Neuntes Kapitel.
Die Hochzeit.

[191] Durch die alterthümlichen Hallen des Schlosses Boberstein schwebte der unheimliche Schatten eines nahe drohenden Unglücks. Herta war in tiefe, herzzerreißende Melancholie versunken, die auf allen Schloßbewohnern drückend lastete, namentlich aber die Tage des alten kränklichen Grafen vollends ganz verdüsterte. Zwar sprach die Leidende wieder seit einiger Zeit mit ihren Umgebungen. Keine Schwäche ihrer geistigen Kräfte war zu bemerken, auch eine fixe Idee schien sie nicht zu beunruhigen, aber sie war dennoch ein ganz anderes Wesen geworden, dem man es ansah und anhörte, daß ein unaussprechliches Weh, ein entsetzlicher Schmerz an ihrem Herzen nagte. Deutete man darauf hin, so verstummte[192] sie und konnte tagelang schweigen, bis man sich denn gegenseitig gelobte, die Unglückliche mit ihrem Schmerz sich selbst zu überlassen.

Überraschen und angenehm berühren konnte Herta nichts mehr. Sie hörte daher mit vollkommener Gleichgiltigkeit die Botschaft, daß ihr liebes Haideröschen in wenigen Wochen schon verheirathet werden solle. Die Wendin war über diese Eile offenbar mehr erschrocken und zeigte sich gar nicht als glückliche Braut. Immer standen ihr die Thränen in den Augen, die ihr Herta nicht selten mitleidig abtrocknete. Weil sie aber von Jugend auf an blinden Gehorsam gewöhnt und außerdem überzeugt war, daß ihr Vater nur aus besondern Gründen und zu ihrem eigenen Besten die Hochzeit so beeile, fügte sie sich willig allen Anordnungen.

In der kurzen Zeit ihres eigentlichen Brautstandes ereignete sich nichts, was eine besondere Erwähnung nöthig machte. Graf Erasmus gab das Mädchen auf erfolgte Anfrage los und Magnus nahm sie bereitwillig als Unterthanin an. Die herkömmlichen Schriften darüber wurden in üblicher Form ausgefertigt und Haideröschens Vater übergeben, der jetzt fast täglich auf dem[193] Schlosse erschien. Clemens hatte mit Einrichtung des neuen Hauswesens zu viel zu thun, um den weiten Weg nach Boberstein häufig einschlagen zu können. Er begnügte sich daher mit Grüßen an seine Braut, die Haideröschen von ganzem Herzen, aber doch immer niedergeschlagen, erwiederte. Das gute Kind härmte sich um Herta, noch mehr darüber, daß es ihr nicht gelingen wollte, die Gemüthskranke aufzuheitern und ihr Vertrauen zu gewinnen. So blieb ihr nichts übrig, als sie mit aufopferndster Sorgfalt und zärtlichster Liebe zu pflegen, was sie denn auch so rührend that, daß sie dem bleichen, jetzt immer so düstern und wie in furchtbarem Schmerz versteinerten Gesicht ihrer Gebieterin zuweilen ein flüchtiges Lächeln entlockte.

Unter diesem sich immer gleich bleibenden öden Hinvegetiren vergingen die festgesetzten vier Wochen, nach deren Verlauf Haideröschen ihrem Geliebten angetraut werden sollte. Nur die uralten Förmlichkeiten und Gebräuche, die jeder wendischen Hochzeit vorangehen und die zu vernachlässigen man nicht allein für einen Verstoß gegen alle Sitte, sondern auch für eine frevle Herausforderung der finstern Mächte und des[194] heimlich schaffenden Unglückes gehalten haben würde, brachten einige Abwechselung und auf kurze Stunden ein originelles Leben und Treiben in das so stille, traurige Grafenschloß. So erfolgte unter Andern die eigenthümliche Werbung des Bräutigams um die Braut durch den Brautwerber oder Brazka mit allen Ceremonien, die dabei vorgeschrieben sind. Eben so reich an wunderlichen Gebräuchen, an seltsamen Sprüchen und Reimreden war die feierliche Verlobung Haideröschens mit Clemens, und diese noch nie in der Nähe beobachteten volksthümlichen Gebräuche interessirten auch Herta so sehr, daß sie während derselben ihr schweres Seelenleid vergaß und mit dem alt gewohnten Glanz in ihren schönen Augen, das liebliche Gesicht überstrahlt von freudigen Flammen, das Ungewohnte an sich vorübergehen ließ.

Graf Erasmus, der es sich angelegen sein ließ, die schöne Dienerin seiner Nichte bei dieser Gelegenheit recht auszuzeichnen, wäre beinahe mit Sloboda in unangenehmen Streit gerathen. Der Graf wollte nämlich, daß Haideröschen Dienst und Schloß erst am Tage ihrer Hochzeit verlassen solle, was die Nothwendigkeit einer[195] Abholung der Braut vom Schlosse unabweisbar bedingte. Sloboda, sonst in allen Dingen die Fügsamkeit selbst und nie einem Befehle zu widersprechen gewohnt, widersetzte sich dieser Anordnung hartnäckig und meinte, es sei durchaus unmöglich, daß der gnädige Herr Graf so etwas Widersinniges verlangen könne. Eine Braut müsse schlechterdings aus ihres Vaters eigenem Hause abgeholt werden, und dies sei seine schlechte niedrige Hütte. Unterbliebe diese Abholung, so könne aus der ganzen Hochzeit nichts werden, denn alle dabei üblichen und nothwendigen Gebräuche müßten unterbleiben.

Je heftiger der trotzige Sloboda auf seiner Meinung beharrte, desto hartnäckiger ward auch der Graf. Ihn verdroß blos der Widerspruch des Untergebenen und daß man ihm eine Freude damit verdarb, die er sich ausgedacht hatte. Hier nun schritt Herta wieder, wie immer bei streitigen Fragen, als Vermittlerin und Friedensstifterin ein. Sie brachte es dahin, daß Haideröschen am Hochzeitstage von Clemens und dessen Begleitung auf dem Schlosse abgeholt, die Hochzeit selbst aber und Alles, was Ceremonielles[196] dabei zu beobachten sein möchte, im Hause ihres Vaters gehalten werden solle.

Dieser Entscheidung fügte sich Sloboda erst nach vielem Zureden. Kopfschüttelnd behauptete er jedoch, es sei nicht gut, daß er nachgebe, denn es könne daraus leicht Unglück für sein ohnehin schon so tief gedemüthigtes Haus entstehen. Das Warum wußte er freilich nicht anzugeben.

»Nun ja,« sagte er nach mehrmaligem Bearbeiten von Seiten Herta's, »es ließe sich zuletzt Alles recht gut hier einrichten. Der gnädige Herr Graf will uns die Schloßhalle einräumen zur Brautschau, wofür ich meinerseits vielmals danke, aber wo haben wir eine alte Frau, die bei der ersten Frage nach der Braut meine Tochter vorstellen kann? Die Frau Gräfin –«

»Um Gotteswillen, Sloboda!« unterbrach Herta den Rücksichtslosen. »Meine Tante wird sich während der ganzen Ceremonie fest in ihre Zimmer verschließen.«

»Wir müssen aber doch eine alte Frau haben, gnädiges Fräulein,« behauptete Sloboda sehr bestimmt und so ernsthaft, daß die immer traurige Herta darüber lächeln mußte.

»Könnte nicht einer der Bedienten –«[197]

»Die Frau vorstellen, meinen Sie?«

»Ja, so denk' ich. Für eine täuschende Verkleidung will ich sorgen.«

»Das geht nicht, liebes gnädiges Herzensfräulein; denn es ist, sehen Sie, noch niemals bei uns vorgekommen.«

»Es muß also durchaus ein Frau sein?«

»Ja, lieber Engel, und zwar eine Frau in den Jahren.«

»Seid Ihr zufrieden, wenn ich meine Amme dazu herkommen lasse? Sie wird es gern thun!«

Sloboda überlegte den Vorschlag und nahm ihn endlich zaudernd an. Dagegen lehnte er die Ausrichtung des Hochzeitmahles auf dem Schlosse, die Graf Erasmus nochmals in Vorschlag brachte, entschieden ab, weil es, wie er sich ausdrückte, gegen Grundsatz und Sitte seines Volkes verstoße, bei der Hochzeit das Brod Fremder in fremdem Hause zu essen. Die Zukunft lehrte ihn nur zu bald, daß ein prophetischer Geist in dem Grafen thätig gewesen und daß alles nachfolgende Unglück aus seiner Weigerung herzuleiten sei.

