[185] Die Vorigen; Zenobia jung, bleich, dunkel gekleidet den Kopf eingehüllt, wodurch sie an Zoe erinnert; von derselben Darstellerin gespielt mit einem Knaben, auf den sie sich stützt hinter ihr ein Greis mehrere Weiber und Kinder alle aus der Basilika.
ZENOBIA zu den Weibern.
Nun geht. Ich dank' euch, dank' euch
Für euren Dank; wer mehr noch danken will,
Der lass es Gott zukommen. Dem gebührt's.
Eine der Frauen will Zenobias Gewand küssen; sie wehrt es ihr.
[185]
Hinweg von meinem Kleid! Willst du noch einmal
Dich so entwürdigen mich zur Hoheit machen,
So kenn' ich dich nicht mehr!
Die Frau schleicht verschüchtert mit ihrem Kind hinweg. Zenobia ruft sie freundlich lächelnd zurück.
Ein Wort noch! – Laß mich
Dein Kind noch küssen.
Das Kind läuft zu ihr; sie küßt es. Dann zur Mutter.
Lieb es mit Geduld;
Dann hat es Sonne. – Geht!
Mutter und Kind ab, den andern nach, die schon nach links abgegangen sind; nur der alte Mann bleibt stehn.
Was willst du noch?
Ich sagte dir, ich zaub're nicht. Das Leben
Verlängern kann ich nicht und wills auch nicht.
Hängst du so sehr am Leben, alter Mann,
So geh zum Arzt und bitt ihn, dir zu helfen.
Der Alte geht; mühsam, auf einen Stab gestützt, hustend. Zenobia sieht ihm mitleidig nach.
So krank! – und liebt es noch, sein elend Leben!
Setzt sich auf einen Stein, sinnt vor sich hin. Der Alte links ab.
APELLES hat Zenobia in wachsender Bewegung beobachtet; für sich.
An wie viel andre mahnt mich dies Gesicht.
Ihr wechselnden Gestalten, die mein Leben
Blüh'n und vergehen sah, wandelt ihr vorüber
Auf diesem fremden Antlitz, wie die Farben
Des Regenbogens im betauten Licht
Tritt mir hier neu geformt der Geist entgegen,
Der euch durchlebte der von Form zu Form
Sich in den Weg mir stellte, wie um mir
Zu sagen: während du dich klammertest[186]
An diese Form, die sich Apelles nennt,
Und dich als leeren Schatten überlebst,
Durchschritt ich Form auf Form, in Zickzackbahnen
Doch weiterschreitend, meinem Ziele zu? – –
Ich will, ich muß sie anfleh'n –
ZENOBIA hat wieder nach links geblickt; zu dem Knaben.
Elabel!
Dort sitzt der Alte nieder. Geh und gib ihm
Ein Goldstück. Laß mich dann. Hier will ich sitzen
Lächelnd.
Und nichtsthun. Kommt in einer Stunde wieder.
Der Knabe ab nach links. Apelles tritt vor.
APELLES.
Vergib: ich red' dich an. Wenn du – nicht Heilige,
Doch heilig gut und liebreich – wenn du neue
Gestalt der Seele bist, die wunderbar
Mein Leben hat begleitet; oder wenn
Die Gnade Gottes dir Vergessenheit
Des einst Erlittnen schenkte: hilf auch mir
Zu dieser Gnade, diesem Götterbalsam,
Der halber Tod doch ist. Vergessenheit!
ZENOBIA ihn lange und mit tiefem Sinnen betrachtend.
Wer bist du – Kenn' ich dich doch nicht. Und doch –
In Träumen sah ich dich. Im Geistes-Zwielicht,
In rätselhafte Dämm'rung des Gedenkens
Erschienst du mir; – so grau nicht – jung – dann älter
Und wieder älter ... Dämm'rung schwebt um mich;
Ein Traum der Seele. – Wunderlicher Fremdling,
Und kenntest du mich auch? Zenobia heiß' ich –[187]
APELLES.
Nicht Zoe? – Phöbe?
ZENOBIA sieht ihn verwundert an.
Nein. – Doch fahren mir
Die Namen, die du nennst, wie ferne Blitze
Durch meines Traumes Nacht. Lebendige
Gestalten tauchen auf, und nah'n, und wachsen
Zu mir heran – und wenden Ich. Und weiter
In Künft'ges schau ich ... Nun zu Nebeln wird's!
Lächelnd.
Vergib. So träum ich oft. Drum glauben auch
Die spöttischen Zweifler, irren Geistes sei ich;
Die Frommen grüßen mich als Heilige.
Verkehrt ist beides. Nur ergeben bin ich
In Gottes Willen, der so schwer mich prüft,
Doch mich mit schaurig süßer Ahnung tröstet;
Und trachte, gut, den Menschen hold zu sein
Und so für das, was kommen mag, zu reifen –
Bis mich der Geist wird rufen: Folge mir,
Es lichtet sich der Tag!
APELLES erschüttert, nach längerem Schweigen.
Ja, nun erkenn' ich's.
O Wunderrätsel du, das meinen Weg
So oft verwandelt kreuzte; holde Flamme
Des vielgestaltigen Lebens! Nun erfass' ich
Des hohen Meistes Meinung, – ach, zu spät.
Es springt des Lebens Geist von Form zu Form;
Eng ist des Menschen Ich, nur Eine kann es
Von tausend Formen fassen und entfalten,[188]
Nur Eine Straße geh'n; drum tracht' es nicht
Ins lebenwimmelnde Meer der Ewigkeit,
Das Gott nur ausfüllt! – Sollt' es dauern, müßt' es
Im Wechsel blühen, wie du! von Form zu Form
Das enge Ich erweiternd, füllend, läuternd,
Bis sich's in reinem Licht verklärt. So könnten wir
Vielleicht, allmählich, Gott entgegenreifen.
Ein holder Traum! – Doch nicht für mich. Mein Fluch
Liegt fest. Ich wandle meines Weges weiter
Leb wohl, Zenobia!
Geht langsam den Säulen zu. – Die Geistermusik des ersten Aufzugs ertönt wieder. Zenobia horcht auf, wie mit erwachendem Geist.
ZENOBIA nach einer Weile, mit verändertem Blick und feierlicherer Stimme.
Apelles!
APELLES bleibt stehen.
Rufst du mich
Bei meinem Namen?
ZENOBIA.
Wer du bist, nun ahn' ich's.
Und mir im Aug' wird's hell: auf deiner Stirn
Seh' ich das Zeichen, das dich schlaflos machte.
Und eine Stimme spricht: Erlösung dem,
Der, lang geprüft, des Lebens Rätsel und
Des Todes Lehre faßte! – Komm zu mir
Und neige dich zu mir: ob ich die Stirn
Dir kühlen kann, die so von Leben glüht
Und nach Erquickung schmachtet.
Er sinkt vor ihr nieder; sie legt ihm die Hand auf die Stirn.
[189]
APELLES.
O Zenobia!
Ja, deine Hand ist kühl. Ein weiches Frösteln
Durchschauert mich; vom Haupt zum Herzen rinnt's; –
Ein selig Stillestehn. – O könnt' ich so
Hinüberdämmern in die Nacht des Friedens,
Nie zu erwachen!
ZENOBIA.
Oder anderswo.
Gesang der jungen Palmyrener in der Ferne, gedämpft, im Chor.
Also will's der ewige Zeus: du mußt nun
Niedersteigen unter die blühende Erde,
Mußt die dunkle Persephoneia küssen,
Schöner Adonis!
APELLES während sie singen.
Das ist das Lied – – Sie kommen schon zurück.
Des Nymphas letztes Lied ... Mein letztes auch?
Ist's keine Täuschung? – Dunkler wird's am Himmel.
Nein; hie im Aug'!
Sein Blick erstarrt.
Adonis! – Kehr' ich wie
Adonis auch zum Licht?
ZENOBIA.
Du wirst's erfahren.
APELLES.
Wohl denn. – O Mutter Erde! fahre wohl!
Du warst mir hold – ich liebte dich so sehr –[190]
Blüh nun den andern! All ihr Lebenden,
O seid gesegnet! blüht im Sonnenlicht!
Apelles geht zur Ruh.
Pausanias steht hinter Apelles, nimmt still dessen erhobene Hand.
Noch eine Hand
Berührt mich; kalt. – Du bist's! – – Ich danke dir.
Stirbt. – Der Gesang dauert noch fort – die andere Strophe sich nähernd.
Der Vorhang fällt.
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