Das dritte Abenteuer

Hexlein Schlangenglatt


[75] Anno 1625 war die grausame Pest in Hirschberg eingekehrt. Als ich davon vernommen, trachtete ich besorgt zu meinen Eltern; doch ein Brief des Vaters befahl mir, in Warmbrunn zu bleiben, und wenige Tage darauf kam folgende Post: »Wie gern, lieber Sohn, würde ich Dich herbeirufen, daß wir mitsammen diese Heimsuchung beweinen. Doch in Warmbrunn mußt du bleiben, da unser Haus von der Seuche infiziert ist. Willst Du Deine Mutter wiederfinden, so halte Dich zu unserm treuen Gotte, bei dem sie nun weilet ganz und gar. Unvermutet schnell hat er sie abberufen. Da sie nämlich eine enge Gasse passieren gemußt, ist hinter ihr ein Wagen mit Pestleichen gekommen, dem sie nicht ausweichen gekonnt, also daß das Rad sie am Gewande gestreift. Vermeinend, sich auf diese Weise die Giftmaterie zugezogen zu haben, hat sie sich gleich mutlos zu Bette begeben und des andern Tages bereits diese Welt verlassen. Ohne die Gute müssen wir nun unsere Lebensreise fortsetzen, uns tröstend mit dem ewigen Friedensheim, allwo wir zu allerletzt beisammen sind. Amen, mein geliebter Johannes!«

Wie es tut, eine mutterlose Waise zu sein, hab ich bezeugt mit herben Zähren. Sie sind aber die Vorboten gewesen einer fürdern Bitternis, da denn selten ein Unglück allein kommt. Schon im nächsten Jahre nämlich hab ich auch den Vater verloren, und das hat sich also zugetragen: Nach Erstickung der böheimischen Empörung ist in Schlesien die katholische Partei zur Übermacht gelangt und emsig darauf ausgegangen, die Evangelischen dem Papismo zurückzugewinnen. Dominikaner hielten in Hirschberg geistliche Disputationes und Bußpredigten. Als weltlicher Beistand aber war den eifernden Apostolibus eine halbe Kompagnie kaiserischer Dragoner zur Seite. Diese Seligmacher, wie man sie bitter hieß, haben sich zu den Stützen des evangelischen[76] Glaubens ins Quartier begeben, sie durch Pressung mürbe zu machen. Auch zu meinem Vater sind welche gekommen, haben die besten Gemächer beansprucht und Küche und Keller geplündert. Wie nun eines Sonntags ein Dragoner in berauschtem Zustande, gestiefelt und gespornt im Bette meines Vaters gelegen ist, hat diesen das eine Mal seine sanfte Art verlassen, daß er flammenden Auges Protest erhoben. Da hat der wüste Kerl sich beleidigt gefühlt und mit plumper Faust meinen widerstandslosen Vater angefallen. Zur Tür hinausgestoßen, ist der arme Vater so unglücklich die Treppe hinabgestürzt, daß er auf der Stelle den Geist aufgegeben. Die Entrüstung über die Seligmacher, die mich wie auch die Bürgerschaft hinriß, hat mitnichten etwas gebessert. Wie ich nämlich zu Vaters Bahre eile, geleitet von teilnehmenden Nachbarn, begegnet uns auf der Gasse ein Dragoner-Cornet, ein hochfahrender Junker. Betroffen über unsere finsteren Blicke, zieht er voreilig den Degen. Da brauset es in mir. »Bluthund!« schreie ich, packe den Degen und zerbreche ihn im Nu. Aus dem folgenden Handgemenge werde ich von einem Bürger hinweggerissen, der mich den nahenden Häschern entziehen will.

Da ich der sofortigen Verhaftung gewärtig sein und also ohnehin darauf verzichten mußte, dem Begräbnis meines Vaters beizuwohnen, so flüchtete ich durch einen Garten über die Stadtmauer und begab mich, unter Vermeidung von Warmbrunn, wo ich nicht sicher war, nach Schreiberhau, während der Oheim die Reise zum Begräbnis seines Bruders tat. Es war nun mein Schicksal insofern entschieden, als ich weder nach Hirschberg, noch auch nach Warmbrunn zurückdurfte und einstweilen beim Oheim bleiben mußte. Recht trüb ist mir die Zeit hingegangen, meine Toten hab ich beweint, und nur das Studium laborantischer und alchymistischer Schriften, sowie die Arbeit mit dem Oheim ist mir eine Beruhigung gewesen.[77]

Des öftern haben wir Abends mitsammen beraten, was aus mir werden solle, und weil meine Verfolger hätten erfahren können, daß ich in Schreiberhau weile, so kamen wir zu dem Entschlusse, ich solle nach Ablauf des Winters gen Prag ziehen und bei einem Jugendfreunde meines Vaters, den der Oheim als einen erfahrenen Arzt und Chymisten rühmte, in die Lehre gehen; er hieß Herr Waldhäuserus, medicinae doctor. An ihn gab mir der Oheim ein Empfehlungsbriefel. Im Beisein der alten Beate zählte er dann drei Dukaten auf den Tisch. »Hier hast du eine Erbschaft von deinen Eltern, denen es in ihrer Dürftigkeit doch gelungen ist, dies Gold zu erübrigen. Aus meiner Ersparnis sind ein paar Gulden hinzugefügt. Halte die Gabe so in Ehren, daß du nur im Falle echter Not davon Gebrauch machst. Beate wird die Dukaten in dein Wams einnähen.« Sich die Augen wischend, sprach die alte Beate: »Schau dir die Goldstücke an, Johannes; ich habe sie blank geputzt und in jedes ein Kreuzlein gegraben. Das mag dich an deine Heimat erinnern und an deine Lieben, heimlich sprechend: Gib nicht leichtfertig aus!« Gerührt dankte ich dem Oheim und der guten Beate, worauf diese ihre Brille aufsetzte und die mit Wolle umhüllten Dukaten in mein Reisewams einnähte.

Der Oheim begleitete mich übers Isergebirge, wo noch viel Schnee lag, bis ins Tal des Iserflusses, der geschwollen durch sein Felsenbett brausete. In der Schenke des nächsten Dorfes nahmen wir Abschied von einander. Um seine Traurigkeit zu vertreiben, ließ der Oheim einen warmen Würzewein bereiten. Beim Trinken äußerte er nicht üble Lust, mit mir in die weite Welt zu ziehen, doch wegen unverrichteter alchymistischer Arbeit, auch wegen des Häusels und der alten Beate wollte er lieber einstweilen in Schreiberhau bleiben. Vom Weine gesprächig, erzählte er mir aus seiner Jugendzeit und gab allerlei Ratschläge. Zuletzt kam er hoffnungsvoll auf die Prophezeiung der Zigeunerin,[78] und sein lodernd Auge drang zu meiner Seele Grunde. Dann umarmte und küßte er mich, und ich ging. Vor der Schenke stand er, den Blick auf mich geheftet, bis ich an des Weges Wendung den allerletzten Gruß gewinket hatte.

Verlassenheit empfand ich, da ich im Waldtal neben dem brausenden Flusse keine andere Gesellschaft hatte, als meine betrübten Gedanken. Doch wie nach etlichen Stunden das Tal sanfter und grüner ward, lachte im zwanzigjährigen Geblüt der leichte Sinn. Was vor mir lag, deuchten mich lauter gute Dinge, frohe Überraschungen und Erfüllungen, dabei half es nichts, daß eine Stimme im Innern mich warnte, nur ja nicht übermütig und unvorsichtig in die Welt zu tappen.

Bei Espenbüschen, die ihre Blütenkätzchen sonnten, hielt ich Rast und schaute zurück auf die entfernten schneebedeckten Berge. Indem machte sich ein flatternd Waldvöglein bemerkbar, so allerlei Gerüstwerk zu seinem Neste zusammentrug. Es setzte sich niemalen auf einen Zweig und hub kein Hälmlein auf, ohne zuvor durch Umherspähen versichert zu sein, daß ihm kein Feind oder Garn drohe. Und bevor es seine Fittiche reckte, der Luft sich anzuvertrauen, drehete es noch das Köpfchen prüfend, ob auch kein Raubvogel laure. »Leichtfertiger Tölpel« – sprach ich zu mir – »Waldvögelein mag dich beschämen, weil du in der argen Welt nicht so viel Fürsicht anwendest, wie diese geringe Kreatur.« Kaum aber hatte ich mir selber diese Predigt gehalten, so spitzte ich schon das Ohr, weil zween Wandrer gegangen kamen, deren einer mit schöner tiefer Stimme ein verführerisch Liedel sang:


»Ein Hexlein aus der Hölle Brut,

Ein schmuckes, blond wie Flammenglut,

Ein Hexlein weiß ich, schlangenglatt,

Das Myriaden Buhlen hat.

Es zu umarmen, dürsten

So Bettler und so Fürsten,

Soldaten, Juden, Christen,[79]

Schatzgräber, Alchymisten.«

Sie flehen süß und lispeln hold:

»Sei mein, o mein, Herzliebchen Gold!«


Das Hexlein lacht: »Wen ich begnad',

Ist vieler Leute Potentat.

Ich hex' ihm her, was auf der Erd

Ergötzlichkeit sein Herz begehrt –

Lustgärten und Paläste,

Musik und noble Gäste;

Was willst du? Pokulieren?

Ein Bräutlein karessieren?

Befiehl! Ich klimpre klinglingling,

Und husch, da ist das liebe Ding.«


Der Sänger war ein großer dicker Mann, den breiten Hut mit wogender Feder schief auf dem dunkeln Lockenhaupte, und den Mantel in ähnlicher Weise umgeschlagen, wie es an heroischen Standbildern zu sehen. Auf dem Rücken das Ränzel, in der Hand den Knotenstock, glich er gleichwohl mitnichten einem wandernden Handwerksgesellen. Rollend blitzten große schwarze Augen mit dunkelgemalten Rändern, das Antlitz war blaß und rasiert, die vorgeschobene Unterlippe schien zu verkündigen: »Respekt, ihr Leute!« Mir ganz nahe gekommen, musterte mich der Sänger und blieb mit hochfahrender Miene stehen.

»Ei, guten Tag!« sagte sein Begleiter. Ein Buckeliger war's, hatte listige Augen mit geröteten Lidern, ein fahl und schlaff Gesicht. Etliche blonde Härlein ob dem Munde waren zu einer Art Schnurrbart zusammengedreht. Das geschorene Haupt mit dem spitzen Hut suchte er aus dem Engpaß der Schultern herauszurecken, und das blaue spanische Mäntelein sollte herabwallend den Rückenschaden bemänteln.

»Wo hinaus des Weges?« fragte der Lange, Dicke. Ich begegnete dem hochfahrenden Blicke keck und bedachte mich ein Weilchen, ob ich überhaupt Antwort geben solle. Sprach aber dann, den Hut lüftend: »Guten Tag, Ihr Herren! Da[80] Ihr mich fragt, wohin des Weges, so wisset, daß ich gen Prag ziehe.« »Ei, da gehen wir wohl ein Stücklein mitsammen, so es Ihm beliebt?« sagte der Bucklige. »Warum nicht?« antwortete ich, »wofern der Herr an Eurer Seite Kameradschaft zu halten gesonnen.« »Oho, warum nicht? Freilich doch!« begütigte der Lange und bot mir die Rechte, in die ich einschlug. Gemeinsam gingen wir des Weges und wußten zunächst nicht, worauf unsere Rede kommen solle. Dann begann der Lange: »Also nach Prag gehet Seine Reise? Ist Er Studiosus, oder hat Er Geschäfte?« – »Studiosus möcht ich wohl werden, einstweilen aber bin ich der Apothekerei beflissen.« Meine Begleiter blieben wie angewurzelt stehen, schauten sich an und brachen in Gelächter aus. »Da hätten wir ja den gesuchten Dritten,« sagte der Bucklige triumphierend; »das heißt, wenn er mittun will.« »Er muß wollen«, gab der Lange zur Antwort, pflanzte sich vor mich hin und sprach herablassend: »Ich bin der Apotheker Pomponius, und mein Freund hier ist der Wundermedicus Schrepfeisen. Wir begeben uns zum Frühjahrsmarkte nach Jung-Bunzlau, unsere Salben, Pillulen und Latwerge unter die Leute zu bringen. Wir suchen einen dritten Mann, der unsere Waren bereiten hilft. Denn, was mich betrifft, so hab ich eine besondere Begabung zum Ausrufen, der Medicus aber muß hinter dem Tische sitzen, bei schwierigen Patienten seinen Rat zu geben. Wir machen nun Ihm, junger Gesell, die Propositio, unser Helfer zu werden und dafür einen guten Sold zu empfahen.« Nicht ohne Mißtrauen sahe ich bald den einen, bald den andern an und schwieg. Hierauf setzten wir die Wanderung fort. Mit mir im Reinen, gab ich folgenden Bescheid: »Euer Antrag, Ihr Herren, ehrt mich; indessen wüßt' ich nicht, aus was Grunde ich ihn annehmen sollte. Was ich als Laborant und Apotheker gelernt habe, ist noch gar nicht viel, und so muß ich beflissen sein, mir die rechte Kunst anzueignen. Bei einem erfahrenen Mediko zu Prag soll das geschehen.« –[81] »Hoho,« meinte Pomponius, »gläubet Ihr etwan, der hochberühmte Doktor Schrepfeisen sei nicht erfahren genung? – von mir gänzlich zu schweigen ....« »Und kann Ihm denn Sein Prager Medicus etwas Besseres beibringen, als die Kunst, aus den Gebresten der Leute Gold zu machen?« setzte der Bucklige eifrig hinzu. Ich wußte nicht, was auf diese Einreden zu antworten, und ging stumm des Weges. Der Bucklige redete weiter: »Ein Haufen Geld wird auf den Jahrmärkten zusammengescharrt, und Er soll davon sein gerecht Teil abhaben. Mein Wort darauf, daß für Ihn ein Goldstück täglich abfällt.« Da ich noch immer schwieg, meinte Pomponius spöttisch und etwas lauernd: »Nun freilich, wenn Er selber Gold genung im Wamse hat« .... – Ich stutzte und spürte, wie mir das Blut in die Wangen schoß, da ich der Meinung war, meine Begleiter hätten etwas von meiner eingenähten Erbschaft bemerkt. Aber ich faßte mich und gab die ausweichende Antwort: »Gold im Wamse haben, das freilich wäre eine schöne Sache und lockt mich wohl; indessen muß ich ohne Zeitverlust nach Prag gelangen, da ich sonsten mein Amt als Heilgehilfe versäumen könnte.« – »Nach Belieben!« meinte Pomponius kalt. Der Bucklige aber fügte hinzu: »Kommt Zeit, kommt Rat. Vielleicht überlegt Er sich unsern Antrag noch im stillen.« Nach längerem Schweigen hub ich zu reden an, indem ich den Pomponium ansahe: »Was hat der Herr eine majestätische Stimme. Man sollte meinen, Er gehöre einer Truppe jener Sänger aus Italia an, so kunstreiche Singspiele aufführen.« Pomponius antwortete aufgeblasen: »Seine Diagnosis, junger Gesell, hat etwas Zutreffendes. Allerdings war ich in früheren Jahren Singens und Komödiespielens beflissen und übete meine Kunst vor manch hoher Herrschaft.« Mit schlauem Lächeln fügte der Bucklige hinzu: »Und die Komödiantenkunst soll uns auch in Jung-Bunzlau zustatten kommen, denn es gibt keinen besseren Ausrufer als diesen ansehnlichen Jünger der Muse Thalia.«[82]

Das unweit gelegene Schloß Gitschin, dem Herzog Wallenstein gehörig, veranlaßte den Buckligen zu der Frage: »Ist es wahr, daß der Wallenstein seine Pferde aus silbernen Raufen fressen lässet?« – »Allerdings,« – bestätigte Pomponius – »und in den Ställen fleußt das Trinkwasser durch marmorne Becken, manche Pferde haben gar gülden Geschirr. Um sein Schloß herum dehnet sich der schönste Garten mit seltenen Blumen. Aus Gebüschen lugen marmorne Standbilder glorioser Kriegeshelden, und zum Lustwandeln hat es dort prächtige Säulengänge und Loggien. Ja, der Wallenstein, neuerdings von der kaiserlichen Majestät zum Herzog erhoben, ist in teutschen Landen der reichste Fürst, dem antiken Kröso vergleichbar. Was aber sonderliche Bewunderung verdient, ist dieses Mannes Kunst, aus allem, womit er sich befasset, Gold zu machen. Früher ein armer Edelmann, hat er es verstanden, mächtiger als der Kaiser selbst zu werden, und zwar durch die Waffen, die ihn vom gemeinen Soldaten zum Generalissimo erhoben haben und noch auf einen Königsthron bringen werden, gebet acht!« »Hol mich der Teufel,« meinte der Bucklige, »hätt ich nicht meine vermaledeite Kriegskasse hinten, mir wäre das Waffenhandwerk willkommen, da es für den Armen das beste Mittel, emporzukommen.« – »Für den Armen?« fragte Pomponius. »Doch wohl nicht! Sondern mehr für den Reichen. Der Reiche, wofern er nicht unternehmend, läuft in diesen Kriegszeiten stets Gefahr, seines Gutes beraubt zu werden; drum tut er am besten, selber unter die Beutemacher zu gehen, sich mit einer Soldateska zu umgeben und allerwegen die Leute auszubeuteln. Gelegentlich mag ja auch der Arme als Krieger zu Reichtum gelangen. Aber die Offiziere nehmen ihm alleweil das Beste weg, und der Arme verliert im Felde sein Leben leichter als der Reiche. Sonsten hätt auch ich schon das Glück der Waffen versucht. Doch ich rieche das Pulver nicht gern und weiß mir bequemere Regulen, den Leuten das Geld abzunehmen. Übrigens bin[83] ich schon in meinen Knabenjahren mehr darauf aus gewesen, Geld zu vertun als mühselig zu erringen. Zu den epikureischen Philosophis gehöre ich und überlasse das martialische Heldentum solchen, die sich dazu berufen fühlen.« Und Pomponius trällerte stolz:


