Brief in die Heimath.

[32] Du weißt, mein lieber Fritz, wie rasch ich die Gelegenheit ergriff, welche sich mir anbot, Deutschland zu verlassen und einige Zeit in Holland zuzubringen. Die Kunst war keine der letzten Rücksichten, welche mich dazu bestimmte. Ich war neugierig, diese handfeste Schule in ihrer Heimath, ihrer Werkstatt, ihrem eigentlichen Lebenselement zu studieren. Darnach wirst du kaum glauben, daß ich bis auf diesen Augenblick meinen Fuß noch in kein Museum gesetzt habe, weder im Haag, noch in Amsterdam. Ich mag noch nicht. Ich bin noch nicht in der Stimmung, Gemälde und Kunstsachen zu sehen, ich habe den Kopf von vielen andern Dingen voll, ich habe unter Anderm den Schnupfen. Ich bin jetzt schon satt vom ewigen Einerlei dieser Wiesen, Canäle und Windmühlen. Mich zerstreut selbst der Haager Kirmis nicht, obwohl das bunteste Gewühl von[33] Hof, Stadt und Land darin umherwogt. Ich bin mißmuthig. Ich benutze oft die Gelegenheit, welche man an den Küstenorten, wie Haag, glücklicherweise hat, Holland in Holland zu entlaufen, ich steige in die Dünen, wandle am Ufer der Nordsee und verschlage meine Gedanken in Wind und Wellen.

Du fragst mich, was ich zu dem letzten Schritt Eurer Stände sage: Ach, Fritz, geh mir weg mit Deinen Ständen und, willst Du mir einen Gefallen thun, so laß mich künftig in Ruhe mit Deinen Ständen. Mag jedes deutsche Ländchen sein Ständchen haben und bekommen, wie jedes Städtchen sein Theaterchen, und jedes Dorf sein Puppenspiel in Gottes Namen, wenn es den Leuten Vergnügen macht. Allein, eins möcht' ich, solltest Du Deinen Leuten ins Ohr raunen: schreit nicht so, thut nicht so wichtig, tretet nicht so herculisch auf, schont die Bretter, lauft nicht mit drei Schritten über die Bühne, stoßt nicht den Himmel ein, laßt den Blocksberg stehen, den alten Philister, rennt den Schwarzwald nicht um und vor allen Dingen macht Serenissimo auf seinem Lehnstuhle nicht unnöthige Besorgnisse.

Lieber Fritz, was hilft und nützt alles »Aus der Haut fahren,« wenn man doch immer im alten Balg stecken bleibt.[34]

Siehst Du's denn nicht, daß diese einunddreißig Constitutionsflicken uns noch lächerlicher machen in unserer bunten Jacke?

Begreifst Du's denn nicht endlich, verzeih mir, Fritz, wir haben so oft darüber gesprochen, und du hast mir zugestanden, daß der provinzielle, hausbackene Liberalismus dieser Leute eben so unerfreulich und kleingeistig ist, wie der adelige Servilismus, und daß er, statt dem Vaterlande in seinem Aufschwung zu helfen, sich nur gut gezeigt hat, und das alte unausstehliche Kannegießerwesen in Deutschland zu ernenen und hier und da einen Gassenlärm, einen Schloßbrand, eine Adresse und dergleichen zu Wege zu bringen. Aber das Volk, sagst du, muß doch einstweilen seine Vertreter haben, damit es wisse, wo die Gelder abbleiben, welche ihm die Regierung auspreßt und damit die Regierung nicht mehr bekomme, als billig und nöthig ist. Alter Junge, ich merke, Du wirst fett auf Deinem Landgut und guckst Deiner Frau mitunter in den Topf. Ihr reichen Schelme da wollt nicht gern herausrücken. Aber ich sage Euch, wenn ich erst an die Regierung komme, so will ich Euch ein anderes Evangelium lehren. Ich träume schon sehr viel davon. Vorige Nacht hatte ich den glücklichen Einfall, mich zum König von Preußen auf einige Zeit krönen[35] zu lassen, vorvorige Nacht stand ich auf dem Straßburger Münster und hielt einen langen Stock in der Hand, der reichte so eben von den Alpen bis an die Ostsee – Du kannst denken, daß ich nicht schlecht damit in Deutschland aufgeräumt habe.