Als der festgesetzte Tag herankam, bestand die unglückliche Herta darauf, die geliebte Braut[198] mit eigener Hand schmücken zu dürfen. Sie ringelte ihr mit zartem Finger die glänzenden Löckchen auf der Stirn, setzte ihr die hohe Borta von schwarzem Sammet auf mit dem goldbrokatenen Deckel und der daran befestigten grünen Rautenkrone; sie legte ihr das Halsband mit bunten Perlen um, das mit silbernen Sternen geschmückte Haarband über den untern Absatz der Borta und knüpfte die verschiedenen vorgeschriebenen grünen Bänder in zierliche Schleifen. Ganz besondere Aufmerksamkeit empfahl das ängstliche Haideröschen ihrer sie putzenden Gebieterin bei der Befestigung der Flizur. So nennen nämlich die Wenden ein Stück feiner weißer Leinwand, welches in einer Breite von vier Zoll, in Falten gelegt und mit grüner Seide eingefaßt, über Brust, Schulter und Rücken läuft, und nebst den zwei bis drei Schnuren goldener oder silberner Schaumünzen um Brust und Hals ein nur Bräuten gestatteter Schmuck ist. Außerdem reichte Herta der kleinen Wendin ein feines weißes Tuch, das sie selbst in glücklicheren Tagen gestickt hatte.

Müßten wir nicht befürchten, unsere Leser durch ausführliche Beschreibung der übrigen zahllosen[199] und zum Theil höchst seltsamen Gebräuche bei einer wendischen Bauernhochzeit zu ermüden so würden wir noch manches Eigenthümliche hier anzuführen haben. So beschränken wir uns darauf, zu erwähnen, daß sich aus Haideröschens Geburtsorte zwei Brautjungfern einfanden, die fast eben so wie die Braut selbst gekleidet waren. Mit diesen kam natürlich auch die ganze Verwandtschaft der Sloboda, was denn ein lautes und lebendiges Treiben in den untern Räumen des alten Schlosses verursachte.

Es war ein schöner, klarer und warmer Frühlingstag. Die Wipfel der schlanken Tannen wiegten sich mit leisem Rauschen in der blauen Luft und schmetternde Lerchen hingen, dem Auge kaum sichtbar, in dem unermeßlichen Dome. Die meisten Menschen wünschen sich an ihrem Hochzeitstage einen solchen glückverheißenden Frieden der Natur, und auch Haideröschen sah mit ihren wunderbaren Kinderaugen dankend gen Himmel, als sie in der ersten Nachmittagsstunde die schrille Musik der Haidebauern aus dem Walde erklingen hörte, die den Bräutigam begleiteten. Verstohlen sah sie hinab auf den spiegelklaren See, über den eine ganze Flotille kleiner Nachen[200] segelte, alle mit geputzten Männern besetzt, welche jubelnd ihre bebänderten Hüte schwenkten und unaufhörlich mit der Musik um die Wette jubelten. Sogar einzelne Schüsse wurden abgefeuert und weckten das schlummernde Echo der stillen Haide.

Am Fuße des Schloßfelsens angekommen, ordneten sich die Begleiter des Bräutigams paarweise, das Musikchor, aus mehrern Clarinetten, einem Fagott und andern nationalwendischen Instrumenten bestehend, stellte sich an die Spitze und der Brautführer mit bandverziertem Stock, Hut und Kleid schritt gravitätisch voraus. Unter fortwährendem Musiciren erstieg diese Schaar junger Männer den Schloßberg und zog bis vor die große Eingangspforte.

Hier wurde sie durch herbeispringende Knechte, die ein langes rosenrothes Band schnell vor die Pforte zogen, aufgehalten und ihnen erst nach Erlegung eines geringfügigen Trinkgeldes der Eintritt gestattet, indem der Brazka mehrmals die Versicherung gab, daß sie nicht als ungebetene Gäste erschienen, sondern mit Erlaubniß des Schloßherrn und auf dessen besondere Einladung kämen.[201]

Ein neues, noch bedenklicheres Hinderniß stieß dem Bräutigamszuge im Innern des Schloßhofes auf. Es waren nämlich alle Fenster fest verschlossen, einige sogar mit Läden verbaut. Auch die Haupteingangsthür, die doch sonst immer offen stand, zeigte sich heut fest verriegelt. Bescheidentlich nahte sich nun, während die Musik schwieg, der Brautwerber der Schloßthür und klopfte leise mit seinem Stabe an. Allein Niemand gab Antwort. Das Schloß schien unbewohnt oder gar ausgestorben zu sein. Erst auf heftigeres Klopfen ließ sich drinnen eine mürrische Stimme vernehmen, die Jan Sloboda angehörte. Er fragte: was man begehre? Der Brautwerber antwortete: man suche Herberge. Übrigens könne er auf Ehre und Seligkeit versichern, daß er und seine Begleiter vollkommen ehrliche Leute wären und mit den freundschaftlichsten Gesinnungen kämen. Obwohl Sloboda und die hinter ihm jetzt sichtbar werdenden Gäste dies in Zweifel zu ziehen schienen, ließ er sich doch bewegen, zaudernd die Thür zu öffnen. Allein weder der Bräutigam noch sein Gefolge trat ein, nur der Brazka erschien auf der Flur und wendete sich nach alter Sitte mit nochmaliger formeller[202] Werbung um die Braut an den Wenden. Eine Zeit lang stellte sich Sloboda, als wisse er um keine Braut, bis endlich die Gäste sich bereit erklärten, den Wunsch des Bittenden zu erfüllen. Sie entfernten sich und der Brazka ward von Sloboda in die Schloßhalle geführt, auf deren Gallerie Graf Erasmus mit Herta der wendischen Brautwerbung neugierig zusah. Gräfin Utta fand ein solches Schauspiel zu gemein, um ihre Augen darauf zu richten.

Bald kamen die Gäste der Braut wieder zurück, in ihrer Mitte eine ältliche Frau führend, die Herta's Amme war und welche der Brautwerber nach genauer Betrachtung als eine falsche wieder zurückschickte. Auch ein junges hübsches Mädchen, das ihm nunmehr vorgeführt ward, wollte er nicht als die ihm verheißene Braut, die er als noch weit schöner und lieblicher beschrieb, gelten lassen. Erst nach drittmaligem Suchen ward Haideröschen im vollsten Brautstaat vorgeführt, von dem Brautwerber mit jubelndem Gruß, von der Musik mit einem Tusch empfangen. Jetzt trat auch der Bräutigam mit seinen Geleitsmännern in die Halle, um sich die verschämte Braut zuführen zu lassen. Der Brazka hielt wieder[203] lange gereimte Dankreden an Sloboda, an Haideröschen, an die Gäste, und erst nachdem all diesen lang dauernden Gebräuchen volles Recht geschehen war, gab er, der jedesmalige Ordner solcher Feste, das Zeichen zum Aufbruch. Die Musik spielte wieder auf, vom Brazka angeführt. Ihr schloß sich Haideröschen, geleitet von zwei Ehrendienern, an, denen die Slonka oder Salzmeste, so geheißen, weil sie bei Tafel das Salz aufzusetzen hat und überhaupt, als erste Pathe der Braut, Tafelordnerin ist, nebst den Brautjungfern folgte. Erst nach diesen durfte Clemens in den Brautzug treten, begleitet von einer zweiten Slonka und zwei Züchtjungfern. Nach diesem sehr hoch gehaltenen und für unerläßlich geachteten Ehrenpersonal schloß sich erst der Zug der beiderseitigen Gäste an und bewegte sich unter fortwährender Musick den Schloßberg hinab an den See.

Als auch dieser hinter dem Brautzuge lag, bestieg die ganze ziemlich zahlreiche Gesellschaft im Schatten des Waldes harrende Wagen, deren Kutscher und Pferde mit buntseidenen Tüchern und großen Blumensträußern bestens aufgeputzt waren. In vorgeschriebener Ordnung, Braut[204] und Bräutigam voraus, nahm das Brautgeleit Besitz von diesen Wagen, unter denen mehrere aus einfachen Leitern bestanden, wie sie der Bauer zu Holz- und Getreidefuhren allein brauchen kann, und in raschem Trabe, nicht selten in wildestem Galopp, jagte der lustige Brautzug hinein in die rauschende, harzduftige Haide dem Geburtsorte Haideröschens zu, wo Trauung und Hochzeitsmahl stattfinden sollten. Seltsamerweise lief bald nach der Abfahrt, was in Jahren nicht vorzukommen pflegte, als erster Begegnender ein Hase über den Waldweg, was, als ein böses Zeichen, die Lustigkeit der Gäste einigermaßen störte und die lieblichen Träume der jungen Braut etwas verdüsterte.

Unmittelbar nach der Trauung begann das Mahl unter genauer Befolgung aller durch Sitte und Gewohnheit vorgeschriebenen und geheiligten Ceremonien. Zu diesem Mahle waren noch zwei längst erwartete Ehrengäste gekommen, Heinrich der Maulwurffänger und dessen Bruder Gregor. Sie erhielten ihre Sitze zunächst dem Pfarrer, der jederzeit die erste Stelle neben dem Bräutigam einnimmt. Durch das Erscheinen dieser beiden Männer, namentlich aber durch die trockenen[205] Witze und komischen Erzählungen des Maulwurffängers, ward die Hochzeitsgesellschaft sehr bald in die munterste Laune versetzt. Man vergaß das viele Ungemach, das die Hauptpersonen erlitten hatten, und freute sich der angewandten Listen, die ein so gelungenes, erfreuliches und glückverheißendes Ende herbeigeführt.

Bier und Branntwein wurden zu den vielen und fetten Speisen in Menge genossen und äußerten bald genug ihre Wirkungen. Die Unterhaltung ward so lebhaft, daß sie einem heftigen Gezänk Aller unter einander glich. Dazwischen klapperten Messer, hölzerne Teller – denn nur auf solchen aßen die Hochzeitsgäste – Bierkannen und Gläser. Im Eifer des Anstoßens und Zutrinkens ward auch manches Glas zerbrochen. Die Aufwartenden rannten mit ihren hoch mit Fleisch beladenen Schüsseln zuweilen gegen einander und verschütteten einen Theil der dampfenden Stücke, die alsdann ab- und zugehende Gäste unter allgemeinem Jubel mit ihren kurzen zweizinkigen Gabeln aufhoben und triumphirend selbsteigen auf ihre Teller trugen, wo sie bald verschwanden.

Das eigentliche Mahl war beinahe beendigt,[206] als unerwartet noch ein Gast in Sloboda's glückliche Behausung trat. Graf Magnus wollte die Einladung nicht versäumen, die ihm der unbekannte Briefschreiber zugeschickt hatte. Der junge Mann strahlte in voller männlicher Schönheit. Er trug einen prächtigen mit Goldstickerei reich verzierten Reitrock, die feinsten Spitzenmanschetten fielen über seine schönen Hände herab und der feine graublaue Hut saß kokett auf dem wohl frisirten Haar.

So trat er leichten Schrittes unter die tobenden Bauern, die Erstaunten mit Anmuth und freundlicher Herablassung grüßend. Einige Augenblicke verstummten Alle, man hörte kaum einen Athemzug.

»Laßt Euch nicht stören, meine Lieben,« redete Magnus die Versammelten an. »Ich komme, die Freude und das Glück des jungen Paares mit Euch zu theilen und als ihr Grundherr demselben ein kleines Geschenk zu überreichen. Von morgen an, wo Clemens und Röschen als Ehegatten meinen Grund und Boden betreten, erkläre ich sie für freie Leute. Es lebe das freie Brautpaar!«

Schnell entriß er dem zunächst sitzenden[207] Bauer das Glas und leerte es in einem Zuge bis auf den Grund, mit freundlichem Augenwink Clemens und Haideröschen grüßend und sich gegen Letztere graziös verneigend.

Es würde ein vergebliches Bemühen sein, den Jubel zu schildern, der jetz ausbrach. Ohne Maaß und Ziel in Freude und Schmerz, in Verehrung wie in Haß, betäubten die vom Trunk aufgeregten Wenden den jungen Grafen mit Lobeserhebungen. Er war auf einmal der gütigste, der gerechteste, der freundlichste und mildthätigste Herr. Jeder beeiferte sich, ihm dies persönlich zuzuschreien und wo möglich für seine Großmuth die Hand zu küssen, was denn einen unbeschreiblichen Lärm und die größte Unordnung hervorbrachte.

»Tusch! Tusch! – Ein Hoch dem allergnädigsten Herrn Grafen! – Zugeblasen! Zugeblasen! – Musikanten, aufgepfiffen! –« so schrien und commandirten hundert Stimmen durch einander und die Tusche der Musiker nahmen eine Viertelstunde lang kein Ende.

Obwohl das Essen noch nicht ganz beendigt war, gab man es doch freiwillig auf. Der Brazka ließ die Diele fegen, um den Tanz beginnen[208] zu lassen, nach dem Jung und Alt unter johlendem Schreien lebhaft verlangte. Ein so außerordentlicher Fall, ein Hochzeitsgeschenk so unerhörter Art, schien solchen Verstoß gegen das Herkommen zu rechtfertigen.

»Immer seid lustig, Kinder!« sagte Magnus. »Ein Fäßchen Branntwein geb' ich der Gesellschaft zum Besten. Es wird eben angezapft und soll, hoff' ich, etwas besser munden, als Euer kraftloser Fusel. Ein Stündchen will ich mich mit den schönen Gefährten der schönen Braut auf der Diele drehen, dann muß ich heim eilen, denn morgen warten meiner wichtige Geschäfte.«

Der kaum gedämpfte Jubel brach von Neuem, wo möglich in noch verstärkterem Maaße, aus, Tische, Bänke und Schemel wurden bei Seite geschoben, die Burschen bestellten den Vortanz, und als sich die durchdringenden Klänge der Tarackawa, begleitet von dem kreischenden Schreien der Huslje hören ließen, konnte Haideröschen nicht umhin, dem freundlich lächelnden Grafen gewährend die Hand zu reichen.

