Sechstes Capitel
Unverhoffte Zusammenkunft

[212] Donna Felicia bezeugte eben einige Unruhe über das Außenbleiben ihres Bruders, der ihr, wie sie sagte, Hoffnung gegeben hatte, ihr eine liebenswürdige Gesellschaft mit zubringen: als sich die innere Türe des Saals öffnete, und Don Eugenio von Lirias mit der schönen Hyacinthe und seinem Freunde Don Gabriel herein trat, und unserm Helden in dem Unbekannten, dem er das Leben oder wenigstens seine Geliebte gerettet hatte, den Bruder seiner angebeteten Fee zeigte.

Die Überraschung war auf beiden Seiten gleich angenehm, und mit einer gleich großen Verwunderung auf Seiten des Bruders und der Schwester begleitet. Allein da es sich jetzt nicht schickte, diese letztere Regung merken zu lassen, so begnügte sich Don Eugenio, nachdem er seiner Schwester die schöne Hyacinthe vorgestellt, und empfohlen hatte, seine Freude darüber zu bezeugen, daß er unsern Helden, dessen unerwartete heimliche Abreise aus dem Wirtshause ihn nicht wenig befremdet hatte, so unverhofft in seinem eigenen Hause wieder finde. Sie wissen vielleicht nicht, sagte er zu Donna Felicia, wie viel wir dem Don Sylvio schuldig sind. In kurzem sollen sie den ganzen Zusammenhang einer Geschichte erfahren, die ihnen kein Geheimnis mehr sein darf Alles was ich Ihnen jetzt davon melden kann, ist, daß Sie in der Person dieses liebenswürdigen Unbekannten denjenigen sehen, der durch großmütige Wagung seines eigenen Lebens Ihnen einen Bruder erhalten hat.

Sie vergrößern, erwiderte unser Held, den Wert eines Beistands, den ihre und ihres Freundes Tapferkeit überflüssig machte, und wozu ich durch Gesinnungen, die ihr erster Anblick mir[212] einflößte, hingerissen wurde. Hätte ich damals wissen können, was dieser glückliche Augenblick mich gelehrt hat, so würde ich, wenn auch jede meiner Adern ein eigenes Leben hätte, jedes derselben mit Vergnügen aufgeopfert haben, um ein so kostbares Leben zu erhalten.

Don Eugenio würde vermutlich über dieses hyperbolische Compliment ein wenig gestutzt haben, wenn die Aufmerksamkeit, die er anwandte, die Eindrücke, welche Hyacinthe auf seine Schwester machte, zu beobachten, ihm zugelassen hätte, auf irgend etwas anders aufmerksam zu sein.

Donna Felicia, welche ziemlich verlegen gewesen war, wie sie ihre Neigung zu unserm Helden, und den Plan, den sie seit einer halben Stunde mit der Behendigkeit, die allen Würkungen der Liebe eigen ist, bei sich selbst entworfen hatte, ihrem Bruder verbergen oder gefällig machen möchte, war vor Vergnügen außer sich, da sie hörte, was für Verdienste sich Don Sylvio bereits um ihn gemacht hatte. Dieser glückliche Umstand rechtfertigte nicht nur die Lebhaftigkeit ihrer Achtung für den Erretter eines Bruders, den sie so zärtlich liebte, sondern, da er ihr in Verbindung mit den übrigen Umständen einiges Licht über die geheime Geschichte, worinne Hyacinthe vermutlich keine Neben-Rolle zu spielen hatte, zu geben schien, so hoffte sie nun, daß sie wenig Mühe haben würde, den Beifall ihres Bruders für ihre Liebe zu erhalten, da er vermutlich den ihrigen für die Seine nötig haben würde. Sie verdoppelte also die Ausdrücke des Wohlgefallens und der Zuneigung, welche ihr die Liebenswürdigkeit der jungen Hyacinthe ohnehin eingeflößt haben würde, da sie aller Zurückhaltung des Don Eugenio ungeachtet, nur allzudeutlich sah, wie heftig er sie liebte; und Don Eugenio, der alle diesen Liebkosungen ganz allein auf die Rechnung der Vorzüge seiner Geliebten schrieb, war darüber so erfreut, daß er den Augenblick kaum erwarten konnte, sich seines Geheimnisses in ihren schwesterlichen Busen zu entladen.

Niemals hat vielleicht in einer Gesellschaft von Personen, die einander, teils gänzlich, teils bei nahe unbekannt waren, so viel Sympathie und eine solche Mannigfaltigkeit von verborgnen zärtlichen Regungen geherrschet, als in dieser. Natürlicher Weise konnten so liebenswürdige Personen, als sich hier[213] zusammen gefunden hatten, einander nicht gleichgültig sein; aber die geheimen, obgleich noch unentwickelten Verhältnisse, worin sie gegen einander stunden, machten sie einander noch unendlichmal interessanter, und Amor, und die Natur, die hier in geheim ihr Spiel hatten, brachten eine Harmonie und eine Vertraulichkeit, wozu sonst eine Reihe von Wochen erfordert wird, in eben so vielen Minuten hervor.

Don Gabriel war der einzige, der ohne eigennützige Absichten an dem allgemeinen Vergnügen Anteil nahm. Die Ruhe seines eigenen Herzens erlaubte ihm die übrigen mit der Scharfsichtigkeit eines Weisen und mit der Güte eines Menschenfreunds zu beobachten, und ob gleich ein Teil von dem, was er zu bemerken glaubte, ein Rätsel für ihn war, so sah er doch, daß in kurzem sehr artige Geheimnisse sich entwickeln würden.

Inzwischen erschienen ein paar prächtig gekleidete kleine Mohren, um die Gesellschaft mit Erfrischungen zu bedienen und Don Gabriel, der einen natürlichen Beruf dazu zu haben glaubte, hatte die Gefälligkeit, durch die Munterkeit seines Witzes zu verhindern, daß die Conversation nicht von Zeit zu Zeit in ein gedoppeltes, wiewohl stillschweigendes Tête-à-Tête ausartete.

Ungeachtet einer gewissen phantastischen Wen dung, die beinahe in allem was Don Sylvio sagte oder tat, in die Augen fiel, wurde doch Don Eugenio je länger je mehr von ihm eingenommen, und bei den Verbindlichkeiten, die er ihm hatte, konnte er ohnehin nicht weniger tun, als sich die Ehre seines Aufenthalts zu Lirias auf einige Zeit auszubitten, um, wie er sagte, einer Bekanntschaft, die sich auf eine so außerordentliche Art angefangen, Zeit zu lassen, zu derjenigen vollkommenen Freundschaft zu reifen, deren er sich nicht unwürdig zu zeigen hoffte.

Don Sylvio nahm eine so verbindliche Einladung mit größtem Vergnügen an, ohne einen Augenblick mehr Umstände zu machen, als die Prinzen in den Feen-Märchen zu machen pflegen, wenn ihnen ein Nacht-Quartier in einem bezauberten Schlosse angeboten wird.

Donna Felicia entfernte sich hierauf mit der schönen Hyacinthe, und Don Eugenio führte seinen Gast in ein prächtiges[214] Zimmer, welches er ihn als das seinige anzusehen bat, so lang er ihn mit seinem Aufenthalt in Lirias beglücken würde. Er verließ ihn hierauf bis zum Abend-Essen, und wartete mit Ungeduld, bis Laura ihm die Nachricht brachte, daß seine Schwester sich in ihrem Cabinet allein befinde.

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 1, München 1964 ff., S. 212-215.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva
C. M. Wielands Sammtliche Werke (11); Die Abenteuer Des Don Sylvio Von Rosalva
C. M. Wielands Sammtliche Werke (12); Die Abenteuer Des Don Sylvio Von Rosalva
Die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva - Aus der Serie: Deutsche Klassiker - Bibliothek der literarischen Meisterwerke