Männertreue

[126] Mehr als ein Jahr war vergangen seit jenem Abend im Schloßgarten. Der Pfarrverweser hatte lange Zeit sich und dem Konsistorium Ruhe gegönnt von Meldungen. Er ging gern und viel in Gesellschaft, er fühlte sich wirklich leichter und freier, seit er des ewigen Wechsels von Hoffnung und Enttäuschung enthoben war; er sagte sich oft und viel und bewies auch dem jungen Rektor der Nachbarstadt, seinem vertrauten Freunde, der ihm eigentlich zu der Auflösung des Verhältnisses geraten hatte, daß diese Lösung wirklich das allerbeste und vernünftigste gewesen sei; aber ein leiser Wurm saß doch in seinem Innern, dessen Nagen er zu Zeiten fühlte. »Nun, wenn ich endlich doch einen Dienst bekomme, so kann ich ja immer noch tun, was ich will,« war der letzte Trost, mit dem er dies Nagen beschwichtigte. Er hörte, es gehe Luise gut; sie hatte jetzt drei verheiratete Schwestern, bei denen sie sehr gesucht war, »und daheim hat sie's dann auch angenehmer,« tröstete er sich, »wenn nicht so viele Mädchen mehr da sind.«

Da wurde die Pfarrei Tannhausen erledigt. Einmal wollte er es doch wieder versuchen; er meldete sich, ohne die Sache näher zu betreiben. »Du Glücksvogel!« verkündete ihm der Rektor, nachdem er selbst die Meldung fast vergessen hatte, »nun hast du noch etwas Gutes abgewartet! Das ist ja eine allerliebste Anfangspfarrei, nicht weit von der Residenz, ein ganz neues Haus, prächtiger Garten, kleine Gemeinde, du könntest dir's nicht schöner malen!«

Also endlich! Lehner hatte selbst nicht geglaubt, daß er sich[126] noch freuen könne, am Ziele zu sein. Er ward allgemein beneidet, und der Oberkonsistorialrat, bei dem er sich dankend einstellte, meinte gnädig lächelnd: »Ja, sehen Sie, wir gewähren lieber auf ruhige Bitten, als auf solch unablässiges Drängen.«

Und nun wäre es ja Zeit gewesen, noch zu tun, was er wollte, und sein altes Wort zu lösen. Luise lebte nicht mehr in der Residenz; sie war mit der Mutter in die Garnisonsstadt gezogen, wohin Kornelias Regimentsquartiermeister versetzt worden war, und lieh von dort aus je nach Bedürfnis den Schwestern, die nun auch noch durch zwei Schwägerinnen vermehrt worden waren, ihren Beistand. Vor dem Rektor durfte er den Gedanken gar nicht laut werden lassen, seine alte Liebe wieder heimzuführen; der erklärte es ohne weitere Motivierung für »baren Unsinn«; nur eine lautlose Stimme in seinem Innern führte doch eine andre Sprache als der Rektor.

Aber neben die verblühte Gestalt seiner alternden Braut mit ihren treuen blauen Augen, ihrem guten hausbackenen Gesicht und ihrer einfachen Gestalt stellte sich ein andres, jugendliches Bild, das er je und je schon in wachen Träumen gesehen: ein feines Gesichtchen, von zarter Röte angehaucht, geistvolle dunkle Augen ausdrucksvoll auf ihn geheftet, von unnachahmlicher Grazie in all ihren Worten und Bewegungen – das leidende Fräulein, dem er vorgelesen, Adele, die Tochter der Frau Geheimen Oberfinanzrätin.

»Wie einfältig,« schalt er sich selbst wieder, »die würde wohl einen vierunddreißigjährigen Pfarrer nehmen! – und wie würde die aufs Dorf passen?« Aber dennoch gedachte er wieder und wieder ihres freundlichen, verbindlichen Wesens und der Vorliebe, die sie immer fürs Landleben gezeigt hatte.

»Nun, einen Besuch muß ich jedenfalls dort machen,« beschloß er; »ich glaube doch, daß ich der Mama zum Teil meine Anstellung zu danken habe; dann kann ich ja immer noch tun, was ich will.«

Der alte Meldungsfrack tat's freilich nimmer zu diesem Besuch, der Kleiderhändler lieferte einen Löwenfrack von glänzendem[127] Schwarz. Mit einigem Herzklopfen zog er die Klingel des stattlichen Hauses; er traf Mutter und Tochter zu Hause, Adele blühender, als sie damals vom Dorfe geschieden war, das Bad im vorigen Sommer hatte ihr so gut getan. Man gratulierte ihm und freute sich über sein Glück, und als er von seiner bescheidenen Zukunft sprach, da sprach sich Adele mit so vielem Feuer über den Reiz und die Poesie des Landlebens aus, daß ihm ganz warm ums Herz wurde und seine kühnsten Hoffnungen wuchsen.

Die Frau Rätin lud ihn auf den Abend zum Tee; ganz berauscht von dieser Güte, von der aristokratischen Atmosphäre, die Adele, das liebliche Wesen, umgab, brachte er die Zwischenzeit im Schloßgarten zu, vermied aber die Bank, auf der er damals mit Luise gesessen; er vermied am Ende seine eigenen Gedanken und trieb sich lieber an den Fenstern der Buch- und Kunstläden herum, bis die Teestunde seiner Meinung nach schlug.

Er kam etwas zu früh, die Mutter war noch ausgegangen; Adele saß allein an dem kleinen, zierlich gedeckten Teetisch. Das Gespräch kam wieder auf ihren Landaufenthalt, auf ihre Neigung zur Einfachheit und Stille überhaupt; es wurde immer lebendiger, immer wärmer, – und ehe die beiden wußten wie, hatte Lehner eine kühne Frage gewagt und eine süße Antwort erhalten, und die Mama traf zu ihrer höchsten Überraschung bei der Nachhausekunft eine erkaltete Teemaschine und ein seliges Paar.

Das kam ihr sehr unerwartet, sie hatte den gesetzten Pfarramtsverweser für eine ganz ungefährliche Person gehalten und andre Erwartungen für ihre junge, schöne Tochter gehegt. Nun aber war es geschehen, Adelens romantische Ideen hatten ihre Pläne überflügelt, und sie war nicht von Stein, hielt auch am Ende den Sperling in der Hand für sicherer als einen Fasan auf dem Dache. Sie erteilte den mütterlichen Segen in sehr herablassender Weise und mit der Voraussetzung, »daß Lehner das Opfer, das ihm ihre Tochter bringe, mit der aufmerksamsten Rücksicht für ihr feinbesaitetes Gemüt und ihre zarte Gesundheit vergelten werde«.[128]

Die Gemeinde des Amtsverwesers mußte sich bis zu seinem Abzug meist ohne Hirten behelfen, er hatte gar zu oft Geschäfte in der Residenz; auch mußte das neue Pfarrhaus nach Angabe der Schwiegermama durchaus tapeziert und der Garten neu angelegt werden. Sämtliche Ersparnisse seiner Amtsverweserzeit wurden dafür und für neue Garderobe aufgewandt: er mußte sich doch in der angesehenen Familie anständig präsentieren. Auch wußte die Schwiegermama immer gar viele Kleinigkeiten, womit er der Kleinen Freude machen würde: Odeurs, Figürchen auf ihren Nipptisch, auch einmal eine Uhr, was für eine pünktliche Pfarrerin unumgänglich nötig sei. Es war ihm immer wie ein Traum, wenn er die üppigen Anstalten für die künftige Einrichtung sah, wenn er neben seiner schönen Braut auf dem weichen Diwan saß, oder wenn er mit ihr ausging und ihren zarten Arm mit reichen Spangen geschmückt in dem seinen hielt und das Rascheln ihres seidenen Kleides hörte; – aber in den Schloßgarten ging er nicht gern spazieren.

Quelle:
Ottilie Wildermuth: Ausgewählte Werke. Band 2, Stuttgart, Berlin und Leipzig 1924, S. 126-129.
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