagte Pedrillo, aber warum mußte ich mit ins Spiel gemischt werden, und zwar nicht eher, als bis es ums Erdrosseln zu tun war.[101]

Eben das ist es, erwiderte unser Held, was ich selbst nicht begreife; ich rang wie gesagt mit dem Zwerg, und in eben dem Augenblick, da ich im Begriff war ihn zu erwürgen, zeigte mir dein Geschrei und meine Augen, daß du es warst, der unter meinen Händen zappelte. Der Zwerg war verschwunden, und ich befand mich wieder an dem nämlichen Ort, wo mich die Sylphide abgeholt hatte.

Und wo blieb dann die Selphide, fragte Pedrillo?

So bald wir an dem Ort anlangten, wo sie mich absteigen hieß, muß sie verschwunden sein, denn ich sahe weder sie noch ihren Wagen mehr.

Das ist eine verzweifelte Historie, sagte Pedrillo, meiner Six, sie fing sich so schön an! es ist Jammerschade, daß sie nicht besser aufhörte. Aber – wenn einem einfältigen Kerl eine Frage erlaubt ist, glaubt ihr also, gnädiger Herr, daß euch das alles würklich begegnet ist?

Daran ist wohl kein Zweifel, antwortete Don Sylvio, ich wachte ja, da es mir begegnete, ich sahe mit meinen Augen, ich hörte mit meinen Ohren, ich hatte den Gebrauch aller meiner Sinnen, ich muß also gewacht haben, und wenn das ist – –

Ja, ja, das ist eben noch die Frage, versetzte Pedrillo; ich will es eben nicht für gewiß sagen, aber, wenn ihr schon die Wunderlichkeit an euch habt, und nicht leiden könnt, daß man sage, ihr träumet wie andere ehrliche Leute, so weiß ich doch wohl – gesagt will ichs nicht haben, aber ich denke doch was ich denke.

Du denkst es sei nur ein Traum gewesen, Pedrillo; wollte der Himmel, daß es so wäre! Aber – –

Seht ihr, gnädiger Herr, fuhr Pedrillo fort, es ist in allem ein Unterschied zu machen; wie ihr die Erscheinung von der Fee Rademante hattet, da dacht ich auch, es hab euch nur so geträumt, bis ihr mir das reiche Kleinod und das Bildnis zeigtet, so sie euch gegeben hatte; da konnt ich freilich nichts mehr dagegen einwenden. Was die Augen sehen glaubt das Herz. Wenn ihr mir nur eine Feder von einem dieser Paradiesvögel, die euch gezogen haben, aufweisen könntet, so ließe sich noch von der Sache reden; aber, beim Velten! was braucht es da langes und breites, ihr habt ja das Kleinod am Halse hangen, das euch der Zwerg gestohlen haben soll, sucht nur unter[102] eurem Wams, ihr werdet die Princessin gewiß noch am alten Ort finden. – –

O Wunder, rief Don Sylvio, da er es würklich auf seiner Brust fand, wie er es zu tragen pflegte, du hast recht, Pedrillo, Dank sei der hülfreichen Radiante, hier ist es – –

Ich glaube Herr, sagte Pedrillo, diesmal tut ihr der Fee zu viel Ehre an, und ich wette mit euch was ihr wollt, ob ich gleich nichts habe, der grüne Zwerg hat den blauen Schmetterling und euer Bildnis so wenig gesehen als ich den Pabst. Hier habt ihr geschlafen, Herr, und da ist euch das alles im Traum vorgekommen, und da seid ihr zuletzt dran erwacht, und da habt ihr mich beim Kopf gekriegt – Sapperment! ihr hättet das wohl auch nur träumen können wie das übrige. Ich schwör es euch, ein andermal, wenn wir wieder schlafen wollen, werde ich so gut sein, und mich fünfzig oder sechzig Schritte von euch wegmachen.

Ich habe keine Lust, wachend davor zu büßen, wenn euch ein Zwerg im Traum erzürnt hat.

Es fehlte zwar noch viel, daß Don Sylvio den Gedanken seines Gefährten über dieses Abenteuer Beifall gab; allein Pedrillo, der diesesmal seine Stärke fühlte, ließ nicht ab, bis er es so weit brachte, daß sein Herr es selbst unwahrscheinlich fand, daß der grüne Zwerg in so kurzer Zeit seiner Zahnstocherschaft entlediget worden sein könnte; und sie wurden endlich beide des Schlusses einig, daß alles zusammen nur ein Blendwerk gewesen sei, welches Don Sylvio, ohne sich lange zu bedenken, auf die Rechnung der Fee Carabosse schob, die, wie er den Pedrillo versicherte, eine vertraute Freundin der Fanferlüsch und des grünen Zwergs sei, und da sie ihm auf keine andere Art beikommen könne, sich eine boshafte Freude daraus mache, ihn wenigstens in Verwirrung zu setzen, und ihm seine Reise beschwerlich zu machen.

Pedrillo ließ sich mit dieser Auskunft befriedigen, und sie setzten unter diesen Gesprächen ihren Weg fort, bis die zunehmende Sonnenhitze sie nötigte tiefer im Walde Schatten zu suchen.[103]

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 1, München 1964 ff., S. 99-104.
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