[180] Apelles; Pausanias tritt aus den Trümmern von Apelles' Haus hervor; wie im vierten Aufzug, doch nicht mit der Leier.
PAUSANIAS.
Du siehst, ich hör' dich.
So bin ich nun willkommen? Scheuchen mich
»Genuß und Arbeit«, deine Zwillingsbrüder,
Nicht mehr hinweg?
APELLES.
Ich will hinab! Dahin
Sind Stolz und Trotz der todesmüden Seele! –[180]
Genuß! Genossen hab' ich bis zur Hefe;
Und nur die Arbeit fühl ich noch, zu leben.
Ihr rüstigen Glieder, seid verflucht! Vertrocknet
Ist mir des Daseins rieb und Lust; gestorben
Sind meine Zeiten, über Gräber wandl' ich.
Nur der kann leben, der in andern lebt,
An andern wächst, mit andern sich erneut;
Ist das dahin, dann, Erde, thu dich auf,
Treib neue Menschen an das Licht hervor,
Und uns, die Scheinlebendigen, verschlinge!
Zu Pausanias.
Führ mich hinab! Ist mir des Lebens Zeichen
Auf diese Stirn gezeichnet,
Schlägt seine Stirn mit der geballten Faust.
Ich zerschlag' es;
Ich bin ein Mensch, ich hab' des Todes Recht,
Und wie die Toten alle will ich sterben!
Wirft sich auf die Erde.
PAUSANIAS.
Willst du auch sterben, kann ich dich nicht töten.
Hier lag die Chistin, und des Geistes Stimme
Verdammte dich durch ihren Mund. »Du wirst
Nun ewig wachen ohne Schlaf des Todes!« – –
Rufst du mich nun? Wie hast du mich geschmäht,
Den »Höllengeist«, den »Unhold«. Kennst du mich
Nun besser? Gar so unhold bin ich nicht.
Ich bin der Tröster auch, der »Sorgenlöser«,
Der müde Häupter auf das Kissen legt
Und Schmerzen heilt, die anderm Schlaf nicht weichen.
Und wer verbürgte dir, daß ich der letzte
Von allen Schlummern bin? daß diese Hand[181]
Nicht langsam, leise – oder knarrend auch –
Die Thür nur öffnet, die ins Feie führt
Ins Andre? Ins – – Wer weiß es?
APELLES.
Wie auch immer.
Sei, wer du seist! Dich will ich! Dich, den Tod!
PAUSANIAS schüttelt langsam den Kopf.
Ich habe keinen Teil an dir.
APELLES.
Und ich,
Wie soll ich leben?
PAUSANIAS.
In Geduld.
APELLES.
Ich kann nicht.
Tot ist Geduld, mit allem, was mir tot ist.
Nur noch Erinn'rung lebt in meinem Geist,
Das Gift, das tief verwendet, doch nicht tötet.
Wenn ich nicht sterben kann, will ich vergessen;
Gib mir Vergessenheit!
PAUSANIAS.
Die hab' ich wohl;
Doch für die Meinen nur. Lebend'gen kann sie
Nur der Lebend'ge reichen! – – Schau hierher:
In dieser Kirche, die du einst gebaut,[182]
Die, wie den Tempel, Erd' und Feu'r zerstörten,
Daß jetzt der Himmel auf die Steine blickt,
Mit denen du so bunt den Boden schmücktest – –
Schau hin.
APELLES.
Ich sehe nur ein Weib; geführt
Von einem Knaben.
PAUSANIAS.
Schau nur hin.
APELLES.
Sie scheint
Noch jung; doch bleich die Wangen; und der Mantel
Umschließt ihr, halb verhüllend, das Gesicht.
Ein ernster Anblick, der zur Wehmut stimmt;
Und doch nicht traurig – –
Plötzlich.
Götter!
PAUSANIAS.
Nun? was ist?
APELLES.
Das ist die Christin! Zoe!
PAUSANIAS lächelnd.
Wie du träumst.
Die Toten wandeln nicht. – Sie mag im Aug' ihr,
Im Haar, in diesem oder jenem gleichen.
Schau besser hin.
APELLES.
's ist Zoe nicht – Die sah ich
Vor ungezählten Jahren;
Auf seine Stirn deutend.
[183]
unklar dämmert
Nur noch ihr Bildnis hier; – doch schien mir plötzlich,
Sie wandle wieder, schaue mir ins Antlitz
Schauernd.
Mit jenem Geisterblick! – – Nun schaut sie weg;
Die andre. – – Edel die Gestalt. Doch geht sie
Langsam und mühsam
PAUSANIAS.
Weil die Kraft noch fehlt.
Als dieses Dach der Erdstoß niederstürzte,
Begrub er sie, mit Mann und Kind. Die beiden
Fand man erschlagen; sie, vom Schutt bedeckt,
Wie durch ein Wunder wacht sie auf zum Leben –
Und an ein Wunder glaubt nun auch das Volk.
Doch glaubt es auch, die Gnade Gottes hab ihr
Vergessenheit geschenkt: denn niemand hört sie
Beklagen, was sie hier verlor.
APELLES.
Vergessenheit! –
O Götter!
PAUSANIAS.
Schau noch hin.
APELLES.
Es stehen Frauen
Und Kinder um sie her; und Männer kommen. –
Sie spricht mit jedem; freundlich, anmutsvoll; –
Sie lächelt auch. Ein endliches Lächeln;
Verwundert träumend.
[184]
Wie aus vergangner Zeit; denn wundersam
Gemahnt's mich an – –
PAUSANIAS.
Laß das Vergangne ruh'n.
Sie spricht mit allen, weil sie hilfreich ist;
Denn dieses Volk, das sie für heilig und
Von Gott gesegnet hält, erfleht sich Rat
Und Trost von ihr und Beistand; wohl auch Wunder. –
Was packt dich an?
APELLES.
Sie kommt. Und wieder schaut
Mir jener Geisterblick ins Aug'; der Blick,
Der mir den Fluch des Lebens hingezeichnet –
PAUSANIAS.
Still! Tritt zurück!
Ausgewählte Ausgaben von
Der Meister von Palmyra
|
Buchempfehlung
Der lyrische Zyklus um den Sohn des Schlafes und seine Verwandlungskünste, die dem Menschen die Träume geben, ist eine Allegorie auf das Schaffen des Dichters.
178 Seiten, 9.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro