Erstes Kapitel
Eine Abschweifung über den Charakter und die Philosophie des Demokritus welche wir den Leser nicht zu überschlagen bitten

[203] Wir wissen nicht, wie Demokritus es angefangen, um sich die neugierigen Weiber vom Halse zu schaffen. Genug, daß uns diese Beispiele begreiflich machen, wie ein bloßer zufälliger Einfall Gelegenheit habe geben können, den unschuldigen Naturforscher in den Ruf zu bringen, als ob er Abderite genug gewesen wäre, alle die Märchen, die er seinen albernen Landesleuten aufheftete, selbst zu glauben. Diejenigen, die ihm dies zum Vorwurf nachgesagt haben, berufen sich auf seine Schriften. Aber schon lange vor den Zeiten des Vitruvius und Plinius wurden eine Menge unechter Büchlein mit vielbedeutenden Titeln unter seinem Namen herumgetragen. Man weiß, wie gewöhnlich diese Art von Betrug den müßigen Gräculis der spätern Zeiten war. Die Namen Hermes Trismegistus, Zoroaster, Orpheus, Pytagoras, Demokritus, waren ehrwürdig genug, um die armseligsten Geburten schaler Köpfe verkäuflich zu machen; insonderheit nachdem die alexandrische Philosophenschule die Magie in eine Art von allgemeiner Achtung, und die Gelehrten in den Geschmack gebracht hatte, sich bei den Ungelehrten das Ansehen zu geben, als ob sie gewaltige Wundermänner wären, die den Schlüssel zur Geisterwelt gefunden hätten, und für die nun in der ganzen Natur nichts geheimes sei. Die Abderiten hatten den Demokritus in den Ruf der Zauberei gebracht, weil sie nicht begreifen konnten, wie man, ohne ein Hexenmeister zu sein, so viel wissen könne, als sie – nicht wußten; und spätere Betrüger fabricierten Zauberbücher in seinem Namen, um sich jenen Ruf bei den Dummköpfen ihrer Zeit zu Nutzen zu machen.[203]

Überhaupt waren die Griechen große Liebhaber davon, mit ihren Philosophen den Narren zu treiben. Die Athenienser lachten herzlich, als ihnen der witzige Possenreißer Aristophanes weis machte, Sokrates halte die Wolken für Göttinnen, messe aus, wie viele Flohfüße hoch ein Floh springen könne34, lasse sich, wenn er meditieren wolle, in einem Korbe aufhängen, damit die anziehende Kraft der Erde seine Gedanken nicht einsauge, u.s.f und es dünkte sie überaus kurzweilig, den Mann, der ihnen immer die Wahrheit und also oft unangenehme Dinge sagte, wenigstens auf dem Schauplatze platte Pedantereien sagen zu hören. Und wie mußte sich nicht Diogenes (der unter den Nachahmern des Sokrates noch am meisten die Miene seines Originals hatte,) von diesem Volke, das so gerne lachte, mißhandeln lassen, Sogar der begeisterte Plato und der tiefsinnige Aristoteles blieben nicht von Anklagen frei, wodurch man sie zu dem großen Haufen der alltäglichen Menschen herabzusetzen suchte. Was Wunder also, daß es dem Manne nicht besser erging, der so verwegen war, mitten unter Abderiten Verstand zu haben?

Demokritus lachte zuweilen, wie wir alle, und würde vielleicht,[204] wenn er zu Korinth, oder Smyrna, oder Syrakus, oder an irgend einem andern Orte der Welt gelebt hätte, nicht mehr gelacht haben, als jeder andre Biedermann, der sich, aus Gründen oder von Temperaments wegen, aufgelegter fühlt, die Torheiten der Menschen zu belachen als zu beweinen. Aber er lebte unter Abderiten. Es war nun einmal die Art dieser guten Leute, immer etwas zu tun, worüber man entweder lachen, oder weinen, oder ungehalten werden mußte; und Demokritus lachte, wo ein Phocion die Stirne gerunzelt, ein Cato gepoltert, und ein Swift zugepeitscht hätte. Bei einem ziemlich langen Aufenthalt in Abdera konnte ihm also die Miene der Ironie wohl eigentümlich werden; aber daß er im buchstäblichen Verstande immer aus vollem Halse gelacht habe, wie ihm ein Dichter, der die Sachen gern übertreibt, nachsagt35, dies hätte wenigstens niemand in Prosa sagen sollen.

Doch diese Nachrede möchte immer hingehen, zumal da ein so gepriesener Philosoph wie Seneca unsern Freund Demokritus über diesen Punkt rechtfertigt, und sogar nachahmenswürdig findet. »Wir müssen uns dahin bestreben, sagt Seneca36, daß uns die Torheiten und Gebrechen des großen Haufens samt und sonders nicht hassenswürdig, sondern lächerlich vorkommen; und wir werden besser tun, wenn wir uns hierin den Demokritus als den Heraklitus zum Muster nehmen. Dieser pflegte, so oft er unter die Leute ging, zu weinen; jener, zu lachen: dieser sah in allem unserm Tun eitel Not und Elend; jener eitel Tand und Kinderspiel. Nun ist es aber freundlicher, das menschliche Leben anzulachen als es anzugrinsen; und man kann sagen, daß sich derjenige um das Menschengeschlecht verdienter macht, der es belacht, als der es bejammert. Denn jener läßt uns doch noch immer ein wenig Hoffnung übrig; dieser hingegen weint alberner Weise über Dinge, die er bessern zu können verzweifelt. Auch zeigt derjenige eine größere Seele, der, wenn er einen Blick über das Ganze wirft, sich nicht des Lachens – als jener, der sich der Tränen nicht enthalten kann; denn er gibt dadurch zu erkennen, daß alles, was andern groß und wichtig genug scheint,[205] um sie in die heftigsten Leidenschaften zu setzen, in sei nen Augen so klein ist, daß es nur den leichtesten und kaltblütigsten unter allen Affecten in ihm erregen kann.«37

Im Vorbeigehen deucht mich, die Entscheidung des Sophisten Seneca habe Verstand; wiewohl er vielleicht besser getan hätte, seine Gründe weder so weit herzuholen, noch in so gekünstelte Antithesen einzuschrauben. Doch, wie gesagt, der bloße Umstand, daß Demokritus unter Abderiten lebte, und über Abderiten lachte, macht den Vorwurf, von welchem die Rede ist, so übertrieben er auch sein mag, zum erträglichsten unter allem, was unserm Weisen aufgebürdet worden. Läßt doch Homer die Götter selbst über einen weit weniger lächerlichen Gegenstand über den hinkenden Vulcan, der aus der gutherzigen Absicht, Friede unter den Olympiern zu stiften, den Mundschenken macht – in ein unauslöschliches Gelächter ausbrechen! Aber das Vorgeben, daß Demokritus sich selbst freiwillig des Gesichts beraubt habe, und die Ursachen, warum er es getan haben soll, dies setzt auf Seiten derjenigen, bei denen es Eingang finden konnte, eine Neigung voraus, die wenigstens ihrem Kopfe wenig Ehre macht.

Und was für eine Neigung mag denn das sein, – Ich will es euch sagen, lieben Freunde, und gebe der günstige Himmel, daß es nicht gänzlich in den Wind gesagt sein möge!

Es ist die armselige Neigung, jeden Dummkopf, jeden hämischen[206] Buben für einen unverwerflichen Zeugen gelten zu lassen, sobald er einem großen Manne irgend eine überschwengliche Ungereimtheit nachsagt, welche auch der alltäglichste Mensch bei fünf gesunden Sinnen zu begehen unfähig wäre.

Ich möchte nicht gerne glauben, daß diese Neigung so allgemein sei, als die Verkleinerer der menschlichen Natur behaupten. Aber dies wenigstens lehrt die Erfahrung: daß die kleinen Anekdoten, die man von großen Geistern auf Unkosten ihrer Vernunft circulieren zu lassen pflegt, sehr leicht bei den Meisten Eingang finden. Doch vielleicht ist dieser Hang im Grunde nicht sträflicher als das Vergnügen, womit die Sternseher Flecken in der Sonne entdeckt haben? Vielleicht ist es bloß das Unerwartete und Unbegreifliche, was die Entdeckung solcher Flecken so angenehm macht? Außerdem findet sich auch nicht selten, daß die armen Leute, indem sie einem großen Manne Widersinnigkeiten andichten, ihm (nach ihrer Art zu denken) noch viel Ehre zu erweisen glauben; und dies mag wohl, was die freiwillige Blindheit unsers Philosophen betrifft, der Fall bei mehr als einem abderitischen Gehirne gewesen sein.

»Demokritus beraubte sich des Gesichtes, sagt man, damit er desto tiefer denken könnte. Was ist hierin so unglaubliches: Haben wir nicht Beispiele freiwilliger Verstümmelungen von ähnlicher Art. Combabus – Origenes –«

Gut! – Combabus und Origenes warfen einen Teil ihrer selbst von sich, und zwar einen Teil, den wohl die meisten, im Fall der Not, mit allen ihren Augen, und wenn sie deren soviel als Argus hätten, erkaufen würden. Allein sie hatten auch einen großen Beweggrund dazu. Was gibt der Mensch nicht um sein Leben? Und was tut oder leidet man nicht, der Günstling eines Fürsten zu bleiben, oder gar eine Pagode zu werden? – Demokritus hingegen konnte keinen Beweggrund von dieser Stärke haben. Es möchte noch hingehen, wenn er ein Metaphysiker oder ein Poet gewesen wäre. Dies sind Leute, die zu ihrem Geschäfte des Gesichts entbehren können. Sie arbeiten am meisten mit der Einbildungskraft, und diese gewinnt sogar durch die Blindheit.[207]

Aber wenn hat man jemals gehört, daß ein Beobachter der Natur, ein Zergliederer, ein Sternseher, sich die Augen ausgestochen hätte, um desto besser zu beobachten, zu zergliedern, und nach den Sternen zu sehen?

Die Ungereimtheit ist so handgreiflich, daß Tertullianus die angebliche Tat unsers Philosophen aus einer andern Ursache ableitet, die ihm aber zum wenigsten eben so ungereimt hätte vorkommen müssen, wenn er ein besserer Raisonneur gewesen wäre, oder nicht gerade vonnöten gehabt hätte, die Philosophen, die er zu Boden legen wollte, in Strohmänner zu verwandeln. »Er beraubte sich der Augen, sagt Tertullian40, weil er kein Weib ansehen konnte, ohne ihrer zu begehren.« – Ein feiner Grund für einen griechischen Philosophen aus dem Jahrhundert des Perikles! Demokritus, der sich gewiß nicht einfallen ließ, weiser sein zu wollen als Solon, Anaxagoras, Sokrates, hatte auch vonnöten, zu einem solchen Mittel seine Zuflucht zu nehmen! Wahr ists, der Rat des letztern41 (der Demokriten gewiß nichts unbekanntes war, weil er Verstand genug hatte, sich ihn selbst zu geben) verfängt wenig gegen die Gewalt der Liebe; und einem Philosophen, der sein ganzes Leben dem Erforschen der Wahrheit widmen wollte, war allerdings sehr viel daran gelegen, sich vor einer so tyrannischen Leidenschaft zu hüten. Allein von dieser hatte auch Demokritus, wenigstens in Abdera, nichts zu besorgen. Die Abderitinnen waren zwar schön; aber die gütige Natur hatte ihnen die Dummheit zum Gegengift ihrer körperlichen Reizungen gegeben. Eine Abderitin war nur schön bis sie – den Mund auftat, oder bis man sie in ihrem Hauskleide sah. Leidenschaften von drei Tagen waren das Äußerste, was sie einem ehrlichen Manne, der kein Abderite war, einflößen konnte; und eine Liebe von drei Tagen ist einem Demokritus am Philosophieren so wenig hinderlich, daß wir vielmehr allen Naturforschern, Zergliederern, Meßkünstlern und Sternsehern demütig raten wollten, sich dieses Mittels, als eines vortrefflichen Recepts gegen Milzbeschwerungen, öfters zu bedienen, wenn recht zu vermuten wäre, daß diese Herren zu weise sind, eines Rates vonnöten[208] zu haben. Ob Demokritus selbst die Kraft dieses Mittels, zufälliger Weise, bei einer oder der andern von den abderitischen Schönen, die wir bereits kennen gelernt, versucht haben möchte, können wir aus Mangel authentischer Nachrichten weder bejahen noch verneinen. Aber daß er, um gar nicht, oder nicht zu stark, von so unschädlichen Geschöpfen eingenommen zu werden, und weil er auf allen Fall sicher war, daß sie ihm die Augen nicht auskratzen würden – schwach genug gewesen sei, sich solche selbst auszukratzen: dies mag Tertullianus glauben so lang es ihm beliebt; wir zweifeln sehr, daß es jemand mitglauben wird.

Aber alle diese Ungereimtheiten werden unerheblich, wenn wir sie mit demjenigen vergleichen, was ein sonst in seiner Art sehr verdienter Sammler von Materialien zur Geschichte des menschlichen Verstandes42 die Philosophie des Demokritus nennt. Es würde schwer sein, von einem Haufen einzelner Trümmer, Steine und zerbrochener Säulen, die man als vorgebliche Überbleibsel des großen Tempels zu Olympia aus unzähligen Orten zusammengebracht hätte, mit Gewißheit zu sagen, daß es wirklich Trümmer dieses Tempels seien. Aber was würde man von einem Manne denken, der – wenn er diese Trümmer, so gut es ihm in der Eile möglich gewesen wäre, auf einander gelegt, und mit etwas Leim und Stroh zusammengeflickt hätte – ein so armseliges Stückwerk, ohne Plan, ohne Fundament, ohne Größe, ohne Symmetrie und Schönheit, für den Tempel zu Olympia ausgeben wollte?

Überhaupt ist es gar nicht wahrscheinlich, daß Demokritus ein System gemacht habe. Ein Mann, der sein Leben mit Reisen, Beobachtungen und Versuchen zubringt, lebt selten lange genug, um die Resultate dessen, was er gesehen und erfahren, in ein kunstmäßiges Lehrgebäude zusammenzufügen. Und in dieser Rücksicht könnte wohl auch Demokritus, wiewohl er über ein Jahrhundert gelebt haben soll, noch immer zu früh vom Tod überrascht worden sein. Aber daß ein solcher Mann, mit dem durchdringenden Verstande und mit dem brennenden Durste nach Wahrheit, den ihm das Altertum[209] einhellig zuschreibt, fällig gewesen sei, handgreiflichen Unsinn zu behaupten, ist noch etwas weniger als unwahrscheinlich. »Demokritus (sagt man uns) erklärte das Dasein der Welt lediglich aus den Atomen, dem leeren Raum, und der Notwendigkeit oder dem Schicksal. Er fragte die Natur achtzig Jahre lang, und sie sagte ihm kein Wort von ihrem Urheber, von seinem Plan, von seinem Endzweck, Er schrieb den Atomen allen einerlei Art von Bewegung zu, und wurde nicht gewahr43, daß aus Elementen, die sich in parallelen Linien bewegen, in Ewigkeit keine Körper entstehen können, Er leugnete, daß die Verbindung der Atomen nach dem Gesetze der Ähnlichkeit geschehe; er erklärte alles in der Welt aus einer unendlich schnellen, aber blinden Bewegung: und behauptete gleichwohl, daß die Welt ein Ganzes sei?« u.s.f. Diesen und andern ähnlichen Unsinn setzt man auf seine Rechnung; citiert den Stobäus, Sextus, Censorinus; und bekümmert sich wenig darum, ob es unter die möglichen Dinge gehöre, daß ein Mann von Verstande (wofür man gleichwohl den Demokritus ausgibt,) so gar erbärmlich raisonnieren könnte. Freilich sind große Geister von der Möglichkeit sich zu irren, oder unrichtige Folgerungen zu ziehen, eben so wenig frei als die kleinen; wiewohl man gestehen muß, daß sie unendlichmal seltener in diese Fehler fallen, als es die Lilliputter gerne hätten; aber es gibt Albernheiten, die nur ein Dummkopf zu denken oder zu sagen fähig ist, so wie es Untaten gibt, die nur ein Schurke begehen kann. Die besten Menschen haben ihre Anomalien, und die Weisesten leiden zuweilen eine vorübergehende Verfinsterung; aber dies hindert nicht, daß man nicht mit hinlänglicher Sicherheit von einem verständigen Manne sollte behaupten können: daß er gewöhnlich, und besonders in solchen Gelegenheiten, wo auch die Dummsten allen den ihrigen zusammenraffen, wie ein Mann von Verstande verfahren werde.

Diese Maxime könnte uns, wenn sie gehörig angewendet würde, im Leben manches rasche Urteil, manche von wichtigen Folgen begleitete Verwechslung des Scheins mit der Wahrheit ersparen helfen. Aber den Abderiten half sie nichts. Denn zum[210] Anwenden einer Maxime wird gerade das Ding erfordert – das sie nicht hatten. Die guten Leute behalfen sich mit einer ganz andern Logik als vernünftige Menschen; und in ihren Köpfen waren Begriffe associiert, die, wenn es keine Abderiten gäbe, sonst in aller Ewigkeit nie zusammenkommen würden. Demokritus untersuchte die Natur der Dinge, und bemerkte die Ursachen gewisser Naturbegebenheiten ein wenig früher als die Abderiten, – also war er ein Zauberer. Er dachte über alles anders als sie, lebte nach andern Grundsätzen, brachte seine Zeit auf eine ihnen unbegreifliche Art mit sich selbst zu, – also war es nicht recht richtig in seinem Kopfe; der Mann hatte sich überstudiert; und man besorgte, daß es einen unglücklichen Ausgang mit ihm nehmen werde.

34

Nichts ist möglicher, als daß Sokrates wirklich einmal etwas gesagt haben konnte, das zu dieser Türlipinade Anlaß gegeben. Er durfte nur in einer Gesellschaft, wo die Rede von Größe und Kleinheit war, den Irrtum angemerkt haben, den man gewöhnlich begeht, da man von Groß und Klein als von wesentlichen Eigenschaften spricht, und nicht bedenkt, daß es bloß auf den Maßstab ankommt, ob etwas groß oder klein sein soll. Er konnte nach seiner scherzhaften Art gesagt haben: man habe Unrecht, den Sprung eines Flohs nach der attischen Elle zu messen; man müsse, um die Schnellkraft des Flohs mit derjenigen eines Luftspringers zu vergleichen, nicht den menschlichen Fuß, sondern den Flohfuß zum Maß nehmen, wenn man anders den Flöhen Gerechtigkeit widerfahren lassen wolle – und dergleichen. Nun brauchte nur ein Abderite in der Gesellschaft zu sein, so können wir sicher darauf rechnen, daß er es als eine große Ungereimtheit, die dem Philosophen entfahren sei, nach seiner eignen Art wieder erzählt haben werde; und wenn gleich Aristophanes klug genug war, zu begreifen, daß Sokrates etwas kluges gesagt hatte, so war es doch für einen Mann von seiner Profession und zu seiner Absicht, den Philosophen lächerlich zu machen, schon genug, daß man diesem Einfall eine Wendung geben konnte, wodurch er geschickt wurde, die Zwerchfelle der Athenienser, welche (den Geschmack und den Witz abgerechnet) ziemlich Abderiten waren, einen Augenblick zu erschüttern.

35

Perpetuo risu pulmonem agitare solebat Democritus. – Juvenal. Sat. X. 33.

36

De Tranquill. animi c. 15.

37

Bei allem dem erklärt sich doch Seneca bald darauf, daß es noch besser und einem weisen Manne anständiger sei, die herrschenden Sitten und Fehler der Menschen sanft und gleichmütig zu ertragen, als darüber zu lachen oder zu weinen. Mich dünkt, er hätte mit wenig Mühe finden können, daß es – noch was bessers gibt als dies Bessere. Warum immer lachen, immer weinen, immer zürnen, oder immer gleichgültig sein? Es gibt Torheiten, welche belachenswert sind; es gibt andere, die ernsthaft genug sind, um dem Menschenfreund Seufzer auszupressen; andre, die einen Heiligen zum Unwillen reizen könnten; endlich noch andre, die man der menschlichen Schwachheit zu gut halten soll. Ein weiser und guter Mann (nisi pituita molesta est, wie Horaz weislich ausbedingt,) lacht oder lächelt, bedaurt oder beweint, entschuldigt oder verzeiht, je nach dem es Personen und Sachen, Ort und Zeit mit sich bringen. Denn lachen und weinen, lieben und hassen, züchtigen und loslassen, hat seine Zeit, sagt Salomo, welcher älter, klüger und besser war als Seneca mit allen seinen Antithesen.

40

Apolog. C. 46.

41

Memorab. Socrat. Lib. 1. Cap. 3. Num. 14.

42

Brucker; vom Magnenus, der den Demokritus nach seiner eignen Phantasie raisonnieren und deraisonnieren läßt, nichts zu sagen!

43

Bruck. Histor. Crit. Philos. T. 1. p. 1190.

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 2, München 1964 ff., S. 203-211.
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