Achtes Kapitel.
Der Drohbrief.

[179] Magnus dehnte sich mit wollüstigem Behagen auf schwellender Ottomane und las einen jener verführerischen Romane von Crebillon, die damals unter den verdorbenen höhern Ständen ihrer graziös verhüllten Unmoralität wegen eben so großen Beifall fanden, als durch den geistreichen Witz und treffenden Sarkasmus des frivolen Franzosen. In langen Pausen schlürfte der junge Graf dabei starke Chocolade aus einer großen reich vergoldeten Tasse. In diesem zwiefachen Genusse störte ihn sein vertrauter Kammerdiener, welcher mit den fein gebürsteten Sonntagskleidern des Herrn eintrat, sich jedoch in respectvoller Entfernung von dem Lesenden hielt. Nach einiger Zeit legte[180] Magnus das Buch weg und trank den Rest seiner Chocolade.

»Was willst Du, Jean?« fragte er den Kammerdiener, der bewegungslos, den Sammetrock des Gebieters auf dem Arme, im Zimmer stand.

»Mit Ew. Gnaden gütiger Erlaubniß wollte ich unterthänigst melden, daß so eben zum dritten Male zur Kirche geläutet worden ist.«

»Schon so spät, Jean? – Ja, dann muß ich mich beeilen. Die Zeit vergeht doch wunderbar schnell bei angenehmer, geistreicher Lectüre.«

Magnus erhob sich von seinem bequemen Lager, winkte dem Kammerdiener, ihm dem Pudermantel umzuwerfen und ließ sich die Haartour in Ordnung bringen. Dabei gähnte er mehrmals.

»Der gnädige Herr Graf scheinen eine schlaflose Nacht gehabt zu haben.«

»Ach nein, guter Jean, ich langweile mich nur im Voraus schon bei der stundenlangen albernen Predigt unseres zahnlosen alten Pfarrers.«

»Dann brauchen ja Ew. Gnaden blos nicht in die Kirche zu gehen,« sagte Jean. »Sind Sie nicht Ihr eigener unabhängiger Herr?«[181]

»Nicht so ganz, wie Du glaubst. Ich muß meinen Unterthanen mit gutem Beispiel vorangehen und mich also ihnen zu Liebe zu Tode langweilen. Man hält mich für einen Freigeist, ich weiß es bestimmt, und eben deßhalb will ich von heut an jeden Sonntag die Kirche besuchen. Ich gebe Dir mein Ehrenwort, Jean, es geschieht blos so lange, bis sich die dummen Bauern von meiner wahrhaftigen Gottesfurcht augenfällig überzeugt haben.«

Es war nämlich Magnus erzählt worden, daß viele seiner Unterthanen laut geäußert hatten, ihr Herr müsse ehestens vom Himmel bestraft werden, weil er nicht ein einziges Mal das Gotteshaus besucht habe, und so hielt er es denn für unumgänglich nöthig, sich in die Umstände zu fügen.

»Noch kein Bote von Boberstein angekommen?« fragte er, während ihm der Kammerdiener den Pudermantel abnahm und einige weiße Tüpfel von Stirn und Wange stäubte.

»Man hat noch nichts gehört.«

»Wie geht es mit Sultan?«

»Der Voigt ist mir die Antwort auf meine Frage bis jetzt schuldig geblieben.«[182]

»Warum? Sollte Sultan's Leben bedroht sein? – Geh, Jean! Bescheide den Voigt zu mir. Ich will sogleich die genaueste Nachricht über das Befinden meines Lieblingspferdes haben.«

»Irre ich nicht, gnädigster Herr, so höre ich den schwerfälligen Tritt des Voigtes auf dem Corridor.«

So war es. Der Voigt erschien. Er hatte einen ziemlich großen Brief in der Hand, der schlecht couvertirt und mit schwarzbraunem Siegellack äußerst plump verschlossen war. Auf dem Siegel konnte man kein bestimmtes Zeichen erkennen, da der vermuthlich ungeübte Schreiber zwei- oder dreimal das Petschaft in das halb geronnene Lack gedrückt hatte.

»Du wirst täglich lässiger, Ephraim,« redete Magnus den Eintretenden ziemlich barsch an. »Wenn das so fortgeht, werde ich künftig eine Gesandtschaft an Dich abschicken müssen, um zu erfahren, wie Du Dich in meinen Diensten benimmst. Was bringst Du von Sultan für Nachricht?«

»Die Geschwulst mindert sich, gnädigster Herr,« versetzte der Voigt mit niedergeschlagener[183] Miene, »bei sorgfältiger Pflege wird das arme Thier wieder vollkommen hergestellt werden.«

»Das ist mir lieb, aber was zum Henker schneidest Du für Gesichter? Und was hast Du denn da in den Händen?«

»Ich wollte Ew. Gnaden eben um Entschuldigung bitten der Säumniß wegen, der ich mich schuldig gemacht habe. Dieser Brief –«

»Brief?« fiel Magnus schnell ein, mit dem rechten Arm in den Sammetrock fahrend und so plötzlich dem Voigte entgegenschreitend, daß er dem Kammerdiener das Kleidungsstück entriß und es auf dem Boden hinter sich fortschleifte. »Ein Brief von Boberstein?«

»Von dem Stammschlosse des gnädigen Herrn ist mir ein solcher Brief noch nicht zu Gesicht gekommen,« versetzte der Voigt. »Überhaupt habe ich solche Schriftzeichen noch niemals erblickt, und eben deshalb zögerte ich mit der Überreichung.«

»Wer brachte ihn? Wie kam er an Dich?« fragte Magnus hastig, jetzt mit Hilfe des Kammerdieners auch den zweiten Ärmel seines Feierkleides anziehend.

»Ich fand ihn, gnädigster Herr. Draußen[184] am Thor zwischen Schloß und Riegel war er eingeklemmt.«

»Vermuthlich ein Pasquill,« sagte Magnus verächtlich, »laß doch sehen!«

Der Voigt überreichte das ungleich gefalzte, äußerlich beschmuzte Schreiben. Magnus besah das verwischte Siegel, die unleserliche, gekleckste Handschrift.

»Vielleicht ist es ein Brandbrief. Man hat neuerdings verschiedene auf Edelhöfen ausgeworfen, um Milderung der Hofedienste zu erzwingen. Wie ich höre, haben sich einige Furchtsame dadurch einschüchtern lassen und wirklich Versprechungen gethan. Bei mir können diese Thoren auf solche Weise nichts erlangen. Ich trotze der Rohheit und werde um so härter strafen, je unerlaubter ein solches Verfahren ist.«

Während dieses Gesprächs hatte er den Brief erbrochen. Schon beim Durchlesen der ersten Zeilen runzelte er die Stirn und wechselte die Farbe.

»Was ist das?« hörten ihn Voigt und Kammerdiener murmeln. Er las noch einige Zeilen, worauf die Anwesenden bemerken konnten, daß ihm die Hände zitterten.[185]

»Meinen Wagen!« befahl er dem Voigt. »Du, Jean, hole mein Gesangbuch aus der Bibliothek.«

Kaum hatten sich die Diener entfernt, so warf sich Magnus auf einen Stuhl und stampfte wüthend mit dem Fuße.

»Abscheulich!« rief er. »Mich zwingen zu wollen und in so stolzen, beleidigenden Ausdrücken!«

Der Brief lag auf seinem Schooß. Er lautete:

»Vier Wochen nach Empfang dieses wird Röschen Sloboda, bekannt unter dem Namen Haideröschen, den Bauer Clemens Ehrhold heirathen. Sie werden, Herr Graf, ohne Säumen genannten Clemens Ehrhold die Erlaubniß dazu ertheilen und Röschen Sloboda als Ihre Unterthanin annehmen. Ferner wollen Sie nicht anstehen, obgenanntem Röschen ein Heirathsgut von dreihundert Reichsthalern zu überantworten und am Tage der Hochzeit, zu deren Feier Sie hiermit eingeladen werden, den Neuvermählten einen Freibrief als außerordentliches Hochzeitsgeschenk zu überreichen. Binnen zweimal vier und zwanzig Stunden werden Sie gnädigst Antwort geben,[186] wozu das Abfeuern Ihrer Jagdflinte aus demselben Fenster, durch welches die kleine Wendin Ihrer Verfolgung sich entzog, für genügend erachtet wird. Sollten Sie anstehen, die oben genannten Bedingungen eingehn zu wollen und das verlangte Zeichen nicht geben, so werden eine Stunde später alle Fenster Ihres Schlosses von hundert Schüssen zugleich zertrümmert werden und die gerechte Strafe des Himmels wird Sie erreichen mitten im Triumph Ihrer nichtswürdigen Verbrechen!«

Dieser Brief war ohne Namensunterschrift und unverkennbar mit verstellter Hand geschrieben. Magnus fiel daher sogleich auf den Gedanken, der Verfasser desselben könne Niemand anders als sein erklärter Feind der Maulwurffänger sein. Deshalb war er anfangs auch fest entschlossen, die herrische Forderung ganz unbeachtet zu lassen und dem frechen Schreiber damit seine Verachtung zu erkennen zu geben, allein später stiegen doch wieder Zweifel in ihm auf. Der überall thätige Maulwurffänger konnte ja blos das Werkzeug eines Mächtigeren sein! Es ließ sich nicht läugnen, daß eine unglaublich kühne Räuberbande die Haide seit Jahren unsicher[187] machte; daß Mitglieder derselben als Bauern und Bürger verkleidet auf allen Dörfern und Schlössern Bekanntschaften anknüpften und über öffentliche und geheime Vorgänge sehr wohl unterrichtet waren. Von der Stärke dieser kunstreich organisirten Räuberbande erzählte man sich Wunderdinge; die Schlauheit, Kraft und originelle Gesinnung ihres Anführers konnte man nicht genug rühmen. Ja das unwissende Volk legte ihm sogar höhere Kräfte bei, hielt ihn für hieb- und stichfest und behauptete, er könne zugleich an mehreren Orten gegenwärtig sein und wie der Sturmwind im Augenblick erscheinen und verschwinden. – Es war ferner so gut als gewiß, daß die niedrigen Volksklassen, namentlich das arme, darbende Volk, in sehr enger Verbindung mit diesem Schrecken der Wälder stand. Jede Hütte stand dem Unhold bei drohender Gefahr offen, während sie sich vor der verfolgenden Macht verschloß. Der schlaue »Fürst der Haide,« wie man den Räuber wohl nennen hörte, hatte nicht selten schreiendes Unrecht auf seine Weise ausgeglichen und hartherzige Herren auf das Empfindlichste gezüchtigt.

Dies und manche auffallende Einzelheiten[188] aus dem unstätten abenteuerlichen Leben des Räubers traten dem jungen Grafen blitzschnell vor die Seele und nachdenkend stützte er den Kopf in seine Hand, das bedrohliche Schreiben zerknitternd und auf die glimmenden Kohlen des Kamins schleudernd.

Um Auswege war Magnus nie verlegen, da es ihm auf die Wahl seiner Mittel nicht ankam. Den Inhalt des Briefes nochmals sich wiederholend, sprang er auf und schnalzte lächelnd mit dem Finger.

»Vortrefflich!« sagte er, das Zimmer langsam durchschreitend. »Gräfliche Gnaden fügen sich unbedingt dem Willen des dunklen Unbekannten, fertigen die Erlaubniß zur Hochzeit des jungen Burschen mit der niedlichen Kleinen aus, sind überhaupt unaussprechlich herablassend und zuvorkommend und knallen zu guter Letzt mit ihrer Vogelflinte zu dem famosen Fenster hinaus. – Warum auch sollte ich es nicht thun?« fuhr er fort, in seiner Wanderung inne haltend. »Wer von all meinen Leuten weiß denn, was mir zugemuthet wird, welcher unbekannten Gewalt ich mich ohne alles Sträuben ergebe? – Und welcher Vortheil kann mir aus solchem unbedingt[189] willigen Nachgeben erwachsen! – Diese Schlauen, wer sie immer sein mögen, sind in der That ungemein kurzsichtig. Sie muthen mir, der ich jedenfalls weit über ihnen stehe, zu, ich solle mich ohne Rückhalt, ohne Säumen ihren Händen überliefern, und scheinen dabei zu vergessen, daß grade dieses grobe Drängen, wenn ich mich ihm füge, eine laute Aufforderung ist, vorsichtig zu sein. – Sie laden mich naiv gutmüthig zu Haideröschens Hochzeit ein – ein vortrefflicher Gedanke! – Ich habe Lust, die lieben Leute in ihrer Lustigkeit kennen zu lernen. – Und den Freischein soll ich mitbringen zum Trunk und Tanz? – Wirklich, diese Tölpel ahnen nicht, wie bereitwillig sie mir in die Hände arbeiten! – Der Freischein zur Hochzeit – mein Recht als Herr – der Lärm und die ausgelassene Lust der Wenden – ich kann mich gar nicht täuschen, daß ich dabei einen vollständigen Sieg erringe und dem Feinde die empfindlichste Niederlage bereite.«

»Ew. Gnaden?« sagte der Kammerdiener, die Thür öffnend.

»Ist angespannt?«

»Wie Sie befohlen haben.«[190]

»So will ich denn zur Kirche fahren und im inbrünstigen Gebet Gott danken, daß er mich erleuchtet und aus schwerer Gefahr gnädig errettet hat.«

Der Kammerdiener machte große Augen, als er seinen Gebieter eine so ungewohnte, noch nie vernommene Sprache anstimmen hörte, indeß begleitete er ihn gehorsam zur Kirche, wo er sich abermals über die außerordentliche Andacht und die gespannte Aufmerksamkeit des Grafen zu wundern hatte. Magnus wartete den Gottesdienst gänzlich ab, dankte sehr gnädig allen Vorübergehenden, die ihn grüßten, und war nicht nur an diesem, sondern auch in den nächsten Tagen die Freundlichkeit und Güte selbst gegen Diener und Knechte. Die Letzteren hielten ihn für geisteskrank und wurden in dieser Meinung noch mehr bestärkt, als sie ihn eines Tages am frühen Morgen wie toll mit der Flinte durch mehrere Zimmer rennen sahen, als ob er einen Dieb verfolge. Gleich darauf fiel ein Schuß. Mit noch rauchender Flinte ging der Graf ruhig zurück in sein Wohnzimmer.

Quelle:
Ernst Willkomm: Weisse Sclaven oder die Leiden des Volkes. Theile 1–5, Leipzig 1845, S. 179-191.
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