|
[55] Denn wenn den Schnee zum ersten Mal ein Blümlein sieht,
Dann wundert sich's, daß also weiß der Schnee,
Und Blümlein spricht: »Mich wird der Schnee doch nicht verletzen,
Mir weh thun nicht; – er ist so weiß!«
(Der Rhapsode der Dimbovitza.)
In üppigen Sonnenfluten
Badet sich der Park,
Der mit glänzendem Blättergewoge
Grausteinerne Häuserwälle bespült.
Aus schattiger Straßenmündung strömt,
Buntblitzenden Wellen gleich,
Blütenfarbig geputztes Volk:
Mädchen mit buntbebänderten Hüten,
Blühenden Augen, schimmernden Zähnen.
Das Plaudern plätschert
Der Ruhebank vorbei
Unter lila blühendem Flieder,
Wo ich sitze bei spielenden Kindern.
Im Strauche flötet die Nachtigall;
Fernes Konzert
Weht mit Düften süß heran
Und zittert in meiner Seele ...
[56]
Sanftes Mädchengesicht
Unter schüchternem Sommerhut,
Blaues Blütenauge,
Ich könnte dich lieben!
Doch zages Träumen hält mich fest,
Und dich entführt die Flut ...
Und wieder wehen mit Fliederduft
Accorde schmachtend, schwellend;
Und meine Seele zittert
Von süßem Sehnsuchtsschauer.
Sieh, das Weib
Im dunkeln Kleide,
Stolz,
Mit rundem Busen
Und schwarzer Augenglut!
Mein Herz entbrennt
Und pocht in wilder Sehnsucht.
Was brennst du so?
Ist das die Seele,
Die heiß umschlingend
Dein zehrend Schmachten stillt?
Soll ich ihr folgen, pochendes Herz? –
Ich wag' es nicht;
Mir wird so schwül und bang.
Denn vielleicht – was weiß ich! –
Blüht Gift im dunkeln Auge[57]
Und verzehrt mir qualvoll
Wangen und Seele. –
So ist die Liebe!
Auf Leben und Tod!
Oder ist dies Strahlenauge
Mir Quelle ewiger Wonne? –
So geh zur Quelle, schmachtendes Herz!
Sonst verspült die Flut dein Glück! –
Ja, ich gehe!
Noch eine Sehnsuchtswelle,
Und hingerissen folg' ich,
Zu lieben auf Leben und Tod ...
Doch wehe! Mir schwindelt;
Ich wanke, zu stürzen
In glitzernde Wellen
Des Menschenstromes.
Halt dich fest, bethörte Seele!
Jedwede liebliche Welle
Ist Liebe auf Leben und Tod! –
Doch horch, die Nachtigall lockt so heiß,
Berauschend wehen Musik und Duft,
Und Menschenaugen blühen so schön ...
Wohlauf in den Strom der Seelen,
Zu lieben auf Leben und Tod!
Buchempfehlung
Die 1897 entstandene Komödie ließ Arthur Schnitzler 1900 in einer auf 200 Exemplare begrenzten Privatauflage drucken, das öffentliche Erscheinen hielt er für vorläufig ausgeschlossen. Und in der Tat verursachte die Uraufführung, die 1920 auf Drängen von Max Reinhardt im Berliner Kleinen Schauspielhaus stattfand, den größten Theaterskandal des 20. Jahrhunderts. Es kam zu öffentlichen Krawallen und zum Prozess gegen die Schauspieler. Schnitzler untersagte weitere Aufführungen und erst nach dem Tode seines Sohnes und Erben Heinrich kam das Stück 1982 wieder auf die Bühne. Der Reigen besteht aus zehn aneinander gereihten Dialogen zwischen einer Frau und einem Mann, die jeweils mit ihrer sexuellen Vereinigung schließen. Für den nächsten Dialog wird ein Partner ausgetauscht indem die verbleibende Figur der neuen die Hand reicht. So entsteht ein Reigen durch die gesamte Gesellschaft, der sich schließt als die letzte Figur mit der ersten in Kontakt tritt.
62 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro