Sonnenbraut

[121] Ein Wandrer tappt in Nacht und Dünsten;

Wonach er suchte, wußt er nicht.

Da hat verlockt mit Gaukelkünsten

Zu Sümpfen ihn ein Flackerlicht.

Er taumelte hinein und hielt den Rausch der Sinne

Für benedeite Minne.


Und falsche Schätze sah er strahlen,

War allen Leibeslüsten hold;

Vernahm mit Gier der Großen Prahlen

Und griff nach Purpur, Lorbeer, Gold.

Er rang und raufte drum im wirren Fiebertraum,

Doch seine Hand griff Schaum.


Wach auf, Genarrter! Herold Morgen

Macht alle Nachtgespenster fliehn.

Von Bergeseinsamkeit geborgen,

Im heilgen Lichtstrom darfst du knien.

Gib hin die dumpfe Stirn! Der rote Sonnenmund

Küßt dich von Schuld gesund.


In Weiheschauern wird nach oben

Zur spät gefundnen Sonnenbraut

Der Freier auf den Thron gehoben

Und Herz dem Herzen angetraut.

Ihr Auge gibt den Kelch der Ewigkeit zu trinken.

O seliges Versinken!

Quelle:
Bruno Wille: Der heilige Hain. Jena 1908, S. 121.
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