Die Dünen.

[92] Von den Dünen hatte ich mir eine ganz falsche Vorstellung gemacht, ich dachte sie mir als ein für die National-Oekonomie völlig todtes Capital. Dieses sind sie keineswegs. Ich will nicht einmal der vielen Hasen und Kaninchen gedenken, auf welche man vom Helder bis an die Hoek von Holland Jagd macht, ich bemerke nur, daß diese Jagd nach der Meinung holländischer Gelehrten den alten Kaninefaten, das ist Kaninchenfressern, den Namen gab. Wahrhaft nützlich machen sich die Dünen durch Wiesenwachs und Kartoffelbau. Es blüht eine Kartoffel in den Dünen, welche mit der Castanie wetteifert, und man sieht Wiesen, worauf die fettesten Kühe weiden. Nichts überraschender, als vom kahlen Rücken einer Düne plötzlich in ein langes grünes Thal hinabzusehen, wo Bäche rieseln, Kühe brüllen, Pferde und Füllen springen[93] und wiehern. In der That, wer seine Güter in den Dünen hat, ist besser daran, als wer sie im Monde hat, wie Don Ranudo und mancher deutsche Graf.

Die Leute leben da freilich sehr einsam, allein an Unterhaltung fehlt es ihnen nicht. Das Meer rauscht, die Wolken ziehen, die Nebel tuschen die entfernten Gegenstände, der Sand tanzt auf den Hügeln und von Zeit zu Zeit streifen Jäger und Hunde vorüber, und die Dünenbauern selbst gehen auf die Jagd und lassen sich die Kaninchen eben so wohlfeil schmecken, wie die alten Kaninefaten, ihre Vorfahren.

Ich habe fast tägliche Wanderungen in diesen Sandhügeln gemacht und daher sind sie mir ziemlich bekannt und fast lieb geworden. Was der Wuth der Westwinde nicht beständig ausgesetzt ist, findet man bekleidet mit mehrerlei Arten Moos und insbesondere mit den Halmen zweier Sandpflanzen, welche mit dem krausen Wirrwarr ihrer Wurzeln und Haarwurzeln den feinkörnigen Muschelsand so tief und dicht durchflechten, daß der Kartoffelarbeiter oft Mühe hat, diesen mit scharfem Spaten zu durchstoßen. Genannten Sandpflanzen muß man die Erhaltung der Dünen zuschreiben, welche ohne dieselben längst in alle Winde verweht wären. Die eine wächst[94] büschelartig aus einer Knolle, deren Stiel oder Wurzel lothrecht im Sande steckt, der Holländer nennt sie halm. Die andere Art, eine Quecke, treibt nur einzelne grüne Schossen ans Licht, ihre schlanke, starke, in Knoten abgesetzte Wurzel läuft wagerecht im Sande und wird durch feine lange Haarwurzeln an jedem Knoten festgehalten. Diese Wurzeln durchkreuzen sich labyrinthisch unter einander, es hält daher nicht leicht, sie unzerrissen herauszuziehen, sie sollen mitunter eine Länge von zwanzig Fuß erreichen. Ich besitze eine abgerissene von acht bis zehn Fuß, ich, denn ich habe mir ein Vergnügen daraus gemacht, sämmtliche Dünenpflanzen eigenhändig aus dem Sande aufzukratzen und einzusammeln. Ich kenne daher die Flora der Dünen beinahe so gut, wie Alexander Humboldt bis Flora der Cordilleras de los Andes.

Ich habe sogar der Bildung der Dünen, ihrem Namen und ihrer Geschichte nachgespürt, und will darüber Alles auskramen, was ich gelernt und gedacht habe. Die Dünen – – Duin, Dun ist ein celtisches Wort, bedeutet Höhe, wie es scheint, so Lugdunum Dünsicht – die Dünen sind offenbar durch mächtige Stürme der Vorzeit aufgeworfen, wozu der aufgeregte Meergrund seinen Sand herschüttete. Diese Stürme kamen aus Nordwests, oder vielmehr aus West-Nordwest, weil[95] alle bedeutenden Windgruben, nackte Stellen, große Thäler nach dieser Richtung liegen. Die Dünen werden von den römischen Schriftstellern, welche von der batavischen Insel sprechen, namentlich von Tacitus und Plinius, durchaus nicht erwähnt, weder dem Namen, noch der Sache nach. Darauf beruht die hergebrachte Meinung hier zu Lande, welche die Zeit ihres Ursprungs hinter Karl den Großen setzt. Nach dieser Zeit werden sie wirklich in alten Handschriften genannt, obwohl nicht als etwas Neues. Ich vermuthe, sie sind älter, wenn auch nicht so breit und hoch, wie sie daliegen. Wie war es möglich, denke ich, daß die batavische Insel ohne das Dünen-Bollwerk einem an Zahl nicht unbedeutenden Volksstamme zur Wohnung hat dienen können, da, wie bekannt, diese Insel tiefer liegt, als die See. Brächen die Dünen in diesem Augenblick durch, so wäre ich ein Kind des Todes und Hunderttausende mit mir. Ohne starke und hinlänglich hohe Seedeiche läßt sich an keine Bevölkerung in Holland denken. Die Bataver, die Kaninefaten, welche längs der Küste wohnten, müßten solche Deiche, die Dünen, bei ihrer Ankunft aus dem Lande der Katten vorgefunden haben, um nur ihre erste Niederlassung bewerkstelligen zu können. Auch weiß man nicht, daß sie große Deichbauer gewesen sind, man liest vielmehr, daß sie[96] erst von den Römern die Anfänge der Wasserbaukunst gelernt haben. Diese Leute sagt man, wohnten auf Hügeln zerstreut im Lande umher. Dadurch retteten sie sich allerdings vor dem Ersaufen. Aber wie retteten sie sich vor dem Verhungern, wenn das Land Jahr aus Jahr ein unter Wasser stand? Und wo kamen die schönen Kaninchen her, welche die Kaninefaten fraßen, wenn es keinen Hochsand an der Küste gab, worin diese Thierchen nisten und hecken konnten? Und wie reimt sich damit die Sage von dem alten großen Walde, welcher in der Entfernung einer Stunde von der Küste das Land von einem Ende zum andern bedeckt haben soll, und als dessen Ueberreste man noch den haager Busch und das Holz von Haarlem angibt?

Ich meine, es gab schon vor Ankunft der Bataver einen Sandwall längs der Küste. Dieser hat sich nur im Laufe der Jahrhunderte erhöht und ausgebreitet. – Unter Haarlem sind die Dünen am breitesten und höchsten; dort ist auch die Küste am tiefsten ausgeschnitten. Beim Haag sind die Dünen eine gute halbe Stunde breit; je weiter nach unten und jemehr das Land nach Westen gewinnt, desto schmaler und niedriger wird die Sandkette. Auf den vorspringenden Inseln der Maas sind die Dünen stellenweise schon ganz verweht,[97] ein Beweis, daß sie dort sehr niedrig und schmal aufgeworfen waren. Dort hat man auch unter den verwehten Dünen einen alten künstlichen Deich aus der Römerzeit entdeckt oder entdecken wollen. Vielleicht sind die Dünen in jener Gegend mehr als einmal verweht und aufgeworfen.

Man unterscheidet drei Reihen, 1) die Küstenreihe, 2) die mittlere, welche die breiteste und höchste ist und 3) die äußere letzte, welche vielleicht der Zeit nach die erste und älteste ist. Diese hat ein mehr haidenartiges Ansehen, auf keiner der beiden andern wächst das gewöhnliche Haidekraut, welches sie fortbringt. Zwischen ihr und der mittleren Reihe liegen fast ununterbrochene Wiesen und eine gute Zahl einzelner Bauerhäuser und Hofstätten.

Man könnte außerdem die lange Sandbank, welche sich an der Küste von Holland hinzieht und größeren Schiffen das Anlanden bei Schevelingen, Katwyk u.s.w. unmöglich oder gefährlich macht, als vierte Dünenreihe hinzufügen. Sie ist vermuthlich die große Streusandbüchse, welche der holländischen Küste mit jeder neuen Fluth frischen Sand zuführt und dieselbe von Jahr zu Jahr höher legt. Feindin der holländischen Schifffahrt, hat sie den Texel und die Mündungen der Maas und des Rheins versandt und außerordentliche[98] Kosten zur Anlegung großer und tiefer Canäle nothwendig gemacht. Die Mündungen der Schelde sind dagegen von diesem Uebel weit mehr verschont und für die größten Schiffe offen und fahrbar geblieben. Ein beneidenswerther Umstand für Antwerpen, der in Verbindung mit der vortheilhaften Handelslage der Stadt und deren geräumigem und schönem Hafen Antwerpen zu einer der ersten Handelsstädte der Welt machen wird, sobald es nämlich den eifersüchtigen Holländern nicht zum zweiten Mal gelingt, durch die Schließung der Schelde ein unerhörtes Verbrechen zugleich an der Natur und an der Gesellschaft zu erneuen, oder auch durch übertriebene Ansprüche, durch ihre Tonnen- und Lootsenrechte und andere ungebührliche Beschränkungen der freien Stromfahrt der Stadt Antwerpen die natürlichen und rechtmäßigen Vortheile ihrer Lage zu schmälern.

Quelle:
Ludolf Wienbarg: Holland in den Jahren 1831 und 1832. Erster und Zweiter Theil, Hamburg 1833, S. 92-99.
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