3. »Verurtheilt zu lebenslänglichem Galgen«

[88] Ich habe geträumt! – Noch pocht mein Herz

Von Gram und Grimm empört,

Und Thränen der Ohnmacht netzen mein Kissen.

Ich ward mishandelt unerhört! ...

Doch ruhig! Still! Es war ein Traum!


Wie dumpf die Stube! Der Mond scheint hell

Wie bläulich brennender Schwefel

Und tüncht an die kalkige Wand

Mein bäuerlich Fenster grell;

Im morschen Holzgetäfel

Pickt ein Wurm oder nagt ein Mäuschen;

Draußen pfaucht ein Käuzchen

Gedämpft im Kiefernforst ...


Was hab ich nur geträumt? –

Ich ward geknebelt von viehischen Schergen,

Vor raubtieräugige Richter geschleppt;

Die schrieen funkelnden Auges: »Schuldig!«

Eine Menschenmenge brüllte: »Schuldig!«;

Es war eine ganze Welt.

Doch mein Herz schluchzte: »Nein!

Ich bin rein, wie Jesus rein!«

Und eine starke Stimme sprach:

»Verurtheilt zu lebenslänglichem Galgen!«

Und die Menge johlte: »Zu lebenslänglichem Galgen!«
[89]

Nun packten mich die Henkersknechte

Und schleiften mich zum Galgen;

Ich ward mit der Schlinge gewürgt;

Doch ohne zu sterben!

Und täglich sollt ich so

Den Galgen leiden, ohne zu sterben,

Im Herzen die Stimme der Unschuld. –


Sei ruhig, Herz, und poche nicht!

Zerblasen ist alle Gefahr;

Es war ein Schaum, ein Gaukeltraum! –

Ach wohl, es war Gedankenschaum,

Und doch – so bitterlich wahr!


Die Schergen, die Richter, die Henker, den Galgen,

Ich kenne sie insgesammt,

Kenne die Welt, die mich verdammt

Zum Galgen Zeit des Lebens.

Wie heißt der Galgen? Mangel, Not,

Sorge um Stube, Kleider und Brod,

Knechtung, Schmähung reinsten Strebens!

Verfluchte Welt, die mich umfängt,

Tagtäglich an den Galgen hängt,

Verfluchte Welt! ...


Auf! Hinaus! Ich halt es nicht aus

Auf dem Lager in dumpfiger Kammer,

In traumdurchdünsteter Folterkammer.

Hinaus in die nächtliche Landschaft! ...
[90]

Hu, wie glutig

Der Mond in zackiger Wolke rollt!

Gleich der Augenkugel blutig

Von feuerschwangrem Drachen

Mit aufgerissenem Rachen!

Das Auge blinzelt, scheint zu brechen,

Zwinkert dann mit tückischem Stechen,

Rollt wieder auf und glotzt mich drohend an.


Drache, nun erkenn' ich dich!

Du bist der Fürst der verhaßten Welt,

Die mich am Galgenstricke hält;

Und während Kröten und Unken

Heulten und schnurrten in Moor und Gaasen,

Hat dein zorngeblähter Bauch

Schwüler Träume giftigen Hauch

Mir ins Fenster geblasen ...


Ha, was seh ich!

Du hast dein Auge verloren,

Zackiger Drachenleib,

Und bist geschwärzt vom Tod!

Da liegt die Augenkugel triefend rot

Auf düsterm Kiefernforste,

Dem rauchige Brunst entloht –

Ein glühendes Ei im brennenden Neste!


Ja brenne nur, unholde Veste

Der alten Welt, sammt Galgen und Henkern!

Mit Flüchen will ich deine Funken

Schüren, bis du in Asche gesunken. – – –
[91]

Nun allen Sorgen fern,

Wend ich mich um –

Zum Morgenstern,

Der leuchtend groß wie eine weiße Wasserrose,

Verzückt wie ein Prophet,

Am milchigen Himmel steht.

Wölkchen schwimmen goldfischgleich;

Das graue Korn erschauert;

Freudig blitzt es auf im windgekräuselten Teich;

Erwachte Wasserspatzen

Zwitschern froh und schwatzen

Im frisch durchhauchten, wogenden Rohr;

Und aus thauversilberten Halmen

Steigt die Lerche, das Auge im Glanz, empor

Mit seligem Tirili.

Quelle:
Bruno Wille: Einsiedler und Genosse. Berlin 1894, S. 88-92.
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