Magnus hatte viele bestechende Eigenschaften, mit denen es ihm ein Leichtes gewesen wäre, die Herzen seiner Unterthanen zu gewinnen und[209] Jedermann für sich einzunehmen. Dazu gehörte eine genaue Kenntniß aller dem Volke eigenthümlichen Gebräuche, seine Meisterschaft in den von den Wenden hochgehaltenen Spielen und Tänzen, die Leichtigkeit, mit welcher er sich in ihrer Sprache ausdrücken konnte, und noch manches Andere der Art, wodurch der Vornehme dem gemeinen Manne angenehm, gleichsam menschlicher wird, weil es in gewissem Sinne die Kluft ausfüllen hilft, die vom Glück Begünstigte immer in weiter Ferne hält von dem Armen, Mittellosen und Ungebildeten.

Magnus tanzte den Brautreigen bewunderungswürdig leicht, und doch mit so viel dörflichem Tact, daß selbst die im Tanz geübtesten jungen Burschen gestehen mußten, sie wüßten es nicht besser, ja nicht einmal so gut zu machen.

Während des Tanzes, der sich bald zu einem wirren, drängenden Menschenknäuel verdichtete, ward viel getrunken. Der Branntwein des Grafen mundete zu gut, als daß die Wenden im Genuß desselben hätten Maaß halten können. Sogar ältere Männer und Frauen ließen sich vom allgemeinen Frohsinn mit hinreißen und thaten des Guten mehr, als ihre vorgerückten Jahre[210] vertrugen. Dies hatte denn einen leichten Rausch fast Aller zur Folge, der durch den immer wilder rasenden Tanz noch mehr gesteigert wurde.

Frei von dieser Überlustigkeit hielten sich nur der Maulwurffänger und dessen Bruder. Sogar Sloboda hatte einen leichten »Hieb« und chassirte nicht selten, von einem Beine auf's andere hüpfend, quer durch den qualmigen Tanzsaal nach seiner Kammer, die, wie in den meisten wendischen Häusern, an die Wohnstube grenzte. Eine einzige niedrige Stufe oder eine hohe Schwelle trennte sie von der letztern und eine Zuschlagthür, welche von innen verriegelt werden konnte, sperrte den Eingang. Aus dieser Kammer führte eine zweite Thür in einen schief zur Erde abfallenden schuppenartigen Anbau, wo Sloboda Holz, Reißig, einige Ackergeräthe und andere in einer Wirthschaft nöthige Dinge aufbewahrte.

Mit Absicht vermied es der Maulwurffänger, den Grafen anzureden. Er saß in der Ecke des Zimmers, den Rücken der Thür zugekehrt, trank ein Glas Bier und ließ sich dazu seine kurze Maserpfeife schmecken. Nach dem ersten Tanze mit der Braut trat Magnus an diesen Tisch und[211] grüßte den unermüdlichen Raucher. Der Maulwurffänger stand auf und erwiederte gebührend den Gruß des Grafen.

»Du hast den Zeiselhof recht lange nicht mehr besucht,« redete Magnus unsern Freund an. »Wie kommt das?«

»Ich war daselbst nicht nöthig, gnädiger Herr.«

»Du weißt aber, daß ich Dich gern kommen sehe.«

»Wenn dem so ist, werde ich wieder einmal anklopfen.«

Magnus schob einen Schemel an die Wand und setzte sich dem Maulwurffänger gegenüber, so daß jetzt drei an dem Tische saßen, denn auch Gregor hatte inzwischen seinen Platz daran wieder eingenommen und bedächtig die breiten Schöße seines langen, mit rothem Fries gefütterten Rockes von den strammen Beinen zurückgeschoben, so daß sie zu beiden Seiten des Schemels bis auf den Boden herabreichten.

»Wie geht die Kundschaft?« begann Magnus das Gespräch von Neuem. »Ich höre, daß in diesem Jahre der Maulwurf weniger[212] Schaden anrichtet, als in dem letzt vergangenen.«

»Möcht' ich nicht so schlechthin behaupten, Ew. Gnaden! Es kommt aufs Erdreich an, denn das Ungeziefer hat einen Geschmack so fein, wie der delicateste Fürstbischof.«

Gregor lachte und sagte mit dem Kopfe nickend: »Natürlich! Natur!«

»Wie ist es denn,« sprach Magnus nach abermaliger Pause, »hast Du neuerdings nichts von dem braunen Lips gehört? Vor einigen Wochen machte er wieder viel von sich reden durch ein paar Einbrüche, die mit großer Kühnheit verübt worden waren.«

»Ich bin kein Polizeimann, Herr Graf,« entgegnete der Maulwurffänger, sein scharfes Auge wie einen leuchtenden Blitz auf ihn heftend.

Magnus stand auf und umfaßte die erste Züchtjungfer, die eben vorbeiging, um mit ihr unter die Tanzenden zu treten.

»Aus mir soll er nichts herausbringen,« flüsterte Heinrich seinem Bruder zu, »und wenn er Schraubenstöcke anlegt und vier Hengste vorspannt. Ich werde kein Narr sein.«[213]

»Natur, ganz Natur!« sagte Gregor und zündete sich der Unterhaltung wegen eine Pfeife an.

Inzwischen dauerte der Tanz ununterbrochen fort. Magnus kam nicht mehr vom Plane. Die jungen Mädchen rissen sich um den schönen, leichten, vornehmen Tänzer und legten alle Schüchternheit ab, da sie den als so schrecklich verschrienen Blauhut auf einmal so zugänglich sahen. Wäre es nicht der gnädige Herr gewesen, der alle Dorfschönen ihren Burschen untreu machte, so würde die Hochzeit, wie so oft, mit blutiger Schlägerei geendet haben. So aber war man eines Theils zu sehr hingerissen von der Freigebigkeit und Großmuth des Grafen und sodann hatte man auch wirklich zu viel Gefallen an seinem Tanz, als daß nur Einer gewagt hätte, über das Glück des hohen Gastes zu murren.

Haideröschen hatte schon mehrmals mit Magnus getanzt. Sie war aufgeregt wie alle Übrigen und von mehrmaligem Kosten geistiger Getränke sogar etwas exaltirt. Ihr lachendes Gesichtchen glühte wie eine Purpurrose; das weiße Brusttuch zitterte von dem stürmischen Klopfen ihres Herzens.[214]

Magnus führte sie aus der Hand ihres Bräutigams wieder zum Tanz. Clemens lachte über Röschens Unermüdlichkeit, er lachte so laut, daß der Maulwurffänger aufmerksam wurde und ihn beim Arme nahm.

»Trinke nicht mehr, Clemens,« sprach er zu ihm, »Du wirst zu laut!«

»Weiß Gott, Bruderseele, Du hast Recht! – 's ist verdammt heiß in diesem Backofen. Komm, wir wollen draußen frische Luft schlucken!«

Der Maulwurffänger verließ Arm in Arm mit Clemens die erstickende Atmosphäre der Hochzeitsstube und ging plaudernd im Baumgarten mit ihm auf und nieder. Ein sternenklarer Himmel überwölbte funkelnd die schlummernde Haide. –

Magnus hatte das Verschwinden beider Männer bemerkt. Er sah jetzt außerdem, daß Sloboda trotz des unbändigen Lärmes in einem dunkeln Winkel des Zimmers vor Ermattung zu nicken begann. Alle übrigen waren nur mit sich und dem Tanze beschäftigt und hatten kein Auge auf ihn. – Sogleich endigte er den Tanz und geleitete Haideröschen durch die dicht gedrängte Schaar walzender und zuschauender Gäste. – Er[215] winkte ihr, griff in die Brusttasche seines Rockes, wo ein weisses Papier sichtbar ward, und deutete auf die anstoßende Kammer. – Haideröschen, erhitzt, glücklich und neugierig gab nicked ihre Zustimmung und verschwand bald darauf in der erwähnten Kammer. Ungesehen folgte ihr Magnus, der mit geschicktem Griff von innen den Riegel vorschob.

Es vergingen mehrere Minuten, ohne daß Jemand die Braut oder den Grafen vermißte. Die Musik spielte munter auf, die Burschen klatschten in die Hände, sprangen jauchzend in die Höhe, umschlangen mit nervigen Armen ihre Mädchen und stürzten sich in die unaufhaltsame Woge des Tanzes. Da schien es einigen ältern Männern, als vernähmen sie den Hilferuf einer weiblichen Stimme. Sie horchten aufmerksam durch den Lärm, da sich aber nichts regte, achteten sie nicht weiter darauf. Nach einer Pause erklang dieselbe Stimme wieder, aber auch jetzt hörten sie nur einige Wenige undeutlich. Sloboda erwachte jedoch davon aus seinem schläfrigen Hindämmern und suchte mit großen Augen seine Tochter.

In diesem Augenblick trat Clemens mit dem[216] Maulwurffänger wieder in's Zimmer, Beide in sichtbarer Aufregung.

»Wo ist meine Braut? Mein süßes Haideröschen?« schrie er mit lauter vor Angst bebender Stimme in den Jubel der Tänzer.

