Hut- und Mützencapitel.

[99] Ländlich, sittlich. Die Holländer behalten in der Kirche den Hut auf dem Kopf. Dies thun sie nicht wie die Juden aus einem religiösen Aber, sondern aus Vorsicht gegen die feuchte Kirchenluft. Das lasse ich mir gefallen. Der liebe Gott sieht uns überhaupt in der Kirche nicht auf den Kopf, sondern ins Herz. Allein der holländische bürgerliche Normalhut ist schwerfällig, ungestaltet, baderartig, oben breit, unten spitz u.s.w. Das verzeihe ihnen der gute Geschmack, den man eben so wohlfeil fabricirt, wie den schlechten Geschmack.

In sehr alten Zeiten trugen die Holländer gar keine Hüte, auch keine Mützen. Sie gingen, was wir nennen, im bloßen Kopf, aber die Menschen hatten damals außerordentlich viel Haare auf dem bloßen Kopf. Damals nannten sie sich Bataver, Kaninefaten oder Kaninchenfresser, Marsen u.s.w. Später, unter ihren Grafen, trugen die Holländer[100] eine Zeit lang rothe und graue Mützen. Die mit den rothen Mützen nannten sich die Huks, die mit den grauen bis Kabeljauer; wenn sie sich begegneten, schlugen sie sich todt und daher waren diese Mützen sehr gefährlich zu tragen.

Dann kamen die burgundischen und spanischen Hüte in die Mode. Mit diesen Hüten sieht man sie noch auf den Bildern von Rembrand, Franz Mieris und der andern Maler jener Zeit. Darunter sahen die Holländer kecker und listiger aus, waren es auch vielleicht. Eine besondere Abart des spanischen Huts, war der Hut der Wassergeusen, darauf war ein Halbmond genäht mit der Umschrift, lieber türkisch als papistisch. Er muß die zerhackten sturmdurchwehten Gesichter dieser einarmigten und einbeinigten Seepanduren Wilhelms des Ersten sehr malerisch beschattet haben.

Weniger malerisch, aber desto ehrbarer saßen die dreikantigen Hüte auf den Köpfen der Holländer. Gott weiß, wie das Ungethüm des dreikantigen Huts aus dem schönen spanischen Hut entsprossen ist. Ganz Europa trug im 18. Jahrhundert das Joch dieses Tyrannen, er setzte sich auf einen Thron von Haarpuder, nahm den Zopf als königliches Scepter in die Hand und übte einen unausstehlichen Druck auf alle Köpfe aus. Darauf bekam er die Jacobinermützen in Paris zu seinen[101] Todtfeinden, und ward in den Sturz der Bourbonen mit verwickelt. Da es aber früher revolutionaire Köpfe, als revolutionaire Mützen gab, so muß man ihm die Fähigkeit zugestehen, revolutionaire Ideen bis auf einen gewissen Grad der Reife ausbrüten zu können. In Holland kam sogar die kurze Revolution vom Jahr 1785 ausschließlich unter diesen Hüten zu Stande; die Patrioten, welche den Statthalter verjagten, der Statthalter, welcher sich von den Patrioten verjagen ließ, hatten dreikantige Hüte auf dem Kopf – die Preußen, welche den Statthalter an der Spitze ihrer Bajonette wieder zurückführten, ebenfalls. Man kann sogar nicht ohne Schein die Behauptung aufstellen, daß für Holland die dreikantigen Hüte ihrer demagogischen Natur nach dasselbe sind, was die rothen Mützen für Frankreich, die schwarzen Kappen für Deutschland und die weißen Hüte für Polen. Der dreikantige Hut hat die batavische Republik gekannt, und so lange es noch einen dreikantigen Hut in Holland gibt, stirbt die republicanische Erinnerung nicht. Wenn ein dreikantiger Hut auf dem Kopf eines der alten stämmigen Leute aus jener Zeit über die Straße wandelt, so scheint er mit stiller Verachtung auf seine entarteten Brüder, die runden Königsdiener herabzublicken.

Mir begegnet fast täglich auf meinen Spatziergängen[102] in den Dünen ein hoher alter Mann, dem das lange Silberhaar ehrwürdig auf die Achseln herabfällt. Er trägt sein Bambusrohr im gehörigen Winkel von 75° in der Hand und seinen dreikantigen Hut mit nicht weniger Stolz, wie ein alter Hirsch sein Geweih. Man sieht, daß er seinen Liebling fleißig bürstet, daß er ihn schont – wenn er mich grüßt, läßt er ihn nur freundlich nicken, ohne ihn mehr als mit den Finger spitzen weich zu berühren. Dennoch hat er ihn nicht vor der Verwüstung der Zeit schützen können. Der alte Hut ist schon sehr alt, kahl und voller Furchen, welche Gram und Zeit in seine breite Stirn gezogen haben, die Tage seines Glanzes sind längst vorüber, er ist unter Brüdern keinen Gulden mehr werth, nimmt der Alte vermöge einer ausdrücklichen Verfügung in seinem letzten Willen ihn nicht mit ins Grab, so fürchte ich, der alte Hut wird noch einmal auf den Kopf eines Lausejuden in die Synagoge wandern müssen. Ich sah ihn heute mitleidig darauf an. Der Alte schien es zu bemerken und mißzudeuten. Er grüßte wie gewöhnlich, aber er lächelte wehmüthig bitter, seine Lippen rührten sich, er murmelte etwas in den Bart, ich glaube, er murmelte: junger Mensch, halte dich nicht auf über meinen Hut; dieser Hut ist mir heilig, dieser Dreimaster, wie die junge Welt ihn[103] spottweise nennt, ist ein Wrack aus dem Schiffbruche der Republik und darum verspotte ihn nicht.

Ich weiß nicht, ob der Greis etwas Aehnliches murmelte. Es ist aber gewiß, daß ich in Gedanken meinen Weg fortsetzte, auf die höchste Düne stieg und im Angesicht der wilden demagogischen See in die Worte ausbrach:


Verschwunden ist der Name Republik

Venedig ist erdrückt und Holland duldet

Den Königsthron und trägt den Purpurmantel.


Das erste Mal, so viel ich weiß, daß ein dreikantiger Hut mich an Lord Byron erinnerte.

Quelle:
Ludolf Wienbarg: Holland in den Jahren 1831 und 1832. Erster und Zweiter Theil, Hamburg 1833, S. 99-104.
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