Du fragst mich, ob und was ich lese in Holland. Sehr wenig, lieber Fritz. Drei Damen haben mir drei Bücher geliehen, darin blätterte ich von Zeit zu Zeit. Hier folgen sie: 1) ein ziemlich dicker Quartant in bekanntes Leder eingebunden, dem äußern Ansehen nach kanonischen Inhalts, in der That aber eine chronique scandaleuse, ein minitiöses Echo aller der kleinen Erbärmlichkeiten hiesiger Salons. 2) Eine Art Taschenalmanach, eingebunden in rothen Maroquin, goldner Schnitt, die Blätter gehen aber leicht auf und man liest den gewöhnlichen Inhalt: für Liebe und Freundschaft, die russische Masurka und andere neue Tänze und Tanztouren. 3) Ein seltsames und seltenes Buch im Umschlag von weißer Seide mit eingestickten Blumenaugen; es stehen darin viel räthselhafte Mährchen und Träume, in welchen Süd und Nord sich wundervoll begegnen, Alles mit silbernen Buchstaben auf rosenrothes Seidenpapier gemalt, und nach Art und Weise des künstlichen Mittelalters mit Schneeglöckchen und Lotosblumen, Engelköpfchen und Teufelsfratzen,[36] Marien- und Helenengesichtern und dergleichen polarischen Figuren abenteuerlich verziert. Fritz, es steigt mir zuweilen, wenn ich darin blättere, eine dunkle Erinnerung in der Seele auf, eine Ahnung, als hätte ich die eine Geschichte vom verzauberten Prinzen schon einmal gelesen, oder gar belebt und als wäre ich selbst der verzauberte Prinz gewesen und hätte den grünen Nixenpavillon in der Ostsee bewohnt und die allerseligsten Tage mit ihr zugebracht. Anfangs wird es mir grün und blau vor den Augen, dann sehe ich klarer, dann funkelt es durch die grünen Wellen wie Morgenröthe, dann schimmert das reinste Gaslicht durch Wände von Krystall und Smargad, dann bin ich selig und glaube, daß die Prinzessin es auch ist, und dann höre ich plötzlich den furchtbarsten Knall, die smaragdenen Scherben fliegen mir ins Herz und ich liege wie ein elender entzauberter Mensch auf ödem Fels im Meer und Du, mein alter treuer Fritz, stehst bei mir und verbindest meine Wunden.

Tolles Zeug! – Jan, en flammetje! As u belieft, mijn Heer. Jan bringt mir ein brennendes Schwefelholz und ich zünde seelenruhig meine Cigarre an. Einige Schritt von mir sitzt ein dicker Mijnheer und angelt nach der Amsterdammer Zeitung, die ihm vor fünf Minuten aus[37] der Hand fiel. Eben so lange sitzt er da und angelt, ohne die Zeitung erhaschen zu können. Ich springe auf und gebe sie ihm. Kann man sich als Fremder mehr Verdienste erwerben um Alt- Niederland? Die Holländer stecken mich an mit ihrem Patriotismus. Es ist auch unglaublich, wie viele Opfer sie in dieser Zeit auf dem Altar des Vaterlandes niederlegen. Von freiwilligen Gaben zur Pflege und Unterstützung des Lagers sind die Spalten ihrer Zeitungen gefüllt; Wein, Branntwein, Taback, Leinen, wollene Decken und was nicht alles Mögliche, denn es gibt fast keinen Gegenstand, auf welchen ihre patriotische Fürsorge nicht fällt. Diese geht so weit, daß sie sogar ihren alten Generalen Nachtmützen schenken, wenigstens dem alten Papa Chassé, wie ich so eben lese. Hier sind die Worte, welche schwarz auf weiß gedruckt in der Zeitung stehn, lies sie Deiner Frau vor:


bij het ministerie van Binnenlandsche zaken is ontvangen:

van –

van –

van vier Dames te Rotterdam eene witte gebreide wollen muts, bestemd voor den Liutnant General Baron Chassé, waarin gewerkt de woorden. »Leve Chassé 1831.«
[38]

Das Volk ist so naiv, daß es keine Miene verzieht, wenn es dergleichen liest. Jeder hält eine weiße, warme, wollene Nachtmütze für ein sehr wohlthätiges Geschenk für einen alten General, der einen kahlen Kopf hat, besser, als ein Paar lustige Lorbeerblätter, die an der Stirne frösteln. Und darin haben sie Recht. Ich glaube, Fritz, ich lege mir auch eine weiße gebreitete, wollene Mütze zu, obgleich ich weder alt, noch kahl, noch General bin; denn die Nächte, lieber Fritz, sind in Holland sehr feucht und kalt und daher habe ich auch den Schnupfen, wie gesagt.

Quelle:
Ludolf Wienbarg: Holland in den Jahren 1831 und 1832. Erster und Zweiter Theil, Hamburg 1833, S. 32-39.
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