»Ein Hexlein weiß ich, schlangenglatt,

Das Myriaden Buhlen hat ...«


»Weißt du« – nahm der Bucklige das Wort – »an wen mich dein Hexlein erinnert? An Jungfer Susannen! Du kennest doch das Wirtshaus in Prag, zur Äpfelkammer geheißen?« »Ei, diese Schönheit ist mir nicht bewußt,« sagte Pomponius; »indessen ich doch sonsten im dortigen Weibsvolk Bescheid weiß. Susanne? Erzähl Er des weiteren von dieser Tempeljungfer Bacchi et Veneris!« – Der Bucklige machte verliebte Augen: »Denket euch des Rehes Wuchs, im Angesicht Lilien mit Rosen vermenget, Augen wie Vergißmeinnicht, korallenrote Lippen und langes goldfarbenes Haar, so habet Ihr die schöne Susanne, wie sie leibt und lebt. Was aber Gemüt und Sinn betrifft, so weiß sie bald die hochgeborene Dame zu spielen, bald wieder durch Schöntun und Schelmerei dem Gast den Kopf zu verdrehen und das Herz zu rauben.« – »Solch eine Rosenknospe hat es leicht, die Leute zu betören,« schmunzelte Pomponius; »muß aber auch List dabei sein. Wetter! wenn ich solch ein glatt Weibsbild wäre, haha, ich getraute mir einen Reichtum zusammenzuraffen, daß ich gleich der ägyptischen Rhodope eine Pyramide aufbauen, oder wie die Phryne die Stadt Theben mit Mauern umgeben könnte. Denn ich wüßte manchen seidenen Schnauzhahnen dermaßen zu lausen, daß ich der schönen Lamiä nichts nachgäbe, die dem verliebten Demetrio all sein Gold abgenommen. Oh, wie manchem Hengst tät ich das Seil über den Kopf werfen, daß er fein artig in meinem Dienst spazieren müßte.« – Der Bucklige nickte: »An List fehlet es der schönen Susanne mitnichten, und nur in einem Punkte soll ihr Verstand der[84] schwachen Ferse des Achilleus gleichen. Sie gläubet alten Weibern, so sich für Prophetinnen ausgeben, und hat sich von ihnen ein schön Stück Geld abnehmen lassen.«

Der Abend war hereingebrochen, als wir ins Städtlein Turnau gelangten und im Wirtshaus »Zur Krone« einkehrten. Da wir übernachten wollten, wies uns der Wirt die Gemächer; in dem größeren waren zwei Betten. Wiewohl es mir passend schien, daß die beiden befreundeten Wanderer das Zimmer mit den zwei Betten nähmen, erklärte der Bucklige: »Mit dir, Pomponi, schlaf ich nicht. Deine Komödiantenkehle verstehet sich nicht bloß aufs Singen und Saufen, sondern auch aufs Schnarchen. Erlaube dahero mein junger Kamerad, daß ich lieber mit Ihm das Zimmer teile.« Mir war dies Ansuchen nicht sonderlich genehm; da aber der Wirt kein drittes Gemach hatte, so blieb mir nichts übrig, als ja zu sagen. Nachdem wir Ranzen, Mantel und Hut in den Kammern abgelegt, gingen wir hinunter in die Gaststube und ließen Wein, Brot und Fleisch auftragen. Bald ward ich inne, daß meine Begleiter im Zechen viel leisten konnten. Wiewohl mich nun die innere Stimme vor dem Weine warnte, tat ich doch des Guten zuviel. Denn ich hatte mir einen tüchtigen Durst an den Leib gelaufen und meiner Begleiter Zureden wie Beispiel überwand stets von neuem meine Bedenken. Als wir in später Stunde zu Bett gingen, mußten mir meine Reisegefährten unter die Arme greifen. Ich hatte noch soviel Besinnung, daß ich mein Wams, drein die Goldstücke eingenäht waren, zusammengerollt unter mein Kopfkissen tat. Kaum hatte ich mich hingestreckt, so schwankte das ganze Haus mit mir, und ich sank in Schlaf.

»Sakrament! Meine Hose!« Von diesem Geschrei erwacht, richtete ich mich verstört im Bette auf. Mein Kopf tat weh. Im Hemd lief der Bucklige umher, als ob er die Kammer durchsuche: »Wo ist meine Hose? Ha, Spitzbuben!«

Besorgt griff ich unters Kopfkissen, mein Wams war verschwunden,[85] das Wams mit den eingenähten Dukaten. Sofort sprang ich auf, wühlte in den Kissen, riß Strohsack und Decken heraus, fand aber das Wams nicht. Auch meine Hose war fort. »Ha! hier sind die Spitzbuben eingestiegen!« schrie der Bucklige zum offenen Fenster hinaus, und zu ihm tretend, sahe ich außen eine Leiter an die Fensterwand gelehnt. Die Faust schüttelnd, lärmte der Bucklige: »Meine Hose! Bestohlen bin ich! Sakrament!« – »Himmel Herrgott, was hat's denn?« rief der eintretende Wirt. – »Spitzbuben haben meine Hose gestohlen.« »Und meine Dukaten!« fügte ich weinerlich hinzu, »in mein Wams eingenäht – fort ist das Wams!« Groß sahe der Wirt bald mich, bald den Buckligen an, ging ans Fenster und schüttelte den Kopf: »Die Kammertür war nicht verriegelt. Wo ist denn der dritte?« Er ging, und wir folgten. Pomponius lag in seinem Bett und schnarchte. »He, Pomponi!« rief der Bucklige. – »Halt's Maul!« grunzte jener und wälzte sich auf die andere Seite. Aber den Wasserkrug ergriff der Bucklige und taufte den widerspenstigen Kameraden, daß er prustend aus dem Bette sprang. »Bist närrisch, Schrepfeisen?« – »Nein, aber bestohlen!« Und wir berichteten, was geschehen. Der Wirt indessen schaute im Gemache umher, prüfte das Fenster und durchstöberte die Betten, als könne hier der Spitzbube seine Beute verborgen haben. Dem Pomponio schien des Wirtes Gebaren nicht befremdlich; bloß daß er trocken sagte: »Hier ist alles in Ordnung.« Mit Achselzucken meinte nun der Wirt zu mir: »Ja, junger Herr! Eine böse Welt! Sein Geld wird wohl hin sein. Drei Dukaten, ins Wams genäht, nicht wahr? Und das Wams unterm Kopfkissen? Hum! Ich ahne!« – »Was ahnet Er?« fragte Pomponius; der Wirt aber blickte ihn scharf an und versetzte: »Ich ahne, daß Er für alle drei Zeche und Herberge zahlen wird.« – »Wer? Ich? Oho! ... Nun ja doch! Aufs Zahlen soll mir's nicht ankommen. Sogar Kleider will ich den Kameraden kaufen. Schaff Er welche,[86] Kronenwirt!« Schweigend, von oben bis unten musterte der Wirt meine Kumpane, murmelte in sich hinein und ging.