»Hat Jemand den Grafen fortgehen sehen?« fragte nicht minder laut der Maulwurffänger.

Wie vom Donner gerührt, schwiegen plötzlich Musik und Tanz. Es war eine furchtbare, erwartungsvolle Pause. Ein wiederholter, gellender Aufschrei brachte neues, drohendes, grauenvolles Leben in die Masse der keuchenden Tänzer.

»Meine Tochter! Meine Tochter!« rief Sloboda, stürzte nach der Thür zur Kammer – aus der der herzzerreißende Schrei erklungen war – und wollte sie aufreißen, allein sie widerstand jeder Kraftanstrengung.

»Mein Röschen!« jammerte Clemens und schlug wüthend mit den Fäusten gegen die Thür.

Ein paar Secunden und die Thür stürzte krachend unter den Tritten der wüthenden Wenden zusammen.

Es war finster in der Kammer. Der schwache Schimmer halb niedergebrannter dünner Unschlittlichter aus der Wohnstube, in feuchtem Rauche[217] trüb und flackernd brennend, ließ am Boden liegend eine Mädchengestalt erkennen, die in völliger Erschöpfung kaum noch athmete. Es war Haideröschen. – Die Brautkrone lag neben ihr, das schöne goldblonde Haar hing in aufgelösten Flechten um den entblößten Busen. Ihre festliche Kleidung war schmutzig, zum Theil zerrissen. Ein Blick genügte, um hier an einem verübten Verbrechen nicht mehr zu zweifeln. –

Clemens stürzte neben der Röchelnden nieder und rief sie mit den zärtlichsten Namen. Sie gab keine Antwort, aber sie hörte, sie sah ihn. Jammernd nur schlug sie beide Hände fest über ihre Augen und wimmerte in herzzerreißenden Tönen.

Der scharfe Blick des Maulwurffängers, der in jedem Winkel der dunklen Kammer den Grafen suchte, bemerkte auf dem Tische ein weißes Blatt. Er hob es auf und hielt es gegen herbeigeholte Lichter. Es war der Freibrief für Clemens und Haideröschen, mit Magnus' Namensunterschrift und Wappen! Der Brief lautete auf den morgenden Tag. –

Als der Maulwurffänger das Blatt durchlesen hatte, ließ er es entsetzt zur Erde fallen.[218]

»Auf morgen also! Satanische Bosheit, Du hast gesiegt und wir Armen können nicht einmal gegen ihn klagen! Der Entsetzliche hat blos sein Herrenrecht an der Leibeigenen geübt! –«

Alle standen sprachlos. Sloboda lag gebeugt am Boden neben Haideröschen und netzte mit seinen Schmerzensthränen ihre schönen Haare. Clemens weinte ebenfalls wie ein Kind. Ehrhold dagegen stieß in gerechtem Grimme furchtbare Verwünschungen aus und erhob inmitten der bestürzten Hochzeitsgäste die Hand zum Schwur.

Der Maulwurffänger fiel ihm in den Arm.

»Halt ein!« sagte er. »Nicht Du allein, nicht ein Einziger schwöre hier, wir alle, die wir Männer sind, verbinden uns in gemeinsamem Schwure zu gemeinsamer That! Wer mir beistimmt, der thue, wie ich!«

Der Maulwurffänger kniete nieder. Alle ahmten seinem Beispiel nach. Dann erhoben sämmtliche Wenden zugleich mit dem Deutschen ihre Hände und dieser sprach:

»So lange es noch Herren gibt, die ihre Macht mißbrauchen zum Nachtheile ihrer Untergebenen; so lange noch ein Volk auf Erden lebt das in Armuth, Elend und Druck jammert und[219] rechtlos umherirren muß: so lange laßt uns Brüder sein und mit einem Herzen, in einem Sinne handeln! So lange laßt uns verbunden sein zur Befreiung des Volkes vom Druck der Herrschaft, welchen Namen sie auch führen mag! So lange endlich laßt uns nicht schonen weder Gut, noch Blut, noch Leben! Dazu verhelfe uns der gnädige Gott. Amen!«

In dumpfen Tönen sprachen alle Wenden diesen Schwur nach. Als das Amen monoton von ihren Lippen hallte, vernahm man in der Ferne Hufschläge eines davonjagenden Pferdes. Es war Magnus, der in schnellstem Carrière dem Ort seiner Bubenthat und der Rache der beleidigten Wenden entfloh.–[220]

Quelle:
Ernst Willkomm: Weisse Sclaven oder die Leiden des Volkes. Theile 1–5, Leipzig 1845, S. 191-221.
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