Erster Auftritt.

[7] Zoe; dann eine Frau und ein blinder alter Mann. Zoe kommt von links, in weißem, schlichtem Gewand, um ihr Gesicht ein Schleier oder Kopftuch, ein Bündel über der Schulter, matten Ganges, erschöpft. Blickt mutlos umher.


ZOE.

Verirrt! – Kein Baum, kein Quell. Nur öde Stille.

Die Kniee brechen; matt vom heißen Licht

Der gelben Wüste und des ehrnen Himmels

Erlöschen mir die Augen; und noch immer

Sehn sie Palmyra nicht! – – Ich muß hier rasten.


Setzt sich auf die Felsbank.


Schweigsame Wüste! Deine Wellen schlafen;

Stumm alle Kreatur. Nur Adler kreisen

Geräuschlos in der meeresblauen Ferne[7]

Und steigen unsichtbaren Ufern zu,

Wie hehre Geister, die kein Durst verbrennt

Und kein Ermatten drückt. – O wenn hier Geister

Des Himmels fahren übers Meer der Wüste,

Umrauscht mich! weht mir Kraft und Kühle zu,

Stärkt mir die Brust und zeigt mir meinen Weg!


Eine blasse, kranke Frau und ein blinder Alter, gebrechlich, beide in schlechten Kleidern, kommen von links mühsam, die Frau den Blinden führend, der von Zeit zu Zeit mit schwacher Stimme hüstelt. Frau legt einige halbverwelkte Blumen, die sie in der Hand trägt, neben der Felsbank auf die Erde nieder; dann verneigt sie sich tief gegen den Fels, mit gekreuzten Armen.


DIE FRAU etwas ungeduldig.

Verneig dich auch!

DER BLINDE.

Wir sind zur Stelle?

FRAU.

Hab' ich's

Nicht schon gesagt?


Die Stimme hebend.


Wo bist du, Höhlensiedler?

Herr, Herr, wo bist du?

BLINDER hüstelnd.

Herr, o Herr!


Hüstelt wieder.


ZOE erstaunt.

Wen ruft ihr?

FRAU blickt Zoe mißtrauisch an.

Den Alten, der hier wohnt.[8]

ZOE blickt verwundert umher.

Im nackten Fels?

FRAU zutraulicher.

Wärst du nicht fremd, so würdest du nicht fragen.

Einsiedler hausen in Aegyptens Wüsten,

Im nackten Fels; so diesem Alte hier


Leiser.


Doch halten ihn die Klugen in Palmyra

Für keinen Menschen; für den großen Geist,

Den Herrn des Lebens. Selten zeigt er sich;

Und will er nicht, so muß man wieder gehn.

Auch kommt statt seiner, weh uns! dann und wann

Der schwarze Geist, den alle fliehn und hassen,


Noch leiser.


Der Herr des Todes.

ZOE ungläubig lächelnd.

Glaubst du?

FRAU stößt den Blinden an.

Ruf ihn, Alter.

BLINDER hüstelnd, mit schwacher Stimme.

O Herr! O Herr!

FRAU.

Da zirpt er wie ein Heimchen.


Verneigt sich wieder tief mit gekreuzten Armen.


O Herr des Lebens! zeige dich uns Armen!


Quelle:
Adolf Wilbrandt: Der Meister von Palmyra. Stuttgart 61896, S. 7-9.
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