4. Die Sonnenblume

[92] Auf sandiger Haide am Kiefernforst

Kauert ein Häuschen gedrückt

An Fenster, Dach und Lehmgewand

Verwahrlost und zerstückt.


Des bretternen Stalles Thüre klafft, –

Verkauft sind Schaafe und Ziegen;

Im Dünger ein letztes Hühnchen scharrt,

Und mürrisch brummen die Fliegen;


Und in der Stube, da quarrt das Kind,

Das Weib, das zornige, schilt,

Des Häuslers Stimme, trunken und rauh,

Lästert dazwischen wild ...


Am Fenster die schlanke Sonnenblume

Erbebt in geheimem Leid;

Aus Schutt und Unkraut strebt sie scheu

Und starrt in die Ferne weit.


Dort hinter vergilbtem Kartoffelkraut

Und blondem Stoppelhaar

Erglänzt der Himmel so goldig zart,

Wie Gesang so wunderklar.
[93]

Im Dufte dort mit schmetternder Glut

Verblüht die Abendsonne; –

O schmachtende Seele, starre hinein

Und trinke dir einzige Wonne! –


Und die Blume – am taumelnden Sonnenball

Hängt schwärmerisch starr ihr Angesicht,

Ihr gelbumlodertes frommes Gesicht,

Versunken im Licht, ertrunken im Licht.


Die breiten graugrünen Blätter spreitet

Sie sehnlich in zitternder Scheidetrauer,

Und hinter der sinkenden Sonne gleitet

Ihr Sinnen hinunter mit Andachtsschauer.

Quelle:
Bruno Wille: Einsiedler und Genosse. Berlin 1894, S. 92-94.
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