Drittes Kapitel.
Vater und Sohn.

[57] Ein zertrümmernder Erdstoß hätte keine größere Wirkung auf die kleine Theegesellschaft hervorbringen können, als die unerwartete Erscheinung des jungen Grafen. Erasmus wendete langsam sein todtenbleiches stolzes Gesicht nach dem frechen Sohne, ihn mit flammendem Blick betrachtend. Herta stand auf und verbeugte sich leicht vor dem Vetter, der mit zarter Anfmerksamkeit an die Gräfin herantrat und ihr ehrfurchtsvoll die Hand küßte. Nur von der Seite streifte sein Blick den alten Vater, dessen Aussehn und finstre Miene ihm sagte, daß er kein willkommener Gast sei. Dies hinderte ihn jedoch nicht, sein Auge mit brennender Lüsternheit auf der untadelichen Gestalt seiner schönen Cousine ruhen zu lassen.

Magnus trug seinen alltäglichen modischen[58] Reitrock und war überhaupt eben so fein als elegant gekleidet. Nur sein linkes Auge und die Schläfe waren jetzt mit einem feinen schwarzseidenen Tuche umwunden, was ihm ein lauerndes Ansehen gab. Der kecke Schlag Röschens mit dem silbernen Leuchter hatte diesen Verband nöthig gemacht.

Da Niemand Anstalt traf, den Sohn des Hauses freundlich zu begrüßen, und selbst die Mutter nur einen »guten Abend, lieber Sohn!« zu flüstern wagte, schwellte der Zorn seine Adern. Er trat hart an den Lehnstuhl des Vaters und fragte höflich-kalt:

»Sollte ich vielleicht einen wichtigen Familienrath stören, mein Vater, so bin ich erbötig, mich zurückzuziehen und zu gelegnerer Stunde um eine Unterredung mit Ihnen zu bitten.«

»Kommst Du als reuiger Sohn, so werde ich Dich gern anhören,« versetzte der Greis, »willst Du aber Deine neueren Thaten mit gleißnerischen Worten beschönigen, dann wirst Du wohl thun, Dich so lange von meinem Zimmer fern zu halten, bis ich als Leiche darin liege.«

»Man hat mich verleumdet, wie ich sehe!« fuhr Magnus auf. »Es wird mir doch gestattet[59] sein, nach dem Namen meines Verleumders fragen zu dürfen?«

»Das habe auch ich behauptet,« sagte die Gräfin, dem Sohne beitretend. »Du hast dem Mädchen ein zu leichtgläubiges Ohr geliehen.«

»Also meiner liebenswürdigen Cousine bin ich für diesen unfreundlichen Empfang zu Dank verpflichtet,« entgegnete Magnus mit teuflischer Grazie, und das verschüchterte Mädchen mit einem furchtbaren Blicke überflammend. »Nimm einstweilen die Versicherung meiner innigsten Erkenntlichkeit für diese Aufmerksamkeit.«

»Magnus,« nahm jetzt der alte Graf das Wort, »ich will mich noch einmal bemühen, ruhig und liebreich wie ein Vater mit Dir zu reden, aber ich bedinge mir aus, daß Du Herta mit all der Achtung behandelst, die ein tugendhaftes Mädchen von Dir fordern darf.«

»Ich werde mich anstrengen, Ihren Befehlen nachzukommen.«

»Ich wollte, Du hättest es stets gethan, dann hätten wir beide nicht so viele traurige Stunden zu beklagen. Doch laß uns dieses Gespräch endigen und sage, was Dich zu so ungewohnter Stunde zu uns führt?«[60]

Diese Frage hatte Magnus erwartet. Er richtete sich stolz auf und versetzte: »Hätte mein gnädiger Vater mich weniger unfreundlich empfangen, so würde er in meinen Nachrichten erkannt haben, daß kindliche Gefühle meinem Herzen nicht fremd sind.«

Er stützte sich jetzt mit dem linken Arm auf die Lehne eines Sessels und nahm eine nachlässige, aber leichte und gefällige Stellung an. Dann fuhr er fort:

»Mein Vater, die Folgen der revolutionären Bewegungen in Frankreich fangen an auch in Deutschland einen Wiederhall zu finden. Unsere Bauern, unsere Leibeigenen werden widerspänstig und wagen es, einen eigenen Willen haben zu wollen.«

»Dies ist ein Pröbchen, welchen Nutzen die Verbreitung neuer Ideen stiftet,« bemerkte die Gräfin mit einem Seitenblick auf Herta.

»Sprichst Du aus eigener Erfahrung?« fragte der Graf.

»Seit einigen Tagen murren meine Knechte,« versetzte Magnus. »Sie weigern sich, dem Voigte, einem rechtlichen, strengen Manne, zu gehorchen und zeigen sogar mir unzufriedene Mienen. Ich[61] kann und will das nicht dulden, und weil ich weiß, daß mein Vater niemals der Willkür das Wort geredet hat, wende ich mich zuerst an Sie und ersuche, ja flehe Sie, mit mir vereint diesen aufrührerischen Trotz zu beugen, den frechen Übermuth elender Sclaven empfindlich zu strafen!«

»Ich erwarte Deine näheren Angaben,« sagte Erasmus vornehm gelassen.

»Vielleicht wissen Sie nicht, mein Vater, daß der Heerd der Unzufriedenheit unmittelbar am Fuße Ihres Stammschlosses zu suchen ist? Ihre Milde, Ihre Güte, Ihre Herablassung hat diese Rotte armseligen Volkes kühn gemacht. Meine schöne Cousine – Sie vergeben mir, mein Vater, daß ich mit aller Achtung vor Schönheit und Herzensgüte den Ankläger machen muß – meine schöne Cousine sät täglich wild fortwucherndes Unkraut durch ihre Besuche in den schmutzigen Hütten der Leibeigenen. Sie behandelt diese Auswürflinge wie gesittete Menschen; sie spricht mit ihnen, als wären sie ihres Gleichen, und fabelt ihnen von bessern Tagen, von einer gerechten Freiheit und Gleichheit der Gesetze vor. Kurz meine liebenswürdige Muhme predigt mit dem besten Erfolge die schmachvollen Lehren[62] der französischen Jakobiner! Sie erlauben mir, mein Vater, daß ich meine Behauptungen durch Thatsachen beweisen darf. Vor einigen Wochen schrieb ich eine Gesindeschau auf meinen Ortschaften aus. Ein Mädchen, das ich besonders tauglich fand für meine Dienste, widersetzte sich hartnäckig und bestritt meine Herrschaft über sie. Diese Dirne war die Tochter eines Ihrer Unterthanen, seit längerer Zeit aber schon heimisch in einem mir speciell zugehörenden Dorfe. Dennoch war sie weder durch freundliche Worte noch durch Drohungen zu einer Sinnesänderung zu bewegen. So that ich denn, was ich mußte, ich brachte sie gewaltsam auf meinen Edelhof, und was glauben Sie wohl, mein Vater, daß diese Dirne zu thun wagte?«

Magnus sah den Grafen und seine gespannt aufhorchende Mutter lange an. Erasmus winkte.

»Sie war so beispiellos frech, Hand an mich zu legen, mich beinahe lebensgefährlich zu verwunden!« sagte Magnus. »Überzeugen Sie sich selbst, mein Vater, und Sie, meine gütige Mutter, halten Sie Ihr Entsetzen über eine That zurück, für die ich vorschlagen möchte, eine eigne Strafe zu erfinden!«[63]

Geschickt wußte der schlaue Magnus während dieser Worte die schwarze Binde zu lösen, unter der eine rothblaue, noch nicht ganz verharrschte Wunde sichtbar ward, die gefährlicher aussah, als sie war. Gräfin Utta schlug die vollen weißen Hände in stummem Erstaunen in einander und auch Herta warf einen kurzen Blick auf den vorgebeugten schönen Kopf des jungen Mannes. Vollkommen ruhig betrachtete Erasmus die Verwundung seines Sohnes.

»Nur eine geringe Kraftvermehrung würde mich todt niedergeworfen haben,« sagte Magnus mit erheuchelter innerer Erregung. »So lag ich nur eine Zeit lang in starrer Betäubung, und diese benutzte das freche Geschöpf, um zu entfliehen. Ich habe sichere Kunde, daß dieses strafwürdige Mädchen sich unter Ihre Obhut, mein Vater, begeben hat, und weil ich nicht Ihre Rechte schmälern will, bitte ich ganz gehorsamst entweder um ihre Auslieferung an mich, damit ich über die Art ihrer Bestrafung mit mir zu Rathe gehen kann, oder ersuche Sie, daß Sie selbst das Richteramt in dieser Sache übernehmen.«

»Wie heißt das Mädchen?« fragte Erasmus.

»Röschen Sloboda.«[64]

»Röschen!« wiederholte Herta leise, doch laut genug, um von Magnus verstanden zu werden.

»Hast Du bei Deiner Erzählung auch nichts zu erwähnen vergessen? Es wäre mir sehr unlieb, wenn ich in dieser Angelegenheit zu Deinem Nachtheil entscheiden müßte.«

»Sie haben die volle Wahrheit gehört.«

»Wahrheit, die uns mit ewigem Abscheu gegen diese Elenden erfüllen muß!« rief die Gräfin. »Armer Sohn, guter gemißhandelter Magnus! Sei versichert, daß Dein Vater diese uns Allen zugefügte Schmach streng, beispiellos streng ahnden wird!«

»Übereilen wir uns nicht, meine Freundin,« erwiederte Erasmus. »Hat sich das Mädchen wirklich so hart an unserm Sohne vergangen, wie Magnus behauptet, so wird es der Strafe nicht entgehen. Vorher aber wollen wir ganz unparteiisch die Sache untersuchen.«

»Sie setzen Mistrauen in die Worte Ihres Sohnes?«

»Ich vertraue Dir so viel, wie Du verdienst,« antwortete Erasmus streng. »Darin erfülle ich nur Demen Willen. Hättest Du mich nie getäuscht,[65] so würde ich keine Zweifel in die Wahrhaftigkeit Deiner Erzählung setzen. So aber pflegtest Du mich stets zu hintergehen und der lügenhaften Worte sind zehnmal mehr über Deine Zunge gegangen, als der wahrheitsgetreuen.«

»Mein Vater!«

»Schweig, es ist so! – Und was hast Du zu Deiner Entschuldigung anzuführen, wenn ich Dir sage, daß die arme Wendin Dich bereits bei mir verklagt hat?«

Magnus verließ seine bisher beibehaltene etwas kokette Stellung und trat einen Schritt vom Stuhle zurück. Dann sagte er:

»Ich kann es mir denken, daß diese intrigante Person ihre Frechheit so weit getrieben hat, oder sollte ich vielleicht auch diese neue Wendung der Dinge der zuvorkommenden Vermittelung meiner schönen Cousine –«

»Herta bittet blos für Arme und Unterdrückte,« fiel Erasmus ein, »aber entstellt nie einfache Thatsachen. Mich dünkt, mein Sohn, es ist nicht Alles rein in Deinen Worten! Röschen ward gewaltsam entführt und hat Gewalt mit Gewalt erwiedert. Es ist daran gar nichts Unbegreifliches, nichts Übernatürliches. Aber wenn[66] ich nun Gelegenheit nehme, diese geheime Entführungsgeschichte genauer zu beleuchten, würde dann mein Sohn nicht etwa Ursache haben zu erröthen? Ich will jetzt nicht weiter gehen, Magnus, ich gebe Dir nur zu bedenken, daß ein böses Gerücht umläuft unter dem Volke über den Tod von Jan Sloboda's Schwiegertochter, und daß ich alter Mann nicht vermag, diesem Gerücht die Zunge auszureißen!«

»Geschwätz, rachsüchtige Verleumdungen derer, die ich wegen Waldfrevel bestrafen ließ.«

»Ich sprach die Sterbende,« sagte Erasmus mit einem Tone, der furchtbar klang und selbst Magnus erblassen machte. »Sie hat mir, mir ganz allein gebeichtet und auf ihren Wunsch habe ich ihre Beichte tief in mein bekümmertes Herz verschlossen. Doch glaube mir, Magnus, daß ich seitdem an jedem Abend mein Haupt mit schwerem Kummer zur Ruhe lege, daß ich die Zukunft, daß ich Deine Zukunft fürchte!«

Gräfin Utta blickte zum ersten Male mit Entsetzen auf ihren Liebling, in der Hoffnung, daß der Ausdruck seiner Züge ihr zu muthiger Entgegnung Anlaß geben werde. Aber sie bebte in sich selbst zurück vor Magnus. Dieser stand[67] wie leblos vor seinem mit finsterm Richterauge zu ihm aufblickenden Vater. Seine Hände zitterten sichtbar und das Antlitz mit der schwarzen Binde glich vollkommen weißem Marmor. Er hatte die Augen fest auf den Boden geheftet. Weil ihm die Kräfte versagten, sank er auf den Stuhl nieder, auf dessen Lehne er sich bisher in eitler Selbstgefälligkeit gestützt hatte. Es mußte ein furchtbares Geheimniß sein, zu dessen Kenntniß der alte Graf gekommen war und das er jetzt im entscheidenden Augenblick als niederschmetternde Waffe gegen seinen eigenen Sohn gebrauchte. Eine beklemmende Pause trat ein, die Niemand zu unterbrechen wagte. Um diese Todtenstille aufhören zu lassen, die wie ein Sargdeckel über den Häuptern der Familie schwebte, fing Herta an, mit dem Theegeschirr zu klappern. Dies gab dem alten Grafen aufs Neue Fassung, und da es nun einmal zu einer Aussprache gekommen war, ergriff er abermals das Wort und wendete sich damit fast ausschließlich an seinen Sohn.

»Es scheint, als verkenntest Du ganz die Pflichten des Herrn gegen seine Untergebenen,« sagte er. »Dir und leider tausend Andern, welche[68] Dir gleichen, sind alle Unterthanen nur Werkzeuge, nur Maschinen, die man abnutzen kann nach Belieben und zu seinem Vergnügen. Du glaubst bloß Forderungen, keine Pflichten an sie zu haben. Es sollte aber die Ehre des Adels sein, die Unterthanen zu schirmen, sich in Noth und Jammer ihrer anzunehmen, sie zu bilden, zu erziehen und aus der dumpfen Atmosphäre geistiger Erniedrigung, in der sie schmachten, emporzuheben in die heitere Luft einer hellern Denkungsart, eines bessern Daseins! Was soll denn aus uns und der Welt werden, wenn wir immer nur auf einem Punkte uns fortdrehen wollen, wie wahnsinnige Derwische? Wir müssen zuletzt in völlige Apathie versinken und als blödsinnige Schwächlinge verkümmern! Schreitet fort! ruft jede Seite der Weltgeschichte uns zu; lernt die Zeiten und deren Bedürfnisse verstehen, predigt uns jeglicher Tag! Es taucht keine Sonne hinter Berg und Meereswoge unter, ohne fern von unserm Auge einen neuen Bildungshalm ins Leben zu rufen, und jeder neue Morgen ist der Tauftag einer neuen That, eines gewaltigen ins Leben geschleuderten Geistes! Das, mein Sohn, laß uns bedenken, dann wird uns der Sturmschritt[69] der Zeit nicht wie ein versengender Sirocco überfallen! – Wir sind alle krank, krank an Gedanken, Meinungen, Vorurtheilen, die wir aus längst vergangenen Tagen in unsere Zeit herübergeschleppt haben und die wegzuwerfen als leere Hüllen aus ihnen hervorgegangener buntbeschwingter Seelen uns schwer fällt. Aber wir müssen uns selbst an die Brust fassen und munter rütteln, wenn uns der ermattende Schlaf trüber Erbschaft überfallen will! – Was war, was ist, was soll der Adel sein? Die Gesellschaft der Besten, der Fähigsten, der Muthigsten aller Zeiten! Sucht er nicht darin seinen Ruhm, seine Ehre, so hat er sich überlebt und ist auf ewig verloren! – Wir Deutschen, die wir diesem glücklichen und bevorzugten Stande angehören, sollten nicht blind und taub sein bei den furchtbaren Ereignissen in Frankreich. Sie enthalten eine große Lehre für Jeden, der in albernem Dünkel und in brutaler Macht sich über die Masse der Menschheit erheben will. Ich mag nicht behaupten, daß ich ein Anhänger jenes Camille Desmoulin, jenes Danton und Robespierre sei, daß ich billige, was der Wahnsinn eines verzückten, wuthschäumenden Pöbels[70] ruft: Jeder sei dem Andern gleich und Alle hätten gleiche Rechte zu fordern. Aber ich glaube und sterbe auf die Wahrheit des hohen gottähnlichen Gedankens, daß es Zweck und Ziel dieses Erdenlebens und irdischer Fortentwickelung sei, im Laufe der Jahrhunderte das gesammte Menschengeschlecht zu vervollkommnen und jedem Individuum ein solch allgemeines Bildungsmaß zu Theil werden zu lassen, daß jeder Einzelne behaupten darf: er sei gleich dem Besten der Besten! Diese Zeit, wann sie kommt, wer weiß es! Daß sie kommen wird und muß, sagt mir meine eigene Vernunft! Daß sie bald komme, dahin wirke, wer Kraft und Macht dazu hat, und dies ist zur Zeit noch der Adel! Will er stolz sein und Ursache haben zu solchem Stolze, so schmücke er seine Wappen und die Zinnen seiner Burgen mit Lorbeerkränzen gewunden von den Händen derer, die er jetzt seine Unterthanen, seine Leibeigenen nennt! –«

Schon geraume Zeit hatte Herta mit froh glänzendem Auge dem Grafen zugehört. Als dieser jetzt schwieg, warf sie sich mit Leidenschaft an Erasmus Brust, küßte ihn auf den Mund und sagte: »Ich wußte es ja, daß mein guter, klarer Oheim mich nicht mißverstehen könne![71] Grade so, wenn auch mit andern Worten, spricht mein lieber Schiller, der noch vor einer Stunde ein schlechter, aufrührerischer Mensch sein sollte! Jetzt lies Du nur meine Bücher, lies, so lange Du willst, ich weiß doch, daß Du mir sie selbst wiederbringen und mich obendrein noch beloben wirst!«

»Der Entwurf Ihres idealen Lebens, mein Vater, hat viel Bestechendes,« erwiederte Magnus. »Offen gestanden aber ist es mir noch unklar, wie Sie die gepriesene Bildung in der rohen Masse des Volkes hervorrufen wollen? Sie verlangen doch schwerlich, daß wir selbst das Amt der Schulmeister verwalten oder als Vögte und Verwalter uns unter Knechte und Mägde mischen sollen? Ich wenigstens muß dieses Amalgamirungssystem ein für allemal verschmähen. Es ist mir persönlich nichts entsetzlicher, als eine schwielige Hand, die sich nur mit wenigen Tropfen Wasser begnügt.«

»Mir aus der Seele gesprochen!« sagte die Gräfin und begann wieder ihr Fächerspiel.

»Ich hätte meinen Sohn für fassungskräftiger gehalten,« entgegnete Erasmus. »Wie ich jedoch zu meinem Leidwesen sehe, gehört oder[72] zählt er sich mit Absicht den Hohlköpfen zu, die Würde und Ehre des Adels nur im Junkerthume und all den äußern Dingen suchen, zu deren Erlangung weiter nichts als leidliches Geld, etwas Frechheit und ein kaltes Herz gehört.«

»Verzeihen Sie, mein Vater! Haben Sie vielleicht die Absicht, den Notablen Frankreichs nachzuahmen und sich freiwillig zu Gunsten der brüllenden Menge, die sich Volk nennt, Ihrer Ehren, Würden, Titel und Besitzthümer zu entschlagen?«

»Damit wir Deutschen nicht ebenfalls eines schönen Morgens dazu genöthigt sind, fordere ich Gerechtigkeit, Milde und Erziehung für das Volk.«

»Ich möchte Ihnen gern gefällig sein und bitte deßhalb, mir die Wege zu zeigen, die wir einschlagen müssen, um das Volk, wie Sie sagen, zu uns emporzuheben.«

»Wem sie das eigene Herz, die ruhige Besonnenheit nicht nennt, dem wird kein Fingerzeig eines Andern etwas frommen. Es ist so leicht, wie den Gesetzen der Natur folgen! Erhebe Dich zu der freien und allein richtigen Ansicht, jeden Menschen als Deines Gleichen zu betrachten,[73] und Du wirst gegen Deinen geringsten Diener nicht hart, nicht launisch, nicht herrisch sein können. Die Stellung, die er durch einen bloßen Unfall Dir gegenüber einnimmt, berechtigt Dich nicht, sein Menschengefühl zu beleidigen, im Gegentheil, wir sind verpflichtet, weil er abhängig ist, ihn zu schonen und seine Schwächen mit Geduld zu tragen!«

»Sehr wohl, mein Vater! Sind Sie gesonnen, diese Grundsätze unter Ihren Leibeigenen mittelst Ausruf bekannt machen zu lassen?«

»Lieber Magnus!« bat die Gräfin. »Du vergißt Dich!«

»Nicht doch, meine Freundin, er bleibt sich nur selbst gleich. Da ich aber nicht gesonnen bin, einen Streit über Ideen und Zeitansichten fruchtlos länger auszudehnen, erkläre ich diese Unterredung für beendigt. Unser Sohn mag überlegen, was zu seinem Frieden dient, und sich am Tage nach Ostern früh um zehn Uhr in der Schloßhalle einfinden. Dort wird er sich seiner Anklägerin gegenüber rechtfertigen oder für schuldig erklärt werden. Keine Einwendung, meine Freundin! Die Frucht ist reif zur Ärndte, und ich will endlich einmal dieser tyrannischen Willkürherrschaft[74] ein Ziel setzen, und müßte ich mein eigenes Fleisch und Blut verurtheilen.«

In diesen Worten des alten Grafen lag eine so bestimmt ausgesprochene Entlassung, daß Magnus Anstand nahm, seinem Vater nochmals starren Trotz entgegen zu setzen. Dennoch durfte er um keinen Preis die rücksichtslose Confrontation mit der Wendin geschehen lassen, wenn er nicht vor Unterthanen und Dienerschaft gebrandmarkt dastehen und allen Einfluß auf sie verlieren wollte. In dieser peinlichen Verlegenheit richteten sich seine Gedanken auf Herta. Sie allein konnte, wenn sie zu überreden war, den Vater zu anderer Maßnahme bestimmen. Sie wußte um seine Gewaltthat, wie er aus der Einleitung des Gesprächs wohl erkannt hatte, und darum galt es, sie entweder auf seine Seite herüberzuziehen oder durch irgend welche Scheingründe zu einer andern Ansicht zu vermögen. Noch war er sich unklar über den Operationsplan, den er einschlagen wollte, aber er hoffte auf sein gutes Glück, auf prägnante Einfälle und auf sein Überredungstalent, wenn ein schönes Mädchen seinem Geiste Schwung, seiner Rede Kraft und Feuer verlieh. Er stand auf und griff nach seinem Hut.[75]


»Ich bitte meinen Ungestüm der Aufregung zu verzeihen, beste Ältern, in die mich das Unerhörte versetzt hatte. Gehorsam Ihren Winken ziehe ich mich zurück, um zur bestimmten Stunde im Auge meines Vaters Gnade oder Verdammung für sein einziges Kind zu lesen. Meine theure Mutter, vergeben Sie mir, wenn die gemachten Mittheilungen Ihre Nachtruhe stören sollten!«

Magnus führte Utta's Hand mit der ihm eigenen gewinnenden Liebenswürdigkeit an den Mund, verbeugte sich achtungsvoll vor seinem Vater und grüßte mit wohlwollender Vertraulichkeit Herta. Dann verließ er das Zimmer.

»Leuchte mir nach meinen Gemächern!« befahl er barsch dem Bedienten und folgte dem Vorausschreitenden durch mehrere schmale Corridore. Während dieses Ganges riß er ein goldberändertes Blatt aus seiner Schreibtafel, schrieb einige Worte darauf und faltete es in einen Knoten zusammen. Auf seinem Zimmer angekommen, fragte er den Bedienten: »Wann zieht sich Fräulein Herta auf ihr Zimmer zurück?«[76]

»Schlag neun Uhr, gnädigster Herr!«

»Siehst Du sie noch?«

»Ich kann es so einrichten.«

»Willst Du mir einen Dienst leisten, von dem das Wohl unseres Hauses abhängt?«

»Gnädigster Herr, Sie wissen, daß ich für das gräfliche Haus in den Tod gehe!«

»Dann gib dies Billet an Fräulein Herta. Ich werde in der Nähe sein und sobald das Fräulein es erbricht, zeige es mir durch das Öffnen der Thüre an. Ich werde dann in demselben Augenblick, wo Du das Zimmer des gnädigen Fräuleins verläßt, dasselbe betreten. Hast Du mich verstanden?«

»Sehr wohl, Herr Graf.«

»Dann gib Acht, daß uns Niemand störe!«

Der Bediente verbeugte sich ehrfurchtsvoll vor dem Erben des Hauses und ging nachdenkend, das unscheinbare Blättchen zwischen den Fingern drehend, zu seinen Genossen zurück.

Quelle:
Ernst Willkomm: Weisse Sclaven oder die Leiden des Volkes. Theile 1–5, Leipzig 1845, S. 57-77.
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