Zweiter Auftritt.

[88] Die Vorigen, Gracchus. Der Priester verläßt den Altar und verschwindet nach hinten.


GRACCHUS tritt aus dem Priesterhäuschen, bleibt für sich allein stehn und starrt, ganz in sich versunken, vor sich hin. Es war Götterwerk! – Den Senat dacht' ich in den Staub zu werfen – nun liegt Scipio da. Irgend einen Dämon haben sie ausgeschickt, ihm den Pfeil des Verhängnisses in die Hand gegeben – und unter dem Hohngelächter aller bösen Geister schwirrte er in diese geheiligte Brust!

POMPONIUS tritt zu Gracchus, halblaut. Gajus, was thust du? Wozu dies entgeistete, abgrundtiefe Gesicht? Willst du die Wenigen, die mit dir heraufgezogen sind, auch noch irre machen?[88]

GRACCHUS sich plötzlich aufraffend. Ich? – Laut. Euporus!

EUPORUS herantretend. Herr!

GRACCHUS. Mein Weib, meine Mutter sind fort?

EUPORUS. Ich sah sie, Herr, wie sie das Haus verließen; alle die Sclaven mit den nackten Schwertern um sie her; so zogen sie still hinaus.

GRACCHUS. Mein Haus verödet; Vater und Bruder, die beiden steinernen Schatten, allein in der Halle! – – Weiß Niemand von euch, wo Lätorius ist? Warum sah man ihn noch nicht, diese ganze Nacht?

POMPONIUS. Warum? – Du fragst, aber Niemand antwortet. Die Nacht hat ihn verschluckt.

GRACCHUS. Oeffne dich, du rabenschwarzer Vorhang der Welt, hefte nicht länger dein blicklos stieres Auge auf mich, laß den goldnen Sonnenwagen herauf! – O Apollo, nie in meinem Leben sehnt' ich mich so nach Licht!

POMPONIUS. Ah was! Licht genug für das Auge, das sehen will. Sie, die dich durch alle Gassen Roms als Mörder des großen Scipio verwünschen – so wahr ich den schläfrigen Kopf des Pomponius auf den Schultern trage, sie selber, sag ich, haben ihn umgebracht!

GRACCHUS. Beweis' es!

POMPONIUS. Lehr mich Opimius kennen –

EUPORUS eifrig. Opimius! – Herr, Herr, ja, so ist's! – Als ich auf dem Marktplatz stand –[89]

POMPONIUS. Sprich, Alter: was sahst du da vom Opimius?

EUPORUS. Er stand nicht weit von Scipio's Leiche und sagte lächelnd zum Drusus, der daneben stand, daß ich's hören konnte; »Drusus, zehntausend Goldstücke dem Mann, der ihn kalt gemacht! Nie starb uns ein Mensch so zur rechten Zeit!« Und der Andre nickte und lächelte vor sich hin.

POMPONIUS. Und lächelte vor sich hin! – Hörst du's, Gajus; fährt dir dies Licht in die Augen? Zehntausend Golddenare für den Mörder – ei, und warum denn nicht? Wenn der ermordete Scipio auch dich ermordet, wenn's dem weisen Opimius gelingt, den lebenden Feind durch den todten zu tödten?

GRACCHUS ergriffen. Ein Gedanke – zu verrucht für jedes andre Gehirn! – Beim Jupiter, ich glaube, es wird hell um mich: ich sehe die blut'gen Hände des Opimius. Sein Herz lacht, während seine Lippen mich als Mörder verfluchen!

POMPONIUS grimmig. Und unterdessen zappeln wir hier oben im Netz! Trompetenstoß rechts hinter der Scene. Ho! Was blasen sie dort?

LICTOR draußen. Laßt den Herold ein!

GRACCHUS. Oeffnet! Die Bürger öffnen das Thor. Ein Lictor tritt ein, einen Heroldsstab in der Hand, von einem Trompeter begleitet. Die liegenden Bürger stehn auf und treten näher.


Quelle:
Adolf Wilbrandt: Gracchus der Volkstribun. Berlin [1872], S. 88-90.
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