Viertes Capitel

Veränderung der Scene

[496] Danae hatte von der Freigebigkeit des Prinzen Cyrus, außer dem Hause, welches sie zu Smyrna bewohnte, ein Landgut, in der anmutigsten Gegend außerhalb dieser Stadt, wo sie von Zeit zu Zeit einige dem Vergnügen geweihte Tage zuzubringen pflegte. Hieher mußte sich Agathon begeben, um von seinem neuen Amte Besitz zu nehmen, und dasjenige zu veranstalten, was zum Empfang seiner Gebieterin nötig war, welche sich vorgenommen hatte, den Rest der schönen Jahrszeit auf dem Lande zu genießen. Wir widerstehen der Versuchung, eine Beschreibung von diesem Landgut zu machen, um dem Leser das Vergnügen zu lassen, sich dasselbe so wohlangelegt, so prächtig und so angenehm vorzustellen als er selbst es will. Alles, was wir davon sagen wollen, ist, daß diejenigen, deren Einbildungskraft[496] einiger Unterstützung nötig hat, den sechszehnten Gesang des befreiten Jerusalems lesen müßten, um sich eine Vorstellung von dem Orte zu machen, den sich diese griechische Armide zum Schauplatz der Siege auswählte, die sie über unsern Helden zu erhalten hoffte. Sie fand nicht für gut, oder konnte es nicht über sich selbst erhalten, ihn lange auf ihre Ankunft warten zu lassen; und sie war kaum angelangt, als sie ihn zu sich rufen ließ, und ihn durch folgende Anrede in eine angenehme Bestürzung setzte: »Die Bekanntschaft, die wir vor einigen Tagen mit einander gemacht haben, wäre, auch ohne die Nachrichten, die mir Hippias von dir gegeben, schon genug gewesen, mich zu überzeugen, daß du für den Stand nicht geboren bist, in den dich ein widriger Zufall gesetzt hat. Die Gerechtigkeit, die ich Personen von Verdiensten widerfahren zu lassen fähig bin, gab mir das Verlangen ein, dich aus einer Abhänglichkeit von dem Hippias zu setzen, welche die Verschiedenheit deiner Denkungsart von der seinigen, dir in die Länge beschwerlich gemacht hätte. Er hatte die Gefälligkeit, dich mir als eine Person vorzuschlagen, die sich schickte, die Stelle eines Aufsehers in meinem Hause zu vertreten. Ich nahm sein Erbieten an, um das Vergnügen zu haben, den Gebrauch davon zu machen, den ich deinen Verdiensten und meiner Denkungsart schuldig bin. Du bist frei, Callias, und vollkommen Meister zu tun was du für gut befindest. Kann die Freundschaft, die ich dir anbiete, dich bewegen bei mir zu bleiben, so wird der Name eines Amtes, von dessen Pflichten ich dich völlig freispreche, wenigstens dazu dienen, der Welt eine begreifliche Ursache zu geben, warum du in meinem Hause bist; wo nicht, so soll das Vergnügen, womit ich zu Beförderung der Entwürfe, die du wegen deines künftigen Lebens machen kannst, die Hand bieten werde, dich von der Lauterkeit der Bewegungsgründe überzeugen, welche mich so gegen dich zu handeln angetrieben haben.« Die edle und ungezwungene Anmut, womit dieses gesprochen wurde, vollendete die Würkung, die eine so großmütige Erklärung auf den Empfindungs-vollen Agathon machen mußte. »Was für eine Art zu denken! was für eine Seele!« Konnt' er weniger tun, als sich zu ihren Füßen werfen, um in Ausdrücken, deren Verwirrung ihre ganze Beredsamkeit ausmachte, der Bewundrung und der[497] Dankbarkeit Luft zu machen, deren Übermaß seine Brust zersprengen zu wollen schien. Keine Danksagungen, Callias unterbrach ihn die großmütige Danae, was ich getan habe, ist nicht mehr als ich einem jeden andern, der deine Verdienste hätte, eben sowohl schuldig zu sein glaubte – Ich habe keine Ausdrücke für das was ich empfinde, anbetungswürdige Danae, rief der entzückte Agathon, ich nehme dein Geschenk an, um das Vergnügen zu genießen, dein freiwilliger Sclave zu sein eine Ehre, gegen die ich die Crone des Königs von Persien verschmähen würde. Ja, schönste Danae, seitdem ich dich gesehen habe, kenne ich kein größeres Glück als dich zu sehen; und wenn alles, was ich in deinem Dienste tun kann, fähig sein kann, dich von der unaussprechlichen Empfindung, die ich von deinem Werte habe, zu überzeugen; würdig sein kann, mit einem zufriednen Blick von dir belohnt zu werden – o Danae! wer wird denn so glücklich sein als ich? Laßt uns, sagte die bescheidne Nymphe, ein Gespräch enden, das die allzugroße Dankbarkeit deines Herzens auf einen zu hohen Ton gestimmt hat. Ich habe dir gesagt, auf was für einem Fuß du hier sein wirst. Ich sehe dich als einen Freund meines Hauses an, dessen Gegenwart mir Vergnügen macht, dessen Wert ich hoch schätze, und dessen Dienste mir in meinen Angelegenheiten desto nützlicher sein können, da sie freiwillig und die Frucht einer uneigennützigen Freundschaft sein werden. Mit diesen Worten verließ sie den dankbaren Agathon, in dessen Erklärung einige vielleicht Schwulst und Unsinn, oder wenigstens zuviel Feuer und Entzückung gefunden haben werden. Allein sie werden sich zu erinnern belieben, daß Agathon weder in einer so gelassenen Gemütsverfassung war, wie sie; noch alles wußte, was sie durch unsere Indiscretion von der schönen Danae erfahren haben Wir wissen freilich was wir ungefähr von ihr denken sollen; allein in seinen Augen war sie eine Göttin; und zu ihren Füßen liegend konnte er, zumal bei der Verbindlichkeit, die er ihr hatte, natürlicher Weise, diese Danae nicht mit einer so philosophischen Gleichgültigkeit ansehen, wie wir andern.

Agathon war nun also ein Hausgenosse der schönen Danae, und entfaltete mit jedem Tage neue Verdienste, die ihn dieses Glücks würdig zeigten, und die seine geringe Achtung für den[498] Hippias ihn verhindert hatte, in dessen Hause sehen zu lassen. Da nebst den besondern Ergötzungen des Landlebens diese feinere Art von Belustigungen, an denen der Witz und die Musen den meisten Anteil haben, die hauptsächlichste Beschäftigung war, wozu man die Zeit in diesem angenehmen Aufenthalt anwendete; so hatte er Gelegenheit genug, seine Talente von dieser Seite schimmern zu lassen; und seine bezauberte Phantasie gab ihm so viele Erfindungen an die Hand, daß er keine andre Mühe hatte, als diejenigen auszuwählen, die er am geschicktesten glaubte, seine Gebieterin und die kleine Gesellschaft von vertrauten Freunden, die sich bei ihr einfanden, zu ergötzen. So weit war es schon mit demjenigen gekommen, der vor wenigen Wochen es für eine geringschätzige Bestimmung hielt, in der Person eines unschuldigen Anagnosten die Jonischen Ohren zu bezaubern.

In der Tat können wir länger nicht verbergen, daß diese unbeschreibliche Empfindung (wie er dasjenige nannte was ihm die schöne Danae eingeflößt hatte) dieses ich weiß nicht was, welches wir, so wenig er es auch gestanden hätte, ganz ungescheut Liebe nennen wollen, in dem Lauf von wenigen Tagen so sehr zugenommen hatte, daß einem jeden andern als einem Agathon die Augen über den wahren Zustand seines Herzens aufgegangen wären. Wir wissen wohl, daß die Umständlichkeit unsrer Erzählung bei diesem Teile seiner Geschichte, den Ernsthaftern unter unsern Lesern, wenn wir anders dergleichen haben werden, sehr langweilig vorkommen wird. Allein die Achtung, die wir ihnen schuldig sind, kann uns nicht verhindern, uns die Vorstellung zu machen, daß diese Geschichte vielleicht künftig, und wenn es auch nur aus einem Gewürzladen wäre, einem jungen noch nicht ganz ausgebrüteten Agathon in die Hände fallen könnte, der aus einer genauern Beschreibung der Veränderungen, welche die Göttin Danae nach und nach in dem Herzen und der Denkungsart unsers Helden hervorgebracht, sich gewisse Beobachtungen und Cautelen ziehen könnte, von denen er vielleicht einen guten Gebrauch zu machen Gelegenheit bekommen möchte. Wir glauben also, wenn wir diesem zukünftigen Agathon zu Gefallen uns die Mühe nehmen, der Leidenschaft unsers Helden von der Quelle an in ihrem wiewohl[499] noch geheimen Lauf nachzugehen, desto eher entschuldiget zu sein, da es allen übrigen, die mit diesen Anecdoten nichts zu machen wissen, frei steht, das folgende Capitel zu überschlagen.

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 1, München 1964 ff., S. 496-500.
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