Nebst Schrepfeisen begab ich mich wieder in unsere Kammer und setzte mich ratlos auf mein Bett, während jener behaglich nochmals in die Federn kroch. Seinen Verlust hatte er bereits verschmerzt; denn er hub ein meckernd Lachen an: »Hehe, Lehrgeld war das! Hehe, nicht mehr gegreint! Heute verloren, morgen gewonnen! Wahrlich, Johannes, ich verspreche Ihm einen halben Dukaten Tageslohn, so Er als Apotheker mir und dem Pomponio Dienste leistet. Morgen beginnet der Markt in Jung-Bunzlau. Da werden wir als ruhmreiche Heilkünstler auftreten und aus Rindsschmer Gold machen. Ist Er dabei? Nicht? Na, was will Er denn sonsten beginnen? Ist ja kahl wie ein abgehäuteter Esel, hat nicht mal Lumpen, seine Blöße zu decken, und seine Zeche muß der Pomponius zahlen. Nun freilich, das tut der Pomponius aus Kameradschaft. Er aber, Johannes, sollte doch darauf sinnen, wie Er's dem guten Pomponio vergelte. Den Teufel auch, umsonst ist der Tod. Gläubet Er etwan, daß ihm die Kleider gehören, so ihm der Pomponius durch den Wirt besorgen läßt? Nur geliehen sind sie, und so Er sie nicht wieder hergeben will, bleibt Ihm schon nichts übrig, als mit uns zu halten. Siehet Er das ein, hehe?« – Ich schwieg eine Weile, und fragte kläglich: »Und ich soll an jedem Markttag einen halben Dukaten haben?« – »Freie Herberg und Zeche dazu!« versicherte Schrepfeisen. – »Nun, wohlan! So will ich Euer Gehilfe sein.« – »Brav!« erwiderte Schrepfeisen; »was Er zu tun hat, will ich Ihm gleich sagen. Wir haben Salben zum Verkauf nötig, Mixturen, Latwerge, Pflaster, Pillulen. Alles muß Er täglich bereiten. Die Leute reißen sich darum, wie Enten um ausgeschütteten Unflat.« – »Doch wie soll ich als Anfänger in der Apothekerei die Medikamente zustande bringen?« – Der Bucklige lachte: »Rindstalg mit Wachs und etwas Würze, Brotküglein mit Zimmet, Bier[87] oder Tinte vermischt. Und wenn ich nichts als Hühnerdreck hätte, ich wollte dem dummen Volk eine Salbe bereiten.« – »Machet solche Salbe allein,« sagte ich ungehalten; »dazu bedürfet Ihr keines Dritten. Ich wenigstens möchte ein echter Heilkundiger werden, nicht ein Quacksalber.« – »Hoho!« brausete Schrepfeisen auf. »Will Er die Nase hochhalten, da Er doch Ursach hätte, fein demütig zu sein? Mit berühmten Heilkünstlern hat Er zu tun, und wenn ich sage, daß man dem Volke Hühnerdreck aufschmieren könne, so meine ich nur, daß es leichtgläubig ist, und daß wir uns seine Leichtgläubigkeit zunutze machen könnten. Mitnichten aber will ich unsere Medikamenta schlecht machen. Einfach zwar sind die Verrichtungen, so wir von Ihm, Johannes, erwarten; indessen tun wir zu den Salben, Mixturen und Pillulen stets etliche Tropfen von einem Lebenswasser, das in heimlicher Kunst bereitet und tausendfach erprobt ist.«

Obwohl mir auch nach dieser Beschönigung die Sache nicht richtig vorkam, ward ich doch den Quacksalbern gefügig. Allzusehr schon hatte ich mich mit ihnen eingelassen und durch den abends genossenen Wein mein Gewissen wie meinen Verstand benebelt. Wie ich nun, gleichermaßen auch der Bucklige, Gewand erhalten und mich bekleidet hatte, gingen wir zur Wirtsstube hinab, wo drei Teller mit Morgensuppe dampften. Pomponius bezahlte den Wirt, und wir setzten unsere Wanderung fort. Noch vor Abend waren wir in Jung-Bunzlau, wo auf dem Ringe Buden gezimmert wurden. Meine Begleiter ratschlagten, welcher Stand für unsern Warentisch am besten geeignet sei, und der listige Schrepfeisen tat den Vorschlag, mit dem Lammwirt ein Abkommen zu treffen, daß wir neben seiner Tür unsere Waren auftischen durften. Da Pomponius reiche Zeche machte, war ihm der Wirt gefällig, und nun gingen wir an unsere Geschäfte. Einen Teil seines Kellers gab der Wirt zum Laboratorio her. Von Steinen ward innen eine Feuerstätte errichtet, und meine Kumpane kauften Töpfe, Tiegel, gegerbte[88] Felle, aus denen Pflaster gemacht werden sollten, Phiolen, auch Mehl, Zucker, Zimmet, getrocknete Kräuter, Wachs und Rindstalg. Schrepfeisen brachte noch eine Flasche mit himmelblauer Flüssigkeit und sprach wichtig: »Hier vertraue ich Ihm unser Lebenswasser an. Tut Er in jeglich Medikamentum etliche Tropfen davon, so ist es sicher heilsam.«

Nun hub ein Schmelzen und Sieden, Mörseln, Schmieren und Pillendrehen an, und bald stank das Laboratorium nach verbranntem Fett. Schrepfeisen mahnte zur Eile und gab auf meine Frage, wie dies oder jenes zu bereiten, halben Bescheid unter meckerndem Lachen. Als ich das Laboratorium verlassen durfte, war ich mißmutig, Schrepfeisen aber rieb sich die Hände; denn viele Tiegel, Phiolen und Latwerge waren zum Verkauf fertig, auch für das Auge einladend, die Gefäße mit buntem Papier beklebt, die Pillulen versilbert und in Schächtelchen verpackt. An diesem Abend hielten wir uns vom Trinken zurück, um andern Tages frische Kraft zu haben.

Schon in der Frühe ward ich wach vom Lärmen, so auf dem Marktplatz erscholl, wo man die letzten Hammerschläge tat, mit Handwagen Waren herbeischleppte und die ersten Käufer durch schreiendes Ausbieten herbeilockte. Wir hatten aus Brettern eine Erhöhung gezimmert und darauf einen langen Tisch gestellt, wo unsere Medikamenta prangten. An der Mauer des Gasthauses war ein Thron für den Doctorem Schrepfeisen. Beim Trödler hatten meine Kumpane sich auffällig ausstaffieret, auch eine Kriegstrommel und eine Laute erworben. Wie nun der ganze Kram in Ordnung war, begab sich jeder auf seinen Posten, ich also hinunter in mein Laboratorium, wo das Schmelzen und Stänkern von neuem losging. Von oben aber scholl des Pomponii Marktschreierei. Da ich mittags die Lücken der Warenauslage ergänzen mußte, fand ich Gelegenheit, meine Verbündeten bei ihrem Gefecht zu beobachten. Kopf an[89] Kopf drängten sich Gaffer um den Stand, und stolz wie der Gott Hippokrates thronte Schrepfeisen, angetan mit Lockenperücke und scharlachenem Mantel, auf der Nase eine Hornbrille. Dunkelrot im Gesicht, rührte Pomponius die Trommel, als solle ganz Böheim zum Aufruhr erwachen. Und wie sahe der Kerl aus! Unter dem mächtigen Federhute wallten schwarze Locken über einen gefälteten Kragen, der sich wie ein Wagenrad um den Hals legte. Das Wams war von grasgrünem Sammet, mit Silber verscharmieret, über den Rücken hing ein buttergelber Mantel. Aus den Saiten zupfte er ein Präludium und sang wie ein Possenreißer:


»Die Weibgen mit den Flöhen

Hant ewiglichen Krieg.

Wie hetzen sie und spähen,

Daß man die Flöh' erschlüg'!

Und hätt ich allweil baren

Ein Gulden in der Hand,

So oft die Weibgen fahren

Noch Flöhen unters G'wand,

Zwölf Kisten tät ich nageln,

Zu bergen meinen Zoll,

Die sollten täglich hageln

Von Gulden krachend voll.«


Weil des Gelächters ein reicher Tribut kam, warf sich Pomponius auf den Hauptteil seiner Rolle. Wie eine Posaune dröhnte sein Ausrufen: »Jawohl, jawohl, jawohl! Flöhe, Läuse, Wanzen – die nennt ein jeder sein – sie zwicken uns den Ranzen – wie heiße Höllenpein. Doch da kommt der famose, gloriose, hochberühmte Medikus, Herr Doktor Schrepfeisen, nach Jung-Bunzlau und vertreibt alles Geziefer mit dieser Mixtur, aus Würzlein und Kräutlein des Landes Arabia kunstreich bereitet. Etliche Tropfen ins Gewand gesprengt, ins Hemd oder Bett, betäuben und vergiften das ganze Floh- und Wanzengeschmeiß. Aber wir haben hier noch andere Raritäten: Pillulen wider harten Leib, Pflaster für Gliederweh und Husten, wie wir denn[90] alle Gebreste heilen oder doch zu lindern wissen. Da ist insonderheit diese Wundersalbe. Schauet her, Leute! Hier hab ich ein irden Büchslein voll. Zum Einreiben der kranken Glieder und ein wahrer Lebensbalsam. Euch ist bewußt, ehrbar Publikum: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde, am letzten Tage aber hat er den Menschen gemacht. Drum bezeugen alle Gelahrten, daß des Menschen Schmalz alle andern Schmälze übertrifft, so wie Gold weit mehr wert, denn Zinn oder Blei. Wenn ich nun diese Wundersalbe mache, so nehm ich erstlich dazu Menschenschmalz, danach Wachs, das haben die Bienen des heißen Landes Afrika aus denen afrikanischen Blüten gesammelt. Drittens nehm ich dazu Sankt Johannisöl, fleußet im Lande Thucia aus den harten Steinfelsen durch wunderbare Schickung Gottes. Endlich brauch ich das oleum popoleum oder Schmalz einer wilden Katze, die schläft auf dem Schweizergebirg von Sankt Gallen bis Sankt Jörgentag und wird davon so feist, daß, wer es nicht mit eigenen Augen gesehen, meinen sollte, das wäre alles erlogen. Summirum summarum, ich nehme das Kräutlein Herba, gewachsen im Lande Regio auf dem Berge Mons, am lieblichen Wasser Aqua, im Monat Mensis. Daraus hat meine Salb ihre wunderbarlichen Kräfte, und ich will nicht ehrlich sein, so mir jemand im ganzen Römischen Reiche die Salbe nachmachet. Herbei denn, alt und jung, Mann und Weib! Kauf in der Zeit, so hastu in der Not! Und wenn die Gesunden tüchtig mit der Salbe schmieren, so kann ihnen keine Krankheit an den Leib. Kaufet, kaufet, das Salbenbüchslein für 5 Gröschel! Ich hab auch kleinere, die kosten drei. Dahier, wer will?« Und es streckten sich gleich fünf, sechs, sieben Arme aus, die Toren gaben gläubig ihre Groschen. Hatte nun Pomponius eine Gattung von Medikamenten unter die Leute gebracht, so fing das Getrommel wieder an, und stets aufs neue vernahm ich das Geträller »Die Weibgen mit den Flöhen.«

So ging es Tag für Tag; am vierten aber war ich von[91] meinem Gewerbe derart angewidert, daß ich mich von den saubern Kumpanen scheiden wollte. Doch wie ich beim Nachtmahl mit meiner Absicht herausrückte, fielen Pomponius und Schrepfeisen mit wilder Beredsamkeit über mich her. Rasselten mit dem ein genommenen Gelde und meinten, das Geschäft gehe über Erwarten gut. Wie ich den mir zukommenden Lohn forderte, wollten sie nicht damit herausrücken und machten geltend, ich wolle sie im Stich lassen. Schließlich kamen wir überein, ich solle zunächst die verdienten zween Dukaten, den dritten am sechsten Tage empfahen. Da mich die Quacksalber nicht entbehren konnten, hielten sie ihre Zusage.

Ich atmete erleichtert, als ich nach Schluß des Marktes im Kämmerlein meine erschöpften Glieder zur Nachtruhe hingestreckt hatte. Und wie ein Vogel aus dem Käfig schlüpfte ich in der Morgenfrühe zum Stadttore hinaus. Bei der ersten Rast im Walde wollte ich meine Goldstücke ins Wams einnähen und holte sie herfür. Sie ersetzten die in Turnau mir entwendeten Dukaten, sahen auch nicht minder blank aus. Indessen schien ein ekler Geruch daran zu haften, und sie weckten peinliche Erinnerung. Hingegen gemahnten jene anderen Dukaten, die mir Beate ins Wams eingenäht hatte, an meine guten Eltern und den Oheim, an ehrliche Arbeit, Sparsamkeit und treue Fürsorge ... Doch was war das? Wie ich meine Dukaten so betrachte, sind es genau dieselben, die mir Beate mit Kreuzen bezeichnet hatte. Ei du tückischer Schrepfeisen, du also hast mir das Geld gestohlen und hast die Leiter ans Fenster gesetzt, um auf falsche Fährte zu leiten, und Pomponius war dein Spießgesell. Nachdem ihr mich bestohlen, habet ihr mich obendrein zu eurem Sklaven gemacht, zum Werkzeug eurer Betrügerei. Und schämtet euch nicht, mich mit denselben Goldstücken zu besolden, die ihr mir abgenommen. Pfui! Ich war versucht, das Geld von mir zu werfen; doch weil es ja auch ein Andenken an meine Lieben war, so nähte ich[92] die Dukaten wieder ins Wams, während des Oheims Gulden mir zur Zehrung dienen sollten.

Nachmittags trat ich aus dem Walde, und da lag im Sonnenschein unter mir, an die weinbepflanzten Hänge geschmiegt, von starken Mauern umgeben, die Residenz von Böheim. Das Gewimmel der Bürgerhäuser nebst Kirchen und Palästen stieg am jenseitigen Berg hinan, den eine ausgedehnte Burg krönte. Rechts tat sich das Moldautal mit dem blinkenden Strome auf. Der Lärm von Handwerkern und Hähnekrähen scholl aus dem Tale herauf, indessen ich mit Wohlgefallen diese bildschöne Stadt betrachtete. Nachdem ich gerastet und mir den Staub abgeklopft hatte, begab ich mich hinunter, Prag zu beschauen und eine Herberge zu suchen.


In einer engen Gasse sah ich über einer Hauspforte drei güldene Äpfel benebst der Inschrift: »Gasthaus zur Äpfelkammer«. Sogleich kam mir in den Sinn, was ich von Schrepfeisen über die schöne Wirtstochter vernommen. Daß ich meiner Neugier nachgab und hier einkehrte, war das natürliche Emporsprießen jenes Samens, den schlechter Umgang in mein Herz gestreut hatte. Die Gaststube war dunkel und verräuchert und erweiterte sich hinter dem großen Ofen zu einem stattlichen Gewölbe. Ich war der einzige Gast. Als ich Ranzen, Hut und Mantel abgelegt und an einem runden Tische Platz genommen hatte, erschien eine zierliche Jungfer. »Ein Quart?« fragte sie etwas von oben herab. Als ich bejaht hatte, brachte sie mir den Wein und machte Miene, wieder zu gehen. Bei der Tür aber kehrte sie um und ging, ein Liedel trällernd, an mir vorbei zum hintern Gewölbe. Blieb dorten gar nicht lange, kehrte zurück, setzte sich an einen Nebentisch, tat einen Blick durchs Fenster und seufzete, als habe sie Langeweile.

Durstig hatte ich mein Quart ausgetrunken, und sogleich[93] trat die Jungfer zu mir: »Wünscht der Herr noch ein Quart?« – »Noch eins, auch Brot und Fleisch.« – »Gut G'selchtes?« – »Wenn sich die Jungfer bemühen mag.«

Als sie das gewünschte vor mich hingestellt hatte, blieb sie an meinen Tisch gelehnt stehen und betrachtete mich freundlich. »Ist der Herr etwan ein Studiosus?« – »Noch nicht, Jungfer, doch möcht ich ein Medikus werden. Einstweilen will ich mich zu einem tüchtigen Heilkundigen und Apotheker in die Lehre tun.«

»Und weiß Er schon einen solchen Lehrmeister?« fragte sie. – »Habe da ein Empfehlungsbriefel an Herrn Doktorem Waldhäuserum«. – »So, so, an den Waldhäuser?« meinte sie geringschätzig. Und ich: »Kennt Sie den Waldhäuser?« – »Freilich, freilich, wie soll ich den Lumpenkurierer nicht kennen? Pöh, den!« –»Lumpenkurierer? Warum heißet Sie ihn also?« Kühl antwortete die Jungfer: »Das ist so ein Volkstitul. Der Lumpenkurierer ist halt ein Medikus für arme Leut, so kein Geld haben, einen angesehenen Arzt zu zahlen.« – »Also ist Herr Waldhäuserus kein angesehener Arzt?« – »Ah bah,« entgegnete die Jungfer; »der Waldhäuser ist, seit ich gedenken kann, ein Lapp und kommt nimmer auf den grünen Zweig. Warum will Er sich auch ausgesucht zum Waldhäuser tun? Sollte meinen, es gäbe für Ihn doch angesehenere Lehrmeister. Zum Exempel den Medikus und Apotheker Schmirsel, so hier gleich um die Ecke auf dem Ring wohnt. An dem stattlichen Haus kann Er gleich sehen, wie einträglich dieses Gelahrten Kunst. Der Schmirsel ist oft bei uns zu Gaste, und so der Herr bis zum Abend ausharret, kann Er die Bekanntschaft des Herrn Schmirsel machen.«

Ich schwieg und ließ mir diese Auskunft durch den Kopf gehen. Dann meinte ich: »Bis zum Abend sind noch etliche Stunden, und ich kann doch nicht die ganze Zeit hier sitzen bleiben.« – »Ei warum denn nicht?« antwortete die Jungfer und sah mich durch halbgeschlossene Augenlider schalkhaft an.[94] Gleich werden ja auch ein paar Studiosen kommen, wie gewöhnlich nach Schluß ihrer Collegia. So mancher Fuchs hat von der Susanne vernommen und möchte sie beäugeln. Da spricht Er denn mit seinesgleichen auf Latein, was ich nicht verstehen soll. Manches Mal hör ich sie sprechen: formosa puella und pulcherrima. Kann der Herr mir wohl sagen, was diese Worte bedeuten?« Und Susanne machte ein Gesicht wie ein neugierig Kind.

Ich schlug die Augen nieder, als ich zur Antwort gab: »Die Worte heißen: ein wohlgestaltet, sehr sauber Mägdelein.« Hell wie Silberglocken lachte die Jungfer und deutete mit dem Finger auf sich, indem sie strahlenden Auges fragte: »Und das soll ich sein?« – »Wer denn sonsten?« – »Ei, könnt ich doch den Herren Studiosis in ihrem Latein die rechte Antwort geben! Will mich der Herr eine solche Antwort lehren? Ich bitte! Wie spricht denn der Lateiner, wenn er sagen will: So ziemlich?« – »So ziemlich ist auf Lateinisch sic satis geheißen.« Da wiederholte die Jungfer mehrere Male »sic satis« sprang vergnügt auf und tänzelte in der Stube umher: »Sic satis, sic satis! Nun wartet, ihr grünen Lateiner! Die Mäuler sollt ihr aufsperren, und der Herr mag des Zeuge sein. Obacht! gleich werden Studiosen kommen.«

Und zur Tür herein traten zween junge Burschen, bestellten Wein und beäugelten die Jungfer. Dabei raunte der eine dem andern zu: »Estne pulcherrima puella?« Mit boshaftem Triumphieren neigte sich Susanne und sagte dem lateinischen Lobredner ins Gesicht: »Sic satis!« Die beiden Studenten schauten einander mit einfältigem Staunen an, und einer sagte: »Blitz und Kartaunen! Sie verstehet Latein!« Da Susanne kichernd wegging und sich nicht weiter sehen ließ, die Studenten folglich ihre Niederlage empfanden, legten sie die Zeche auf den Tisch und schoben ab. Gleich darauf kehrte Susanne zurück und lachte aus vollem Halse: »Denen hab ich's gegeben! Die werden nun[95] von der gelahrten Wirtstochter erzählen. Dem Herrn dank ich auch schön für Seine lateinische Lectio. Zur Vergeltung hab ich Ihm ja meinen Rat gegeben, zum Schmirsel zu gehen. Hat Er sich die Sache überlegt?«

»Ach Jungfer Susanne,« entgegnete ich, »Sie weiß zu überreden, und wiewohl noch nicht entschlossen, zum Schmirsel zu gehen, schwanke ich wie jener berühmte Esel zwischen zwei gleich großen Heubündeln.« – »Sie sind nicht gleich groß«, eiferte Susanne: »Der Schmirsel ist ein ganz großes, Herr Waldhäuser nur eine Handvoll. So Er aber aus Seinem Zaudern nicht herauskommt, will ich Ihm ein Mittel an die Hand geben, das zur Entscheidung führt und auch unterhaltsam ist. Losen wollen wir, ob Er zum Schmirsel oder zum Waldhäuser geht.« Kleinlaut erwiderte ich: »Um den Zufall entscheiden zu lassen, ist mir die Sache doch zu ernst.« – »Zufall?« rief Susanne. »Hätte nicht gedacht, daß Er solch ein schlechter Christ! Wenn ohne Gottes Willen kein Härlein von unserem Haupte fällt, so werden auch Würfel und Los von seiner Hand gelenkt. Drum hat manch großer Mann das Los als ein Gottesurtel betrachtet. Erst dieser Tage hab ich die Geschichte eines berühmten Feldherrn von Venetia vernommen, Franziskus Sforza geheißen. War eines Winzers Sohn, gewohnt, mit dem Karst zu hacken. Wie er einmal in großer Sommerhitze mit seinem Karst mürrisch im Weinberg arbeitet, und etliche neugeworbene Soldaten singend ihres Weges ziehen, bekommt er Lust zum Krieg, ist jedoch im Zweifel, ob er beim Karst bleiben oder den Degen wählen solle. Wohlan, spricht er unter einem Nußbaume; ich will eine Probe nehmen und meinen Karst in diesen Wipfel werfen. Bleibt er droben, so ziehe ich in den Krieg, fällt er wieder herunter, so soll mir's ein Zeichen sein, daß ich elendiger Tropf noch länger hacken soll. Hiermit wirft er den Karst in den Wipfel, und als derselbige droben bleibt, lässet er ihn hängen und ziehet der Soldateska nach. Anfänglich ein Gemeiner, ward er bald Rottmeister, Feldweibel und[96] Offizier und schließlich ein ruhmreicher General. Ei junger Herr, tu Er' s dem Italiener nach und entscheide durch Losen. Ich will Ihm helfen. Da schau, die Handvoll Münzen, die ich blindlings aus meiner Handtasche gerafft habe. Nun Obacht! Ich zähle die Münzen auf den Tisch, und die letzte Münze soll entscheiden, ob Er zum Schmirsel oder zum Waldhäuser gehet. Ist Ihm das recht?« Dabei blickten mich ihre Augen holdselig an, und sie rasselte mit den Münzen, die sie hohl zwischen den Händen hielt.

»Wohlan,« entgegnete ich, »aber ich weiß noch nicht, auf welche Weise die letzte Münze bestimmen soll, zu wem ich gehe.« – »Ganz recht«, erwiderte die Jungfer und legte das Münzenhäuflein auf den Tisch. »Zunächst hat Er zu bestimmen, ob der Schmirsel Hund oder Has sein soll.« – »Hund soll er sein,« erwiderte ich, neugierig, wo, hinaus das wolle. »Gut!« sagte Susanne, »der Schmirsel ist Hund; dann ist der Waldhäuser Has, und nun zählen wir die Münzen auf. Dabei sage ich jedesmal: Hund gewinnt, oder: Has verliert; die letzte Münze entscheidet.« Sodann zählte die Jungfer die Münzen langsam auf, indem sie fortgesetzt sagte: »Hund gewinnt, Has verliert, Hund gewinnt, Has verliert.« Wie nur noch drei Münzen übrig waren, starrte ich in Spannung auf diese Hantierung, so mein Gottesurtel sein sollte, und Susanne sprach: »Hund gewinnt, Has verliert, Hund gewinnt! Und dabei bleibt's! Also hat Schmirsel gewonnen.«

Ich mag ein sorgenvoll Gesicht geschnitten haben, denn die Jungfer meinte: »Das mundet Ihm wohl nicht? Oder gläubet Er etwan, ich habe falsch abgezählt? Wohlan, wir können ja noch einmal losen. Mag Er selber das neue Häuflein bestimmen und nochmals frei wählen, ob Schmirsel Hund oder Has sein soll.« Erleichterten Herzens griff ich etliche Münzen, es waren sieben, reichte sie der Jungfer und sagte: »Diesmal soll Schmirsel der Hase sein.« Die Jungfer kicherte und zählte die Münzen auf: »Has gewinnt, Hund verliert, Has gewinnt, Hund verliert, Has gewinnt, Hund verliert,[97] Has gewinnt! Also hat wieder der Schmirsel gewonnen, denn der ist ja diesmal der Has.« Ich kraute mir hinterm Ohr, verdrossen; indessen sie mich auslachte. »Darf ich noch bringen?« fragte Susanne und war mit Lust um mich beflissen. Vertraulich setzte sie sich zu mir, und dreister gemacht, betrachtete ich ihre wohlgebildeten Hände mit den feinen Spitzenmanschetten. Warf auch auf das Antlitz manch verstohlenen Blick, und dann klopfte mein Herz in süßer Unrast. Frisch wie eine Rose blühete Susanne. Unter dem übermütigen Näslein prangten Kirschenlippen. Verlegen war ich, wenn ihr Blick auf mir ruhte und neugierig an mir herumzutasten schien, um meine Art zu erforschen. Auch mit Fragen verfolgte die Jungfer dies Ziel, und vom Wein gesprächig, hatte ich bald meine Lebensgeschichte berichtet. Als ich erwähnte, daß ich Alchymie treibe, horchte sie auf: »Ei, da wär Er ja der rechte Famulus für den Schmirsel und käme wie gerufen. Ist doch dieser Medikus erst dieser Tage zu einem hohen Herrn berufen worden, so an Hüftweh leidet und viel Gold geben will, so ihn einer heilt. Wenn hernach der Schmirsel kommt, will ich Ihn, Herr Johannes, ihm präsentieren. Sei Er mir aber gescheit, falls Er beim Schmirsel eintreten darf. Nur nicht Sein Medikament verraten! Das muß Geheimnis bleiben, sonsten wird Ihm kein Vorteil davon. Der Schmirsel muß es jedesmal bezahlen, und seh Er zu, daß Er diesem Chymisten manches von seinen Künsten ablauschet. Schwätzet man doch, der Schmirsel verstehe sich aufs Goldmachen.« War ich bisher noch nicht mit ganzer Seele entschlossen, den Schmirsel zu wählen, so entschied diese Mitteilung, indem sie meine abergläubische Hoffnung anreizte, den verheißenen Goldschatz zu gewinnen.

Da es Abend worden, traten neue Gäste in die Stube. Susanne bekam zu tun, und es tat mir leid, daß sie gleichgültig an mir vorüberging, als sei die frühere Vertraulichkeit weggeblasen. Da trat ein hagerer Herr ein, steifen Schrittes, hochnasig und gespreizt, stutzerhaft gekleidet und[98] von einem beklemmenden Wohlgeruch. »Grüß Gott, Herr Schmirsel«, sagte Susanne knixend. Ich horchte auf und betrachtete den Schmirsel. Sein dürres, faltenreiches Angesicht verriet, daß er die Fünfzig weit überschritten habe. Sein schwarzes Haar, das, wie ich später erfuhr, künstlich gefärbt war, glänzte von Fett wie ein gestriegelter Rappe. Um den Hals trug er einen breiten Spitzenkragen. Wams und Hose waren aus schwarzem Sammet. Auf den Ärmeln war ein ganzer Kram von gelbseidenen Bändchen aufgeheftet. Die roten Strümpfe gaben den Beinen etwas Storchenhaftes, auf den Schuhen prangten künstliche Rosen. Der Degen ragte hinten aus dem Rocke, so stolz, daß fünf Dutzend Sperlinge Platz darauf gehabt hätten. Den blauen Mantel und Hut, dessen Krempe auf französische Art von einer Agraffe hochgehalten wurde, hing er an einen Wandhaken, stellte seinen Stock, der einen großen silbernen Knopf hatte, in die Ecke und trat mit Schritten wie ein Tanzmeister, die Fußspitzen fein auswärts, zur Jungfer, verbeugte sich mit Politesse und führte ihre Hand, die sie ihm lächelnd darreichte, an schmatzende Lippen. Diese Lippen waren fortwährend beflissen, noble Manieren zur Schau zu tragen; der Odem zog sie bald nach innen, bald blies er sie wieder spitzig auf, als gelte es, feinen Wein zu kosten. Die Augenbrauen hochmütig emporgezogen, nahm er am großen Tisch in der Ecke Platz.

Wie Susanne Wein gebracht hatte, setzte sie sich zu Schmirsel, und die beiden pflagen des Gespräches mit gedämpfter Stimme, ohne daß ich mehr als einzelne Worte erhaschte. Jetzo kam mir die Jungfer für wie ein schnurrend Schmeichelkätzchen, das sich den Pelz streicheln lässet und zuweilen schalkhaft die Krallen unter den Sammetpfötchen reckt. Auf einmal hielt Schmirsel das Brillenglas vor seine Augen und forschte zu mir herüber. Dann kam Susanne herbei und lud mich zu Schmirsel. Sie nannte ihm meinen Namen, indessen ich mich neigte.[99]

Schmirsel bot mir einen Stuhl und sprach mit gedämpfter Stimme: »Vernehme da mancherlei Gutes von Ihm, junger Gesell, zum Exempel, daß Er sich auf Medicamenta verstehet. Erzähl Er doch einmal, mit allen Umständen, wie Er in Schlesingen das lahme Kindlein kuriert hat. Das Mittel ist mir zwar bekannt, doch möcht ich wissen, ob Er die rechte Bereitung getroffen hat. In diesem Falle wär ich nicht abgeneigt, Ihn als Lehrling in mein Haus aufzunehmen.«

Ich war unschlüssig, was zu antworten, da ich an Susannens Rat dachte, mein Mittel ja nicht preiszugeben. Zum Überflusse trat mir die Jungfer auf den Fuß, und nun sprach ich: »Geehrter Herr Medikus! So glücklich ich mich preisen würde, falls mich der berühmte Herr in die Lehre nähme, muß ich doch das Geheimnis meiner Medicamenta hüten. Sie sind ja mein einziger Schatz, aus dem ich mein Leben fristen und erquicken möchte. Wofern aber der Herr sich damit begnügt, daß ich Ihm das Mittel wider lahme Glieder bereite und zum Verkauf an seine Patienten anheimstelle, und wofern der Herr Medikus mich rechtens dafür besoldet, will ich lieber bei Ihm eintreten als beim Herrn Waldhäuser, an den ich einen Empfehlungsbrief habe.«

Schmirsel warf mir einen harten Blick zu und erwiderte kühl: »So so, zum Waldhäuser will Er? Mag Er sehen, ob ihm der Lumpenkurierer seinen Schatz geheimer Medikamente bezahlt.« Ich schwieg, und auch Schmirsel wollte erst nicht mehr die Lippen voneinander bringen, warf aber schließlich mit scheinbarer Gleichgültigkeit hin: »Welchen Preis will Er denn für sein Mittel haben? Vorausgesetzt, daß es wirklich hilft und etwas Neues ist!« Listig gab ich zur Antwort: »Erst muß ich wissen, ob der Patient mehr oder minder wohlhabend ist, alsdann werde ich mein Medikament jedesmal zu einem angemessenen Preise verkaufen.« Überrascht sah mir Schmirsel ins Auge, lachte dann säuerlich und reichte mir die Hand. »Ich will's mit Ihm versuchen! Abgemacht! Geh Er nun sogleich in mein Haus, um die Ecke[100] links am Ringe gelegen, und installier Er sich.« Drauf ließ der Medikus Feder, Tinte und Papier bringen und schrieb ein Briefel an seine Haushälterin. Ich zahlte meine Zeche und neigte mich sowohl vor meinem neuen Herrn als vor der Jungfer, die mir Glück wünschte.

So brachte mich verliebte Torheit auf jene Bahn, wo Susanne und Schmirsel, Rausch und Habgier herrschten. Was ich bei meinem Lehrmeister trieb, gewährte keinen anderen Lohn als Geld und Geld. Schmirsel, der mit meinem geheimen Mittel einen hohen Herrn kuriert hatte, verlangte immer häufiger danach, und immer kunstvoller machte ich aus Antimonium mein Medikament zurecht, vermengte es mit wohlriechenden Kräutern, fürgebend, diese Kräuter seien das Heilkräftige, damit nämlich Schmirsel nicht hinter das Geheimnis komme. Auch mengte ich das Antimon mit eingemachten Zitronen, Zimt und Rosenzucker zusammen. Solche Apothekerwaren wurden von Schmirsel nicht bloß für seine eignen Patienten verwendet, sondern sogar in den Handel gebracht, wo sie unter dem Namen »Schmirsels Morsellen« und »Gicht–Pillulen« berühmt wurden. Für mich wie für ihn fiel genung Geldes ab. Doch weil ich mich von Susannens eitlem Herzen leiten ließ, verwandte ich meine Einnahme auf Tand, kaufte Kleider à la mode, rauchte Tobak aus einer holländischen Pfeife und war jeden Abend in der Äpfelkammer zu finden, wo ich trinkend, auch spielend mein Geld vertat und einen Umgang hatte, den ich besser gemieden hätte. Um Susannen zu gefallen, stund ich vor dem Spiegel, kämmte mein langes Flachshaar und drehte das sprossende Bärtlein. Mit den stutzerhaften Kleidern und neuen Gewohnheiten hatte ich einen andern Menschen angezogen. Vergessen und verschollen lag das Tüchtige hinter mir, so mir in früheren Jahren, fürnehmlich durch meines Vaters Wort und Beispiel, zugekommen war.

Meine Verliebtheit ließ nicht locker und ward ein rechter[101] Plagegeist, der alle Ruhe und Besonnenheit störte. Susanne bewegte mich, wie der Puppenspieler am Drahte seine Puppe. In einem fort trieb sie mich, für meinen Wohlstand zu sorgen. Leichtgläubig erwartete sie, jene Prophezeiung der Zigeunerin werde sich erfüllen. Zwar dachte sie an keinen Schatz, der aus verwunschenen Schlössern gehoben wird, hoffte indessen, meine alchymistischen Versuche würden eines Tages gelingen. Ich hatte diesen Glauben genährt, zu nächtlicher Stunde von Goldmachergeschichten schwätzend.


Der berüchtigte Chymikus Sebaldus Schwertzer war verstorben, und wie nun seine Hauseinrichtung zu Geld gemacht werden sollte, bestätigte sich das Verslein:


»Goldmacher lassen ihren Erben

Zerbrochne Gläser nur und Scherben.«


Aus dem Plunder des Nachlasses gelangten alchymistische Scharteken für geringe Zahlung an mich. In einer las ich das Rezept einer Tinktur, die geringes Metall zu Golde wandle. An den Rand freilich hatte der Verstorbene eigenhändig geschrieben: »Werde nicht gierig; denn obwohl mir die Goldbereitung gelungen, hat sie Unheil über Unheil gebracht.« Ich ließ mich nicht warnen und suchte den beschriebenen Prozeß zustande zu bringen. Etliche Kräutlein, die das Rezept angibt, verschaffte ich mir, verbrannte sie und tat die Asche mit Essig und Eisenfeilspänen zusammen in ein Glas, das wohl versehentlich nicht ausgespült war. Es begab sich aber gleich hinterher, daß ich auf Geheiß meines Herrn Schmirsel eine Reise tat, die mich einen Monat fernhielt. Wie ich nun in meine Stube zurückkehre, kommt mir ein köstlicher Geruch entgegen, als seien Ambra und Moschus in jenem Glase, und an der Oberfläche der Mischung schwimmt ein rosenfarben Öl gleich der beschriebenen Tinktur. Ich experimentiere damit, wie es die Anweisung vorschreibt. Tue ein halb Lot Silberkalk in einen Tiegel, tunke Baumwolle[102] in mein Öl und lege sie zum Silberkalk. Nachdem im heißen Ofen der Silberkalk mit dem Öl sich verbunden hat, scheide ich den Kalk heraus und traue meinen Augen nicht, dieweilen ich ein Quäntlein allerschönsten Goldes behalte. Schier närrisch vor Freude gehe ich daran, mit meinem Öl eine größere Masse Silbers zu tingieren. Da mir aber der Rausch in Kopf und Hand gedrungen ist, so schütte ich aus Versehen mein Öl ins Feuer, daß es alsobald mit starkem Dufte verfliegt. Vergebens hab ich mich seitdem abgemüht, die kostbare Tinktur von neuem zu destillieren. Es bildete sich kein rosenfarben Öl. Hiezu mußte wohl jene Flüssigkeit notwendig sein, von der ein Rest in dem ungespülten Glas geblieben war. Vergebens grübelte ich, was das für eine Flüssigkeit gewesen.

Den Narrheiten, die ich beging, fügte ich eine besonders unheilvolle hinzu, indem ich Susannen von meinem Erfolge berichtete und das Quäntlein Gold, eingeschlossen in ein silbern Herzlein, ihr zum Angebinde gab. Dabei hatte ich nicht mit der weibischen Geschwätzigkeit und Prahlsucht gerechnet. Wider mein Geheiß sprach Susanne etlichen bevorzugten Gästen davon, mir sei die Goldbereitung gelungen, wobei der sichtbare Beweis herumgereicht ward. Von Schmirsel zur Rede gestellt, gab ich ausweichenden Bescheid, jedoch so, daß ich den Glauben an meine Kunst nur verstärkte. Wochenlang plagte mich Schmirsel mit Fragen, auch mit Spionieren auf meinem Zimmer, wo ich meine heimlichen Experimente machte. Bei Tag und selbst bei Nacht war mir die Ruhe verleidet, und sooft ich die Äpfelkammer besuchte, fühlte ich mich von Susannen zu neuer Goldmacherei angestachelt. Zum Überfluß erschien unter den Gästen des Wirtshauses ein Mensch, so peinliche Erinnerungen, auch düstere Ahnungen künftigen Unheils wachrief; nämlich der Doktor Giacomini. Greise zwar an Haar und Bart, war er derselbe geblieben an Habgier und Tücke. Versteckt suchte er mich nach meiner Goldmacherei auszuforschen, trug freilich[103] eine kalte und harte Abweisung davon, worauf er mich einen Prahlhansen schalt.

Unerwartet, wie ich in die Äpfelkammer gelangt war, kam ich auch wieder heraus, so daß ich mit Staunen jene labyrinthischen Verschlingungen und launischen Abweichungen betrachte auf denen das Schicksal den Menschen führt. Der letzte Abend, den ich im gewohnten Wirtshause verlebte, war von verdrossenen Grübeleien erfüllt. An einem Ecktische saß ich zu später Stunde einsam, die Wange auf die Hand gestützt, und starrte auf das Spiel der Schatten, die ein Schwarm lebhafter Gäste im Scheine der Tischlaterne an meine Wand warf. Zuweilen unterschied ich im Schattengewirr eine Hand, ein verzerrt Haupt und erhobene Becher, derweilen Geschwätz und Lachen, Johlen, Gläserklirren und Würfelklappern sich vermischten. Die Luft war schwer und schwül, erfüllt vom Rauche jenes Tobakkrautes, das Mode zu werden begann und aus niederländischen Tonpfeifen qualmte. Trübsinn drückte mich nieder, heimliche Reue nagte am Herzen. Auf einmal war es mir, als täte mich mein Vater vorwurfsvoll anschauen, traurig sprechend: »Junge, Junge, du hier?« – Verstört richtete ich mich auf und sah umher. Da war das Gesicht verschwunden, und zu mir trat ein Studiosus, so in der Äpfelkammer verkehrte und mit mir Brüderschaft getrunken hatte, wir hießen ihn mit seinem Spitznamen das Roß. »Warum so einsam, Johannes?« lallte er. »Willst du nicht an unserm Tische mit uns knöcheln? Magst nicht? Nun, so laß uns beide mitsammen um die Zeche spielen. Soll ich für dich zahlen, oder willst du für mich zahlen, he? Das laß uns jetzo durch Hund und Hase entscheiden.« In die Tasche griff das Roß und klimperte mit einer Handvoll Münzen, legte sie auf den Tisch und setzte sich neben mich. Ich stutzte, denn »Hund und Hase« war ja jene Art zu losen, durch die Susanne entschieden hatte, ob ich zum Schmirsel oder zum Waldhäuser gehen solle.

Ein Weilchen ohne Neigung, des Rosses Vorschlag anzunehmen,[104] ging ich schließlich darauf ein und erklärte, ich wolle der Hund sein. Hierauf zählte der Studiosus die Geldstücke auf, indem er sagte: »Hund verliert, Hase gewinnt, Hund verliert, Hase gewinnt.« Natürlich kam bei solchem Abzählen heraus, daß ich jeden Falles die Zeche bezahlen mußte. Doch brachte dieser Verlust mir den Gewinn, daß meine finstere Torheit auf einmal von einem Lichtstrahl erhellt ward. Ich erkannte, wie das Spiel »Hund und Hase« nichts war als possenhafter Betrug, einen unbesonnenen Menschen zu übertölpeln. Und solch einen unsauberen Kniff hatte Susanne für ein Gottesurtel ausgegeben, ohne sich ein Gewissen daraus zu machen, daß ihre Leichtfertigkeit über mein Geschick entscheide, da ich doch ähnlich wie Herkules am Scheidewege gestanden. Susanne kam mir auf einmal gänzlich anders für, als sie bisher erschienen. Es war, als sei eine schöne Blume welk und blaß worden, oder als stelle sich heraus, daß eines Angesichtes prangende Farben nichts sind als heuchelnde Malerei. Außerstande, der Jungfer freundlich ins Gesicht zu schauen, begab ich mich heim und fand stundenlang keinen Schlaf vor Enttäuschung und Gram.

Andern Tages wollte ich Susannen zur Rede stellen, wie sie es habe übers Herz bringen können, ein Spiel mit meinem Leben zu treiben, ohne wenigstens hinterher einzugestehen, daß sie sich vom Mutwillen habe fortreißen lassen. Um unter vier Augen mit ihr zu reden, ging ich bereits am Nachmittag in die Äpfelkammer. Ohne besondere Absicht nahm ich diesmal in dem hinten gelegenen Gewölbe Platz.

Gleich darauf hörte ich jemand in die Gaststube eintreten, es war Schmirsel, der seinen gewohnten Platz einnahm. Hinter ihm kam die Jungfer, setzte sich zu ihm und begann zu reden, ohne zu wissen, daß ich zuhöre. »Ei, welch ein schön Balsambüchslein!« Hierauf er: »Es ist nicht schön, als bis die Jungfer es in Ihren schönen Händen hält. Sie behalte es, und mein Herze dazu.« – »Ich werde Ihn nicht in solchen Schaden bringen.« – »Schaden? Mitnichten! Ich bin Ihr[105] Leibeigener, und ist es gleich, ob meine Sachen bei mir oder bei Ihr in Verwahrung liegen.« – »Das ist gar edel von Ihm gedacht; doch ich bitte, nehm Er das Balsambüchslein lieber zurück, es ist ja von Golde. Was würden die Leute sprechen!« »Mögen sie sprechen, was sie wollen, uns beiden kann davon nicht Übles geschehen. Was aber die Köstlichkeit des Balsambüchsgens betrifft, so ist die lange nicht groß genung; meine holde Jungfer wäre gar eines Büchsgens von Demant wert.« »Er ist ein Schmeichler, aber ein lieber. Um Ihn nicht zu kränken, will ich sein Angebinde nehmen und mit meinem allerschönsten Dank nicht zurückhalten.« – »O süßes Kind, wenn das Gold dieses Büchsgens wird blaß werden, nicht eher werde ich aufhören, Ihr aufzuwarten.« Um die Ecke spähend, sah ich, wie er sie beim Kinn ergriff und etwas tun durfte, wovon ich bisher kaum zu träumen gewagt: Auf seinen Schoß zog er sie, ich hörte Busseln und Schmatzen. Eine Weile war ich starr vor trauriger Überraschung, alsodann dämmerte es sacht in meinem dummen Schädel, und ich gestund mir, die angebetete Jungfrau müsse wohl von der Gattung sein, die nichts umsonst und mancherlei um Geld tut. Wie ein Flämmchen am Windstoß erlosch zur selbigen Stunde die Liebe in meinem Herzen. Ich stund auf, hustete laut und ging durch die vordere Gaststube an Sicsatis und ihrem Galan vorbei, ohne auch nur einen Blick hinzuwerfen. In meiner Stube angelangt, packte ich meine Habe zusammen und verließ Schmirsels Haus.

Quelle:
Bruno Wille: Die Abendburg. Jena 1909, S. 74-106.
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Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

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