Viertes Kapitel.
Magnus und Herta.

[77] Etwa fünf Minuten vor neun Uhr verließ Magnus sein Zimmer ohne Licht und schlüpfte durch die engen matt erleuchteten Gänge des alten Schlosses nach dem Flügel, welchen seine Ältern bewohnten. In dem großen Vorzimmer, auf das eine ganze Reihe von Thüren mündete, befand sich ein hoher schwerfälliger Kaminschirm, der zugleich als Garderobe benutzt ward. Hinter diesen zog sich Magnus zurück, nachdem er mit schnellem Griff die gemeinsame Klingel mit einem seidenen Tuche umwunden hatte. Aus diesem Versteck konnte er bequem die ganze Länge und Breite des Gemaches, so wie sämmtliche Zimmerthüren übersehen. Als die Schloßuhr langsam die neunte Abendstunde verkündigt hatte, öffnete sich die Thür zum Wohnzimmer seines Vaters,[78] eine glockenhelle, weiche Mädchenstimme rief herzlich »gute Nacht« und Herta, ihr Arbeitskörbchen am weißen Arm, trat heraus, von dem vorleuchtenden Bedienten begleitet. Mit etwas gesenktem Köpfchen, so daß die reiche Lockenfülle ihre schönen Züge fast ganz in Schatten hüllte, schritt das schlanke Mädchen über den Vorraum, ließ sich von dem Bedienten die Thür öffnen und empfing noch, ehe sie diese wieder schloß, das Billet des jungen Grafen.

»Von wem?« hörte sie Magnus mit sanfter Stimme fragen.

»Ich sollte es abgeben,« erwiederte der kluge Bediente.

Herta dachte nicht im Entferntesten daran, daß Magnus mit ihr in Correspondenz treten könne und wolle. Sie hatte noch nie eine Zeile von dem verführerisch wilden Manne erhalten, selbst damals nicht, als er noch auf Boberstein wohnte. Später war er absichtlich kühl und verletzend gegen sie geworden, da er seine Werbungen um ihre Gunst mit einer Kühnheit betrieben hatte, die sie nöthigte, ihm die härtesten Vorwürfe zu machen und sich streng von ihm abzuschließen. Obwohl aber das junge Mädchen den sittenlosen, flatterhaften[79] und rachsüchtigen Jüngling fürchtete, fühlte sie doch etwas in ihrem Herzen, das für ihn sprach. Seine feine Galanterie, seine stolze Ritterlichkeit, wohl auch das völlig Rücksichtslose in allen Angelegenheiten, wo seine Leidenschaft in's Spiel kam, zog sie an und veranlaßte sie in früheren Tagen häufig, bei dem unzufriedenen Vater ihm Fürsprecherin zu werden. Allerdings war ihre Achtung vor Magnus jetzt völlig verschwunden. Die Gewaltthat, welche er gegen das schwache wendische Mädchen ausgeübt, hatte sie empört, und die Art und Weise, wie er noch so eben seine Gesinnung gegen den braven alten Vater ausgesprochen hatte, der sich die größte Mühe gab, die Stimme einer neuen Zeit zu verstehen und ihrem Rufe sich anzuschließen, erfüllte ihre jungfräulich reine Seele wirklich mit Abscheu und kaltem Entsetzen. Es lag so gar nichts Kindliches in dem Betragen des Sohnes gegen den Vater. Seine höflich gefaßten Antworten klirrten von scharf geschliffenem Spott, von beißendem Hohn. Er durfte nur diese glatte Form noch abstreifen, und das widerlichste Scheusal, wie es je Undank und Verachtung alles Göttlichen im Menschen auszubrüten vermochten,[80] stand in grauenvoller Nacktheit vor Aller Augen.

Das Billet ihres Vetters in der Hand ging Herta nach der Epheulaube am Fenster, um das Körbchen auf den Arbeitstisch zu stellen. Erst als sie dies gethan und durch freundliches Nicken ihr Eichhörnchen begrüßt hatte, dessen kluge muntere Augen am gläsernen Schieber glänzten, knotete sie das Papierstreifchen auf. Der Bediente verbeugte sich und vertauschte unter der Thür seine Stelle mit dem jungen Grafen.

Magnus verhielt sich ruhig, bis Herta seine Zeilen überflogen hatte und entrüstet ausrief: »Johann, wie kannst Du Dich unterstehen –« Zugleich wendete sie sich rasch um und erblickte ihren Vetter im Halbdunkel des grauen langen Zimmers. Das Wort erstarb ihr auf der Zunge, aber sie erröthete so heftig vor Zorn, daß flammende Purpurgluth Gesicht, Stirn und Nacken übergoß.

»Verzeihung, schöne Cousine!« sagte Magnus, mit leichtem Tritt und ohne die geringste Schüchternheit näher kommend. »Ich erscheine heut mit weißer Friedensfahne und trage Dir unter annehmbaren Bedingungen Waffenstillstand an.[81] Hoffentlich wirst Du Dein Geschlecht nicht so ganz verläugnen, daß Du einen unglücklich Bittenden ungehört von Dir weisest.«

»Es ist entwürdigend, mich so zu überfallen!« stotterte mit vor Zorn grollender Stimme das empörte Mädchen.

»Im Gegentheil, es zeigt von einer Anhänglichkeit an Dich, die keine Gefahr scheut, ja die es sogar wagt, den Zorn der Schönsten unter den Schönen auf sich zu laden! Aber wie Du auch jetzt von mir denkst, Du wirst milder über mich urtheilen, wenn Du meine Beweggründe gehört hast.«

»Ich will nichts hören, ich befehle Dir, Dich auf der Stelle zu entfernen!« versetzte zitternd Herta und stampfte dabei trotzig mit dem kleinen Fuße auf den Boden.

»Wenn Du so reizend zürnst, werde ich mich für immer bei Dir einquartieren, schöne Cousine. Ein geistreiches Mädchen ist nie entzückender, als im göttlichen Wahnsinne des Zornes. Sieh, ich mache es mir bequem, um Dich ruhig bewundern zu können. Tobe Dich jetzt aus, Herzensblume, wirf mir alle Sonnenfunken Deines Ingrimms in's Gesicht, ich will sie mit gierigen Händen[82] auffangen und mit solcher Andacht an meine Lippen führen, als seien es Blättchen aus der Rosenknospe Deines Herzens.«

Und Magnus streckte sich gemächlich auf das alterthümliche Sopha und verschlang seine Arme über der Brust.

Herta antwortete nicht. Dem kecken Eindringling gegenüber lehnte sie an ihrem Schreibtische und maß ihn mit stolzen, kalten Blicken.

»Du wirst ruhig, das gefällt mir,« nahm Magnus nach einer Pause wieder das Wort. »Ein ruhiger Zuhörer läßt dem Sprecher stets am leichtesten Gerechtigkeit widerfahren. – Ich sagte vorhin, daß ich als Friedensbote zu Dir käme, jetzt gehe ich noch weiter und schlage Dir vor: laß uns Bundesgenossen sein!«

Da Herta auch darauf keine Antwort gab, fuhr Magnus fort: »Mein gestrenger Herr Vater, der, ich weiß nicht wie und weshalb? auf einmal zur Partei der Revolutionäre überzutreten Miene macht, hat mir als Nachfeier des Festes eine Scene angekündigt, die unterhaltend und originell zu werden verspricht. Der letzte Sprosse eines edlen Grafengeschlechts einer Rotte schmutziger Leibeigener gegenüber als Angeklagter vor dem[83] Richterstuhle des empörten eigenen Vaters – wahrhaftig, das ist so wild romantisch, daß die blutdürstige Canaille aus den Straßen von Paris es nicht vortrefflicher erfinden könnte! In seinem absoluten Gerechtigkeitsfieber sieht der alte Mann nicht ein, daß dadurch, wie sich die Sachen auch gestalten mögen, ein unauslöschbarer Flecken auf sein Haus, auf sein Wappen fällt, den Jahrhunderte neuen Glanzes nicht wieder auslöschen können. Der simpelste Menschenverstand begreift, daß dies nicht geschehen darf –«

»Warum nicht?« unterbrach Herta den jungen Grafen. »Soll der hochgeborne Graf und Fürst, wenn er ein Schuft gewesen ist, nicht dieselbe Gleichheit vor dem Gesetze haben, in die er sich vorher durch seine Handlungsweise mit dem Pöbel gebracht hat?«

»Diese Sprache der Neuzeit, meine schöne Cousine, verstehe ich nicht. Ich sage, es befleckt unser Haus für immerwährende Zeiten, wenn die angekündigte Gerichtssitzung in der Schloßhalle stattfindet. Darum muß sie hintertrieben werden.«

»Von wem?«[84]

»Von Dir und mir. Wir beiden im Bunde halten die ganze Meute ab.«

»Auf mich rechne nicht! Ich kann und will nichts thun, als die gekränkte Unschuld beschützen.«

»Das ist so löblich von Dir, daß ich Dich gleich dafür küssen möchte, müßte ich nicht befürchten, Du würdest Deine weißen runden Perlenzähnchen in meine Lippen schlagen, und das wäre in sofern ein Unglück, als dies nach dem Feste gegen mich zeugen würde. Darum laß uns vernünftig mit einander sprechen und uns verständigen. – Ich habe es längst gemerkt, daß sich die kleine erboste Wendin direct an Dich gewendet und Dir ein Histörchen erzählt hat, welches, die Ausschmückungen weggelassen, der Wahrheit nahe kommen mag. Du siehst, angebetete Herta, daß ich ganz ehrlich bin und mich Dir gegenüber gar nicht besser machen will, als ich in der That bin. Ja ich gestehe Dir sogar freiwillig, daß ich bei der niedlichen Wendin ein klein wenig zu weit gegangen sein mag! Ich habe sie entführt, weil sie ein so böses Gesicht machte und mir grade deswegen gefiel. Und das Satansmädchen hat mich dafür schön gezeichnet! Nun höre mich ganz ruhig an und urtheile, ob ich Unrecht[85] habe? – Daß ich kein Joseph geworden bin, das mag mein Herr Vater mit der Frau Mama ausmachen. Mein Temperament gefällt sich nun einmal nicht im Entbehren, sondern im Genießen, und solche allerliebste duftende Mädchenblumen, die in stiller Haide lockend aufschießen, sind doch wahrlich nicht dazu da, daß sie von plumpen Bauern geknickt werden! Auch magst Du bedenken, daß, wenn ich in meinen Wünschen und Begierden wirklich zu tadeln sein sollte, nur Du ganz allein daran Schuld bist! Immer nur schwebt Deine zarte, schlanke, warm geschmeidige Elfengestalt vor meinen Blicken, so reizend und begehrerisch, daß ich in jedem schönen Mädchen das Schattenbild von Dir zu erblicken glaube und in Leidenschaft für sie entbrenne! Hättest Du mich erhört, süßer Engel, so säh' ich außer Dir kein Mädchen, ich wüßte gar nicht, daß es noch Weiber gäbe, die auch schön, auch liebeverheißend sind. Seit Du mich aber verschmäht, mir sogar verboten hast, mit Dir zu sprechen, seitdem tobt und lodert eine verzehrende Flamme in meiner Brust, die Nahrung sucht und Alles, was ihr nahe kommt oder was sie erreichen kann, in Fieberwuth zu verbrennen begehrt. Habe ich also der kleinen[86] Wendin ein Leid in sofern zugefügt, als ich sie mit Gewalt und unter heimlichen Nebengedanken entführte, so bist eigentlich Du der Anstifter dieses Unglücks und auf Dich müssen alle Folgen, die sich daraus ergeben, zurückfallen. Werde ich nun gezwungen, vor Gericht Rede zu stehen, so sei versichert, daß ich Dich nicht schone! Die Nothwehr zwingt mich, jedes Auskunftsmittel zu ergreifen.«

»Magnus,« unterbrach Herta den Sprechenden mit einem Ausdruck in Stimme und Miene, der ihre moralische Entrüstung hinlänglich verriethen, »bisher habe ich Dich bedauert, wohl auch zuweilen gehaßt, von jetzt an aber muß ich Dich gründlich verachten! Du bist ein gemeiner, verrotteter Bösewicht!«

»Das scheint Dir blos so, schöne Cousine, höre noch meine Gründe und Du wirst Dein Urtheil ändern und mich freisprechen. – Es leuchtet Dir ein, daß so nahe Verwandte, wie wir es sind, einander mit solchen Anklagen nicht entgegentreten dürfen. Dadurch würde unrettbar ein Skandal entstehen, den wirklich alles Wasser der Welt nicht mehr von unserm Namen abwaschen könnte! Nun überlege aber, was auf dem Spiele steht![87] Hier unser aller Ehre und Ehrenhaftigkeit, dort ein unbekanntes, verachtetes Mädchen, ein Geschöpf überdies, das ich als Leibeigene behandeln kann, wie ich will. Ich habe das Recht dazu, und wir wollen uns über Recht oder Unrecht dieses Rechtes jetzt nicht streiten. Halten wir fest, was da ist und gilt. Was, frag' ich, ist besser, ist leichter zu verantworten, wozu räth gesunder Menschenverstand und Klugheit, zu Brandmarkung unseres alten Namens, zu Vernichtung unserer Ehre oder zu Verurtheilung einer leibeigenen Wendin durch das ganz einfache Mittel, daß man sie Lügen straft? Mich dünkt, die Wahl kann hier nicht schwer sein. –«

»Einem gewissenlosen Menschen gewiß nicht.«

»Ich danke für das Prädicat. – Um jedoch weiter zu kommen, fahre ich fort. Nach dem Vorausgeschickten verlange ich von Dir, daß Du morgen früh bei Zeiten meinem Vater erfolgreiche Vorstellungen machst und ihm aufzählst, was Alles bei dem beabsichtigten Verfahren unserm Hause droht! Ferner wirst Du mir versprechen, Dich bei der Gerichtsscene gar nicht zu zeigen, um nicht durch Deine allbekannte Herzensgüte meine Pläne zu kreuzen, und endlich verbitte ich mir jede[88] Fürsprache, wenn ich es in unserm Interesse für nöthig erachte, eine gelinde Strafe über das Mädchen zu verhängen, die mißhandelnd ihre Hand gegen mich aufhob!«

»Ich hätte schon dabei sein mögen, wie die an ihrer Ehre gekränkte Wendin Dich so empfindlich züchtigte!«

»Was hat meine schöne Cousine auf die gemachten Vorschläge zu antworten?«

»Sie fragt zurück: was gedenkt der Herr Graf zu thun, wenn die Cousine gar nicht auf ihn achtet?«

Bis dahin hatte Magnus, nachlässig im Sopha lehnend, das Gespräch mit Herta geführt, jetzt schnellte er empor, als bewegten ihn unsichtbare Kräfte, und stellte sich vor das junge Mädchen. »In diesem nicht denkbaren Falle, meine Schöne,« versetzte er flüsternd, »wird der entehrte Graf Magnus von Boberstein in der gemüthlichsten Weise Genugthuung von seiner liebenswürdigen Gegnerin fordern.«

»Und diese Gegnerin wird nicht anstehen, diese dem Grafen zu geben, wenn sie es für nothwendig hält.«[89]

»Wirklich? Sieh da, meine schöne Cousine hat wirklich Heldenblut in ihren Adern.«

Herta wendete sich ab von dem Grafen und setzte sich unter das grüne Laubdach am Fenster. »Da ich nunmehr weiß,« sprach sie, »was Dich zu diesem unschicklichen Besuche veranlaßt hat, und auch Du von mir erfahren hast, was und wie ich von Dir denke, so wünscht' ich, daß eine Unterhaltung beendigt werden möge, die beiden Theilen gleich unangenehm ist.«

»Glaubst Du, ich werde mit solcher Antwort unverrichteter Dinge fortgehen? Dann wäre ich werth, daß man mich als wahnsinnig einsperrte.«

»Du willst mich also noch länger beunruhigen? Nun dann werde ich Hilfe bei denen suchen müssen, die mir sie angelobt haben.«

Sie stand auf, um zu schellen.

Magnus vertrat ihr den Weg.

»Daran hab' ich gedacht,« sagte er sarkastisch lächelnd, »und weil ich einem so schönen und zarten Geschöpf nicht gewaltsam entgegentreten wollte, schnitt ich vor meinem Besuch der Glocke die Zunge aus.«

»Abscheulicher!« murmelte Herta, wie vorhin[90] sich wieder mit dem Rücken gegen ihren Schreibtisch lehnend.

»Ich sorgte blos dafür, daß kein nutzloser Lärm noch Skandal entstehn möchte! – Also ganz in der Kürze, zürnender Engel, willst Du mir beistehen und eine Thorheit durch feines Schweigen zur rechten Stunde vergessen machen? Blos ja oder nein!«

»Nein!«

»Das ist wirklich eine bündige Antwort. Auch in der Schloßhalle wirst Du nicht fehlen?«

»Auch da nicht.«

»Und wenn mich die Wendin und ihre vermuthlichen Beistände anklagen?«

»Dann werde ich gegen Dich zeugen.«

Magnus senkte den Kopf ein wenig und schloß die Augen einige Sekunden, als wolle er um jeden Preis einen Ausweg ersinnen. Er fühlte, daß der Boden unter ihm zusammenbrach, daß sein Ansehen für immer dahin war, wenn sein Vater in momentaner Mißstimmung gegen ihn entschied und Röschen frei sprach. Nach einiger Zeit richtete er seine durchbohrenden Blicke wieder auf Herta.

»Nun,« sprach er, »ein Mann schickt sich in[91] das Unvermeidliche, so gut es geht. Der Tag nach dem Feste soll mich als Mann kennen lernen! Wie aber stehen wir von jetzt an mit einander, süßer Trotzkopf?«

»Einem wohlerzogenen Cavalier wird dies der Anstand sagen.«

»An Frieden ist also nicht zu denken?«

»Ich heuchele nie!«

»Und wenn ich statt der weißen die blutrothe Flagge aufziehe?«

»Auch dann werde ich weder meine Meinung noch mein Verfahren ändern.«

»Das wird freilich Blut kosten,« erklärte Magnus achselzuckend.

»Willst Du mich ermorden?« fragte Herta lächelnd.

»Nicht doch, nur an die versprochene Genugthuung erinnern!«

»Ja so!«

»Darf ich die schöne Cousine vielleicht gleich heut nach der Waffengattung fragen, die sie für diesen Fall bestimmt?«

»Wenn der Graf Magnus sich mit einem Mädchen durchaus schlagen will,« versetzte Herta[92] mit komischer Ernsthaftigkeit, »so muß ich ja wohl zur Pistole greifen.«

»Also Pistolen. Sehr wohl. Und der Ort des Rencontre?«

»Jeder beliebige, welchen Graf Magnus für sicher hält.«

»Großmüthig entschieden, ich muß gestehen!«

Die letzte Hälfte dieses Gespräches hatte Magnus mit gesenktem Blicke geführt. Es schien, als grabe er während des Sprechens mit allem Scharfsinne nach Mitteln, die ihn retten könnten, oder als wühle er in den Schachten seines erfinderischen Geistes nach irgend einem abenteuerlichen Plane. Jetzt sah er seine Cousine wieder mit einem jener dämonischen Blicke an, in denen die ganze Gluth der Hölle, überschwebt von einem einzigen bleichen Funken himmlischen Lichtes strahlte, und schien ihr Bild tief in seine Seele einsaugen zu wollen.

»Nun so wünsche ich Ihnen eine gute Nacht und süße Träume,« sagte er, sich tief vor ihr neigend. »Auf Wiedersehen in der Schloßhalle!«

Magnus durchschritt langsam das Zimmer, ohne daß Herta seinen Abschiedsgruß erwiederte[93] oder ihn zurückrief. Dicht an der Schwelle blieb er stehen und kehrte sich nochmals um.

»Schöne Cousine, soll es denn wirklich geschehen?« sagte er mit beklommenem Herzen. »Muß es durch den Starrsinn eines Mädchens dahin kommen, daß die Buben auf den Straßen mit Fingern auf uns zeigen werden? Und dieses selbe Herz, dieser selbe Mund, der jetzt kein Wort der Gnade für mich hat, ließ mich ehedem glauben, sie hörten nicht ungern auf meine Gespräche! – O ich will nicht sprechen von Liebe – das wäre eine Entweihung – ich will nur Minuten, nur lichte gaukelnde Secunden aus der Vergangenheit zurückrufen, in denen wir nicht ahnten, daß wir uns dereinst so gegenüberstehen würden! Und nun, welche Kluft hat sich aufgerissen, welche entsetzliche Verwandlung ist vorgegangen!«

»Wer hat sich dessen anzuklagen?« fragte gleichgiltig Herta.

Magnus that hastig einige Schritte rückwärts. »O Gott sei Dank, doch ein Wort, ein Laut, der mich lehrte, daß jene Bilder noch nicht gänzlich in der Seele verwischt sind! – Herta, angebetetes Mädchen, Engel, wegen dessen Verlust[94] ich gefrevelt habe, für den ich litt, wie Wenige gelitten, vergib mir, reiche mir Deine Hand, nimm mich auf an Deinen reinen Busen und ich will Dich ehren, wie eine Heilige!«

Und er warf sich vor ihr nieder.

»Man sieht, daß Graf Magnus die französischen Schauspieler in Berlin nicht ohne Nutzen gesehen hat.«

Dem Grafen stieg das Blut in den Kopf, seine Stimme zitterte, wie sein ganzer Körper.

»Herta,« keuchte er, »keinen Hohn, ich bitte um Deines ewigen Heiles willen! Es ist keine Lüge, es ist Wahrheit, quälende, mich aufreibende Wahrheit, ich liebe Dich, liebe Dich bis zur Raserei!«

»Wenn Sie jetzt wirklich, vielleicht zum ersten Male in Ihrem Leben die Wahrheit reden sollten, Herr Graf,« erwiederte Herta mit vornehmer Ruhe, kalt, aber nicht verletzend, »so muß ich Ihnen, wie ich dies immer gethan zu haben mich entsinne, ebenfalls die volle lautere einfache Wahrheit sagen. Ich liebe Sie nicht, aber ich interessirte mich für Sie, weil ich das Eigenthümliche in Ihrem Charakter, Ihre großen Vorzüge und Anlagen unter einem wüsten[95] Trümmerfeld gemeiner Schwächen achtete. Mit solchem Auge sah ich Sie kommen und gehen, bis Sie mich jetzt so unritterlich überfielen. Ich habe es Ihnen bereits gesagt, und nur Sie haben es dahin gebracht – jetzt folgt Ihnen meine Verachtung! – Wir können uns nichts mehr sein und würde auch diese feindselige Trennung, die ich jetzt so ruhig ausspreche, mein Unglück auf Erden!«

Magnus war inzwischen wieder aufgestanden. »Ein so hartes Urtheil aus so schönem Munde ist sehr niederschlagend,« sagte er tonlos. »Ich sehe, daß ich zu viel gewagt, zu viel verloren habe, um noch etwas zu gewinnen. So füge ich mich denn in mein Schicksal. – Aber nach dem Feste –«

»Werde ich Wort halten,« sagte Herta kühl und entschlossen.

»Dann bleibt es also bei dem Rencontre?«

Herta gab ihre Zustimmung durch Kopfnicken zu erkennen und Magnus schlich unbemerkt in sein Zimmer zurück.

Quelle:
Ernst Willkomm: Weisse Sclaven oder die Leiden des Volkes. Theile 1–5, Leipzig 1845, S. 77-96.
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