Vierter Auftritt.

[11] Lätorius mit seinem Volkshaufen, Kleon, die Bürger; später Metellus, Opimius, Senatoren und Gefolge.


KLEON im Vordergrund. Nur zu, nur zu; nur Alles drunter und drüber! – Leute, ich glaube, es giebt wieder eine lustige Zeit! Es riecht in der Luft nach Blut. Seinen Bruder Tiberius haben sie mit Knütteln todtgeschlagen: den Gajus werden sie vielleicht auf ihre Schreibgriffel spießen.

LÄTORIUS näher tretend. Möchtest du etwa auch mit anfassen, du bissiger Hund?

KLEON fährt auf. Wer sagt mir das? – Elender Aventiner. Packt Lätorius an der Brust.

AGRICOLA. Halt! Mit Fäusten wird hier nicht geantwortet. Laß los! Das Volk tritt hinzu; Lätorius stößt Kleon zurück.

KLEON. Wenn ich ein Hund bin, soll ich ihm nicht an die Kehle fahren? – Ich bin Kleon, der Freigelassene, ein ehrlicher Mann; wer bist du, Bleichgesicht?[11]

LÄTORIUS. Lätorius, meiner Mutter Sohn, – und kein ehrlicher Mann, wenn du einer bist. Ich kenne dich! Deinesgleichen verpesten uns die Luft, und dann glauben sie, es rieche nach Blut. Deinesgleichen möchten aus Rom eine Räuberherberge machen –

KLEON ist nach rechts zurückgetreten, ein Haufe um ihn her. Ich kenne dich auch, Aventiner! – Das ist Einer von Denen, die Nachts aus dem aventinischen Berg ihre Versammlungen halten und sich gegen den Senat, gegen die Republik, gegen die Regierung verschwören. – Reiß mir die Zunge ans, wenn du kannst! Es lebe der Senat! Der Hause um ihn wiederholt: »Es lebe der Senat!«

LÄTORIUS links mit seinem Haufen. Mit dir streit' ich nicht. Es lebe das freie Volk! Sein Haufe fällt ein.

CARBO. Vor Allem lebe der Friede!

KLEON. Was Friede! Mit diesen nächtlichen Bleichgesichtern brauch' ich keinen Frieden; – die wird der Senat auseinanderjagen, wie die Fackel die Fledermäuse. Reiß mir die Zunge aus, wenn du kannst! Nieder mit dem Gracchus!

VOLKSHAUFE. Nieder mit dem Gracchus!

LÄTORIUS. Nieder mit euch! Tritt vor. Sie wollen handgemein werden.

AGRICOLA. Halt! Ruf des Lictors hinter der Scene: »Platz für den Consul!« – Lätorius bleibt stehen; das Volk tritt nach beiden Seiten zurück. Von hinten links erscheint der Consul Metellus, die Lictoren mit Beilen und Ruthenbündeln vor ihm her, zwei Schreiber ihm folgend; dann Opimius, zwei Censoren, Senatoren und nachdrängendes Volk.

METELLUS alt, grau. Wer lärmt hier Stille. Wenn sich Senat und Volk auf diesem Platze versammeln, so thun sie's, um mit der Götter[12] Hülfe würdig zu berathen, nicht um wie Knaben zu lärmen! – – Opimius, ich kann dir sagen, ich weiß es; als ich hierher ging, rief mir's Livius Drusus zu. Er ging vorbei, lief mehr, als er ging, und rief unterwegs: Consul, der junge Gracchus ist da, so wahr ich lebe! Heute noch werdet ihr ihn auf dem Forum sehen, wo er sich rechtfertigen will, vor dem versammelten Volk!

OPIMIUS mit wildem Hohn. »Rechtfertigen!« – Sich den Hals brechen! – Er komme nur, das Gesetz wird ihn fassen!

METELLUS. Er soll ein gewaltiger Redner sein: darauf baut er. Einmal, vor fünf Jahren oder sechs, hab' ich ihn gehört; da war er der jüngste von allen römischen Rednern. Als er vor Gericht den Lätus vertheidigte –

OPIMIUS. Den Vettius, willst du sagen; und vor vier Jahren, nicht sechs.

METELLUS empfindlich. Hört den Pedanten, den Opimius; er will mich's fühlen lassen, daß ich zehn oder zwanzig Jahre früher alt werde, als er! – Den Vettius also. Da sprach er wie eine Posaune! Alles jauchzte ihm zu. Er hatte so etwas Feuriges –

OPIMIUS mit Spott. Guter Metellus! Wenn dein Feind, der Tiger, ein schönes Fell hat, so bleibst du stehen, dich daran zu freuen; – guter, guter Metellus! Ich sehe nur auf seine funkelnden Augen und auf das gute Schwert in meiner Hand. Gajus Gracchus, unser geborner Feind, mag kommen und reden: wir werden ihn nicht bewundern, sondern ihn richten!

LÄTORIUS ist etwas näher getreten; aufgeregt. Es lebe Gracchus!

OPIMIUS. Wer ruft da?[13]

LÄTORIUS. Ich.

OPIMIUS sich hochmüthig von ihm abwendend. Wer ist dieses blasse »Ich« mit den glühenden Katzenaugen, – mit denen er sich Abends, wenn's ihm an Kienholz fehlt, seine Dachkammer erleuchten kann?

LÄTORIUS. Ein Mann wie du, – wenn ich auch keine Sclaven peitschen lasse und kein Handwerk verachte.

OPIMIUS zu den Senatoren, ohne Lätorius anzusehen. Ich hatt' euch einmal versprochen, euch einen von den nächtlichen »Aventinern« zu zeigen! Seht ihr, das ist einer; sie haben Augen, womit sie im Dunkeln sehn. Da sitzen sie dann ihrer zehn oder zwanzig unter den Sternen beisammen, hören unten die Tiber rauschen, verbuchen den Senat und setzen Rom unter Blut. Sie haben eine Gesandtschaft nach Sardinien an Gajus Gracchus geschickt, einen hungernden Schneider und einen barfüßigen Schuhflicker, um ihn »im Namen des Volk's« zum König der römischen Republik zu ernennen Senatoren und Volk lachen. und ihr hört's, Gracchus ist gekommen!

CARBO. Er soll nur kommen; da Gesetz wird ihn fassen!

VOLK. Ins Gefängniß mit ihm! Geschrei hinter der Scene: »Nieder, nieder mit Gracchus!«


Quelle:
Adolf Wilbrandt: Gracchus der Volkstribun. Berlin [1872], S. 11-14.
Lizenz:
Kategorien: