Scheidung

[366] Einmal schien es doch, als ob Georg sich fassen wollte; er blieb ein paar Abende daheim, bekümmerte sich mehr um die Feldarbeit und rüstete sich, am nächsten Markttage Frucht in die Stadt zu fahren, weil sie eben hoch im Preise war. Lisbeth sah es nie gern, wenn er in die Stadt ging, doch wußte sie, daß ihr Widerspruch nichts ändere; daher begnügte sie sich nur mit Anspielungen, wieviel von dem Geld wohl in Wirtshäusern bleibe und was für schöne Jungfern er unterwegs werde aufsitzen lassen. Er erwiderte nichts und machte sich fertig. Vor dem Abfahren ging er noch hinauf, Lisbeth hatte sich hinter den Kücheladen gestellt, um ihn gehen zu sehen; aber als er kam, rumorte sie in der Küche, als wäre sie in vollster Arbeit. Georg ging hinein und bot ihr die Hand zum Abschied; das war lange nicht geschehen, und Lisbeth sah ihn[366] erstaunt, fast traurig an, eine seltsame Bewegung zuckte durch sein trotziges Gesicht. »B'hüt di Gott, ich komm' bald wieder,« sagte er. – »Ja, wenn's g'wiß ist,« sagte Lisbeth halb im Scherz; »wenn d' um elfe noch nicht da bist, will ich eben in den Chausseegräben nach dir gucken lassen.« Das war eiskalt Wasser auf sein aufwallendes Herz; er wandte sich trotzig um und fuhr ab mit lautem Peitschenknallen, ohne auch nur einmal sich nach dem Haus umzusehen, wo Lisbeth noch lange hinter dem Kücheladen stand und ihm nachschaute.

Georg kam am Abend nicht zurück, auch nicht am folgenden Tag. Lisbeths Bruder ging in die Stadt, um nach ihm zu fragen. Er hatte seinen Dinkel verkauft, Wagen und Pferde aber im Wirtshaus zurückgelassen nebst einem Brief an sein Weib. Niemand wußte, wohin er gegangen.

Der Bruder brachte Lisbeth diese Kunde und den Brief; sie zitterte so, daß sie ihn nicht öffnen konnte, er mußte ihr ihn vorlesen; Georg war immer gut in der Feder gewesen. Der Brief lautete:


»Geliebte Elisabeth!


Ich gehe fort in die weite Welt, vielleicht wirst Du nichts mehr von mir hören. Verzeih' Dir's Gott, daß Du mich so hinaustreibst, denn es ist von Deinetwegen, daß ich fort muß und kann's nimmer aushalten daheim. Es ist mir wohl bewußt, daß ich meinerseits auch den Fehler gemacht habe, aber das weiß Gott, daß ich Dir hätte alles zulieb tun können, wenn Du mich mit Liebe behandelt hättest. Ich will mich jetzt allein in der Welt fortbringen, daß ich mir nicht mehr von meinem Weib darf das Essen vorwerfen lassen. Einen andern kannst Du nicht nehmen, denn wir sind doch noch Mann und Weib, und ich glaub's auch, daß Du Dich mit keinem einläßt, ich hab' jederzeit mehr Zutrauen gehabt zu Dir als Du zu mir. Wenn Du in eine Not kommst, so laß mich's wissen; dem Wirt in Senzheim, bei dem ich eingestellt hab', will ich's vermelden, wo ich hingehe. Und leb wohl, ich trag' Dir nichts nach.

Dein getreuer Georg.«
[367]

Als Lisbeth den Brief gehört und begriffen hatte, daß ihr Mann nicht wiederkomme, warf sie sich wie sinnlos auf die Erde und schrie zum Verzweifeln. Verwandte und Nachbarinnen sammelten sich, um sie zu trösten; der geeignetste Trost schien ihnen eben die Schlechtigkeit ihres Mannes: »Sei doch froh, daß er fort ist! Dein Sach' wär' ja voll hin gewesen bei dem Vertuner.« Endlich stand Lisbeth auf, und sie, die bis dahin nie geklagt, brach nun in eine Flut von Klagen und Schmähungen über ihren Mann los, daß selbst die beredtesten unter seinen Feinden dagegen verstummten. »So, jetzt hab' ich euch meine Meinung gesagt,« schloß sie, »ihr alle aber haltet 's Maul über ihn! Meine Sache ist's allein, er hat keinem nichts zuleide getan als mir.« Lisbeth suchte vergeblich, von dem Wirt ihres Mannes Aufenthalt zu erfahren; er gab vor, ihn selbst nicht zu wissen. Ihr Bruder bestand darauf, eine Scheidungsklage einzuleiten; sie weigerte sich lange und ließ es erst geschehen, als sie hörte, daß sich Georg dann selbst stellen müsse. Er wurde in den Zeitungen aufgerufen, sich zur Bereinigung der Sache persönlich einzufinden, widrigenfalls er wegen böswilliger Verlassung geschieden werde.

Drei Tage vor dem festgesetzten Termin saß Lisbeth in ihrer Kammer, es war Nacht und gar still; Lisbeth blieb immer lange auf, sie hatte nur wenig Schlaf in den letzten Monaten. Da hörte sie das Bellen eines Hundes; den Ton kannte sie, es war der Sultan, Georgs treuer Hund. Das Haus war verschlossen, aber das Fenster noch offen bei dem warmen Wetter; in tödlichem Schreck sah sie Georgs Kopf am Fenster, im Augenblick darauf hatte er selbst sich hereingeschwungen. Lisbeth stieß einen durchdringenden Schrei aus, so daß der nebenanwohnende Bruder eiligst herüberkam; er fand sie zitternd und bleich, wie sie die Hände vor sich ausstreckte und immer schrie: »Bring mich nicht um, bring mich nicht um!« Georg aber stand ruhig am Fenster und sagte: »Was ist das für ein G'schrei? Ich hab' ja nur fragen wollen, ob's der da«, auf Lisbeth deutend, »Ernst sei mit dem Scheiden.« Lisbeth schwieg, der Schwager aber hub an und hielt dem Georg sein Sündenregister vor, so bündig[368] und nachdrücklich, daß dieser nicht viel darauf erwidern konnte. Er tat es auch nicht, nur als der Schwager zu Ende war, rief Georg zu Lisbeth hin über: »Dich frag' ich, du willst dich scheiden lassen, du?« Er schritt auf sie zu, sie schrie aber wieder: »Er bringt mich noch um!« Endlich aber sagte sie trotzig: »Du hast angefangen mit dem Scheiden, wo du fortgegangen bist; ich bleib' dabei.« – »So tu' ich's auch,« sagte Georg und ging. Er blieb bei seinem Vater, der ein elendes Kämmerlein bewohnte; Lisbeth fürchtete sich und schlief die Nacht bei der Schwägerin.

Nach drei Tagen war Lisbeth vor das Oberamtsgericht beschieden; sie machte sich früh am Tage auf, das Körbchen am Arm, ohne das eine Bäuerin nie über Feld geht, wenn auch die Zeiten längst vorüber sind, wo eine »Schmierale« für den Beamten darin lag. Wer sie seit ihrem Hochzeitsmorgen nicht mehr gesehen, hätte sie kaum mehr gekannt: schlaflose Nächte, kummervolle Tage und ein friedeloses Gemüt hatten diese Furchen in dem noch jungen Gesicht gezogen; doch aber war sie mit ihrer aufrechten Haltung, ihrem sauberen, wohlgeordneten Anzug noch eine stattliche Bauersfrau zu nennen; sie sprach mit niemand, und ihr Gesicht verriet keine Art von Bewegung, wie sie so geradeaus in stetem Schritt ihres Weges ging. Noch war sie nicht weit gegangen, als sie hinter sich fragen hörte: »Wo 'naus so früh?« Die Stimme war ihr nur zu wohl bekannt, sie brauchte sich nicht umzusehen, zumal da auch der Sultan an ihr in die Höhe sprang. – »Nach Senzheim,« erwiderte sie kurz. – »Ist's auch erlaubt, daß man mitgeht?« fragte Georg, der sie eingeholt hatte. – »Der Weg ist breit, ich hab' ihn nicht im B'stand (gepachtet),« sagte sie kurz angebunden. So gingen sie des Wegs zusammen, sie hüben und Georg drüben; aber wie das so ging, vor Verlauf einer Viertelstunde wandelten sie dicht nebeneinander. »Horch,« fing Georg an, »so, wie ich b'richtet bin, scheid't man einen nicht, wenn zwei voneinander wollen, eins von beiden muß den schuldigen Teil machen.« – »Das wird gut finden sein, wer bei uns der schuldige Teil ist,« sagte Lisbeth schnippisch. – »Den schuldigen Teil heißt man[369] den, der nicht mit dem andern hausen will; wenn dann ich aber wieder will?« – »So will ich nicht,« sagte sie heftig. – »Ja siehst, dann wirst eingesperrt, das ist nichts für ein Weibsbild; da will lieber ich der Schuldige sein, mir macht's so viel nicht aus.« Lisbeth schwieg. Georg fragte nach dem Vieh, den Gütern, sie gab Antwort, und wer die zwei des Wegs dahingehen sah miteinander, der hätte gedacht, ein einträchtiges Ehepaar besorge seine Geschäfte zusammen.

Sie kamen an einen kleinen Bach am Weg, der vom Regen hoch angeschwollen war; Lisbeth wollte Schuhe und Strümpfe ausziehen. »Ach, was braucht's den Umstand!« sagte Georg, nahm sie auf die Arme und trug sie hinüber.

So kamen sie zur Oberamtsstadt, betraten miteinander das Gerichtsgebäude und setzten sich nebeneinander auf die eine Bank in dem Partienzimmer. Lisbeth wurde auf einmal sehr blaß. »Was hast,« fragte Georg, »ist dir's weh?« – »Der Schlaf ist mir, glaub' ich, in Magen gefallen,« sagte sie halblaut. Georg sprang ins nahegelegene Bäckerhaus und holte alten Wein und Wecken, was sie wieder zu Kräften brachte.

Sie hatten lange zu warten; endlich rief der Oberamtsrichter den Amtsdiener: »Ist die Elisabeth Walter draußen, deren Scheidungsklage anhängig ist, und hat sich der Ehemann eingestellt?« – »Draußen ist kein streitiges Ehepaar, Herr Oberamtsrichter, zwei Leute sitzen in großer ›Liberität‹ beisammen; wird wohl ein Brautpaar sein, das Sporteln zahlen will.«

Zu großem Erstaunen des Dieners fand sich doch, daß das einträchtige Paar die streitigen Eheleute waren, und wer die beredte Schilderung der Lisbeth über das Elend ihres Ehestandes und die Untaten ihres Mannes anhörte, konnte auch daran nicht zweifeln. Georg konnte nicht viel widersprechen, es war alles wahr; nur einmal meinte er, »wenn man ›falsch‹1 werde bei so einer ›Giftkugel‹, so sei's kein Wunder«. – »Habt Ihr von Anfang an einen Widerwillen gegen die Verbindung mit Eurer Frau gehabt?« fragte der Richter. – »I, o nein,sell net! O wie oft hab' ich g'sagt: Bethle, wenn i di no fressa könnt'! Hätt' ise selbigsmol no g'fressa!« setzte er mit einem schweren Stoßseufzer hinzu. – »Ihr habt Euer Weib freiwillig und heimlich verlassen und verweigert auch jetzt noch die Fortsetzung der Ehe?« – »Ja, das tu' ich, ich glaub' nicht, daß ich's wieder prestieren könnt', wenn ich auch wollt'.« – »Und Ihr, Elisabeth Walter, besteht auf der Fortsetzung der Ehe?« – »Ich, bestehen! Ja lieber in Neckar springen!« schrie diese erbost, »ich werde ihm noch nachlaufen; jawohl da!«

Vergebens suchte Georg sie durch Winke und Blicke zu bedeuten, daß das ja nur der Form wegen nötig sei, sie konnte sich durchaus nicht dazu verstehen. Da nun beide Ehegatten auf der Scheidung bestanden, so konnte nach unsern Gesetzen der Scheidungsprozeß nicht vorangehen, und der Richter entließ sie mit einer nachdrücklichen Ermahnung zur Versöhnung, die ihm bei dem unverkennbaren Interesse beider füreinander nicht unmöglich schien.

Da Lisbeth sich lange nicht entschließen konnte, ihrerseits auf dem Zusammenleben zu bestehen, und Georg ebensowenig sie als den sogenannten schuldigen Teil ins Gefängnis gehen lassen wollte, so zog sich der Prozeß lange hinaus. Gar manchmal wanderten die zwei noch zusammen vor Amt, und immer trug Georg die Lisbeth über den Bach, trug ihr den Korb, bog die Zweige auseinander, die hätten ihr Gesicht streifen können, und hütete sie vor jeder Gefahr, die ihr etwa auf dem Weg begegnen konnte, und staunend und kopfschüttelnd sahen die Leute vom Dorf dem seltsamen Paar nach.

Quelle:
Ottilie Wildermuth: Ausgewählte Werke. Band 1, Stuttgart, Berlin und Leipzig 1924, S. 366-372.
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