Brief eines holländischen Matrosen.

[39] Von Allem, was die holländische Literatur in dieser Zeit geliefert, und dessen ist sehr viel, da Gedichte und Broschüren über den Krieg scheffelweise aus der Presse kommen, von Allem gefällt mir am besten der Brief des Matrosen Hobein an seinen Vater, der, wie ich höre, im Haag Lampenputzer am Theater und seines sonstigen Gewerbs ein ehrsamer Altflicker ist. Ich will diesen Brief wörtlich mittheilen. »Lieber Vater,« schreibt er, »lieber Vater und Schwester, ich bin noch frisch und gesund und habe euren Brief vom 5ten Februar erst am 2ten April Morgens früh erhalten; auch habe ich Israel (Bruder) gesehn und gesprochen, er ist wohl einen Kopf höher und viel schwärzer als ich, und ich bin eine Nacht mit ihm auf dem Strich gewesen, er kannte mich, aber ich kannte ihn nicht mehr; er hat mir gesagt, daß er bereits an euch geschrieben hat, so daß ihr nun[40] Alles wißt. Gegenwärtig bin ich zu Philippine, da haben wir gesessen, wie die Fischer, um sie zu fangen, aber wir geriethen so nahe ans Fort, daß wir in die Klemme kamen, das Gefecht ging los und wir gaben den Meutlingen von unsern Korteletten zu schmecken, allein, ehe wir uns dessen versahen, blieb unsere Schaluppe auf dem Grund sitzen, warum wir sie verließen und durch den Schlamm wateten, bis wir ans Anland (het schor, angeschwemmtes Land) kamen, wir gaben ihnen aufs neue ein Pack vom halben Laken, und denkt euch, Vater, wir waren unserer nur dreißig Mann und ihrer waren wohl dreihundert, und doch hatten sie das Herz nicht, an die Schaluppe zu kommen, denn wir hielten den Strich sehr gut. Nachmittags um 5 Uhr stieg das Wasser so hoch, daß wir das Anland und die Schaluppe hätten im Stich lassen müssen, allein die Mannschaft wollte das durchaus nicht, und um sie zu kriegen, war kein anderes Mittel, als nach ihr hinzuschwimmen, weil sie nach ihnen zutrieb. Ich bedachte mich einen Augenblick und wagte es, schwamm darauf los und habe die Schaluppe an den Wall gebracht unter dem unaufhörlichen Feuern der Meutlinge, so daß es Kugeln um mich her ins Wasser regnete, und ich jeden Augenblick dachte, nun kriegst du eine vor den Kopf, aber ich kam glücklich durch[41] und wohlbehalten bei der Schaluppe an. Ich zog das Ankertau ein und ruderte die Schaluppe an den Wall und ließ die Mannschaft in die Schaluppe gehen. Wir setzten die Segel bei und gingen darauf an Bord, (des Kanonenboots), aber wenn wir nun wieder anfangen, wollen wir das Ding noch besser machen, das ist nun das dritte Mal, daß wir mit ihnen zu thun haben, an Bord sollen sie uns nicht kommen, und wenn sie kommen, so gehen sie, wie mit dem Boot No. 2, hübsch gebraten zum Himmel. Nun, Vater, bitt' ich an Alle zu grüßen


euer euch liebhabender Sohn.

Meine Adresse ist auf dem Boot No. 33 vor Philippine.«


Das nenne ich mir einen wackern Matrosen. Von einer solchen That weiß ich gewiß, daß nur ein Mann Manns dazu ist. Dagegen läßt mich der erste grausenhafte Vorfall vor Antwerpen noch immer in Zweifel, ob der Held desselben ein Held war oder nicht, vor Allem, nachdem sich das rechte Licht über diese Geschichte verbreitet hat. Es ist nämlich eine Thatsache, daß die holländischen Seeoffiziere, welche damals vor der Schelde lagen, untereinander sich den Eid abgenommen hatten, eher mit ihren Schiffen in die Luft zu fliegen, als sich gefangen dem Feind zu übergeben. Die[42] holländischen Zeitungen erwähnen nichts hierüber, allein die Sache ist unbezweifelt: Van Speik hatte diesen Eid mit beschworen, und es scheint mir, das Gespenst desselben hat ihn gleich aufs äußerste gebracht und seine Kräfte zum Versuch der Gegenwehr gelähmt. Die Holländer vergleichen ihn in ihrem Enthusiasmus mit Reinier Klaassohn, mit Herrmann de Ruyter, zwei würdigen und markvollen Gestalten ihrer Geschichte. Allein alte vernünftige Holländer thun Einsprache gegen diesen Vergleich. Reinier Klaassohn schlug sich auf dem Meer zwei ganzer Tage lang unausgesetzt mit vier spanischen Gallionen herum, sein durchlöchertes Schiff drohte, jeden Augenblick zu versinken; da warf er sich mit der Mannschaft auf die Knie nieder, bat Gott um Verzeihung und sprengte den lecken Kasten in die Luft. Herrmann de Ruyter, dieser tapfere Schlachter von Herzogenbusch, Anhänger Wilhelms von Oranien, wehrte sich im Thurm von Löwenstein, in welchen er sich mit fünf und zwanzig Mann geworfen hatte, gegen dreihundert Spanier, bis auf das letzte Gemach im Thurm, bis auf den letzten Mann, den er bei sich hatte, bis auf die letzte Muskel seines Arms und dann erst ließ er den Thurm mit Todten und Lebendigen und sich selbst in die Luft fliegen.[43]

Sieht man nun das Conterfei dieses jungen Mannes – ich habe außer den Kupferstichen, die ihn vorstellen sollen, zwei Gemälde im Palast des Königs gesehen, worauf seine That abgebildet – so fühlt man sich noch weniger geneigt, der Vermuthung beizutreten, als wäre in ihm ein künftiger großer Admiral untergegangen. Er sieht gar nicht so aus, als wäre er vom alten Schrot und Korn der holländischen Seehelden, er sieht fade aus, und dieses ist eben nicht der Fehler von Martin Hargerts Tromp, oder des großen de Ruyter's Seelöwengesichtern.

Wie man aber auch den Mann beurtheilt, so bleibt gewiß, daß seine rasche That elektrisch wirkte, die Holländer ermuthigte, die Belgier stutzig machte.

Quelle:
Ludolf Wienbarg: Holland in den Jahren 1831 und 1832. Erster und Zweiter Theil, Hamburg 1833, S. 39-44.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Holland in den Jahren 1831 und 1832
Holland in den Jahren 1831 und 1832: Ein Reisebericht
Holland in den Jahren 1831 und 1832.