Vierter Auftritt.

[92] Die Vorigen, Cornelia, Licinnia, der vorhin verschwundene alte Priester, ein Hause bewaffneter Bürger, darunter Carbo, Sclaven und Sclavinnen mit Fackeln erscheinen von hinten her, ziehn in den Vordergrund.


GRACCHUS. Ist das ein Blendwerk? Meine Mutter – mein Weib? Allmächtiger Jupiter, was führt euch unter die Krieger herauf? – Licinnia! Wer befahl dir, nach Ostia zu ziehn? Warum spottest du meiner und gehorchst mir nicht?

LICINNIA vor ihm auf den Knieen. Runzle nicht so die Stirn; herrsche mich nicht an! Ich bin dein Weib, kann dich nicht verlassen! Gajus –

CORNELIA. Gajus, mein bleicher Sohn, sieh und hör' mich an! Wir wollten hinaus, wie du befohlen hattest; da kreuzten diese wackeren Bürger unsern Weg, – und ich faßte mir ein Herz und sprach ihnen zu. Sieh diese ehrenfesten Männer, Gajus: für ebenso viele Tausende stehen sie da. In allen Gassen, die zum Hügel heraufführen, drängen sich deine alten Getreuen, schämen sich, daß sie in der Bestürzung, in der Ueberrumpelung der Nacht von dir lassen konnten, wollen's noch nicht glauben, daß du, du[92] den Gemahl deiner Schwester, den edelsten aller Römer, hast hinmorden lassen! Vor ihnen beschwören sollst du, daß du unschuldig bist, und sie folgen dir bis in den Tod!

BÜRGER. Ja, ja! bis in den Tod!

CARBO unter Cornelia's Begleitern vortretend. Bürger Gracchus, so ist's! Hast du keinen Theil an diesem hundsföttischen Mord, so zieh mit uns, von unsern breiten Schultern und blanken Schwertern geschützt, hinunter auf den Markt, und nimm den todten Scipio bei der Hand, und vor diesem Priester der Diana beschwör' es, daß unser Feldherr Scipio kalt geworden ist ohne deine Schuld. Kannst du das, so stehn wir alle zu dir, und kein Herold des Senats, kein Richterspruch soll dir auch nur ein Haar an deinen Augenbrauen krümmen!

LICINNIA in tiefster Erregung. Gajus, hör' mich an! Ich bin dein Weib, hab' alle meine Tage nur wie ein Weib gedacht. Heut will ich vor dir hergehn, – für dich sterben und die Augen schließen wie ein römischer Mann! Lächle nicht: es ist Manneswort! An meiner Hand sollst du vor die Leiche treten, sprechen, schwören, daß du kein Mörder bist – und dann mögen sie zum Kampfe blasen, die Fackeln schwingen, durch die Gassen daherstürmen: ich will vor dir stehn und mit meiner Brust all ihre Schwerter empfangen!

GRACCHUS gerührt, erschüttert. Licinnia – was ist mit dir geschehn? Was für ein Wunder hat dich mir so verwandelt? Du, du meine Heldin! – Komm an diese Brust, die du schützen willst – Zieht sie an sein Herz.

LICINNIA. Sprich, schwör' dich los!

GRACCHUS sich leidenschaftlich aufrichtend. Ich ein Mörder – wer sagt das? – Ihr Bürger und Krieger, seht mich an, wer ich bin! Der todte Scipio war ein[93] Enkel des großen Siegers von Zama: ich bin es auch. Wie ihr da steht, ihr alle habt unter Scipio gestürmt, gehungert, gelitten und gesiegt: ich hab' es auch. Ihr habt ihn geehrt, bewundert und geliebt: ich mehr als ihr alle! Doch der Senat trompetet's in die Nacht hinaus: ich hab' ihn ermordet! Glaubt ihr das, nun so reißt eure Schwerter aus der Scheide, Mann für Mann, und stoßt sie alle in diese lautlose Brust!

BÜRGER durcheinander. Nein, nein, nein!

GRACCHUS. Bürger! Bei den heiligen Göttern, die da walten bei Tag und Nacht –

POMPONIUS. Bei den zehntausend Goldstücken des Opimius –

GRACCHUS. Ja, ja, ja – Hört mich an, ihr Bürger: die Hand, die die Posaune der Rache gegen mich erhoben, versteckt im Dunkel der Nacht das an ihr harschende Blut! Bewegung unter den Bürgern. Geht hinunter und greift nach dieser blutigen Hand: es ist Opimius Hand! – Wem auf Erden war der große Scipio mehr ein Alp auf dem Herzen, als dem Opimius? Wenn er seinen Dolch gegen Scipio warf, um dann mir das Schwert der Verleumdung in die Brust zu stoßen, – für wen starb er besser, als für Opimius? – Treuherzige Römer, an dieser Leiche wollten sie euch mit eurem Tribun entzweien; das Blut, das aus der großen, dunklen Wunde empordampft, eure sehenden Augen sollt' es blenden, und wie der Magnet das Eisen ruft, so des Bluts Geruch zum Blute locken!

POMPONIUS. Hört ihr's!

AGRICOLA. Verrath! Feiger Mord!

BÜRGER erregt durcheinander. Verrath! – Opimius ist der Mörder![94]

CARBO. Stille da! – Beim Mars, das beißt in die Augen; Opimius hat's gethan! – Volkstribun, geh denn hinunter mit uns! Nimm vor diesem heiligen Priester den todten Mann bei der Hand, – und wir schmettern Alles in den grauen Grund, was dich und uns von einander losreißen will!

LICINNIA in leidenschaftlicher Freude. Gajus! Selig machst du mich – Auf, auf und komm!

GRACCHUS. Gieb mir deine Hand, Licinnia! – Auf, ich bin euer Mann! Diese Nacht werde mein Tod, oder die Freiheit Roms!

BÜRGER begeistert. Die Freiheit Roms! – Nieder mit den Mördern des Scipio – Gracchus unser Befreier!

CARBO. Auf, mir nach! Wendet sich nach rechts. Fernes Hornsignal links hinter der Scene, sich rechts wiederholend.

POMPONIUS. Was will dieses Horn?

GRACCHUS. Horch! – Das kam nicht vom Forum; das kam von der Tiber her. Was zieht da drüben herauf? Lätorius tritt hastig von links ein, mit verwirrtem Haar und verstörtem Gesicht, mit Helm, Schwert und Schild; andere ebenso bewaffnete junge Bürger hinter ihm her.


Quelle:
Adolf Wilbrandt: Gracchus der Volkstribun. Berlin [1872], S. 92-95.
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