Vorrede zur zweyten Auflage

[8] Die Nachsicht, mit der man ein Werk aufgenommen hat, welches der erste Versuch einer jugendlichen Feder war, macht es mir zur Pflicht, die Gründe darzuthun, welche mich bewogen haben, Elisa, in jedem Moment ihres Lebens, gerade so, und nicht anders, darzustellen. Ein Ideal kann nur einmahl seyn, sagt man, und dieses ist wahr; allein ich wollte nur zeigen, wie in einzelnen Fällen, das Weib wohl am besten handeln würde. Freylich hat jede individuelle Lage ihre eigenen Verpflichtungen;[8] allein die Gründe, welche Elisa zu ihren Handlungen bewogen, und ihr System, stets nach dem Gesetze des Guten zu handeln, und die Vernunft als ihre erste Führerinn anzuerkennen, dieses sollte sich wohl jedes Weib zu eigen machen. Ich stellte dieses System in einer Reihe von Handlungen auf, und concentrirte sie in einer Person, weil ich gewiß glaube, daß Mann oder Weib, wer dieses System befolgt, glücklich ist. Hiezu gehört freylich ein höherer Grad der Ausbildung des Verstandes, um das Bessere zu erkennen; eine Standhaftigkeit; eine Festigkeit im Guten. Um alle diese Eigenschaften zu erlangen, hat der Mensch nicht selten mit Schwierigkeiten zu kämpfen, welche durch seine frühere Erziehung, durch Convenienz, bürgerliche Einrichtungen, Gesellschaften und manches Individuelle in seiner Lage, erzeugt werden; allein sollten wir darum jeden Versuch zur Besserung der Menschen aufgeben, weil so viele Ursachen vorhanden sind, die dieser Besserung entgegen wirken? Oder ist dieses nicht vielmehr ein Antrieb, wahre Aufklärung, und reine, einfache Moral, immermehr unter die Menschen zu verbreiten? Wenn wir gleich, unter unsern Weibern, keine Elisa finden möchten, so finden wir doch Manche unter ihnen, so empfänglich[9] für jedes Gute, so bereitwillig es auszuüben, daß es ihnen oft nur an Berichtigung ihrer Begriffe, und mehrerer Ausbildung derselben fehlt, um ganz das leisten zu können, was sie als Weiber leisten sollten; und für diese werden die Schriften, welche für sie geschrieben sind, nicht ganz ohne Nutzen bleiben.

Man hat es Unrecht gefunden, daß die sterbende Elisa Zweifel gegen die Unsterblichkeit der Seele hegte. Es war meine Absicht, daß reine Moral die Bewegungsgründe zu Elisa's Handlungen ausmachte, und keine Grundsätze der positiven Religion, welche nur zu oft schwankend werden. Dann aber mußte Elisa über positive Religion ganz aufgeklärt seyn, oder sie war nicht das Weib, wie ich sie schildere. Und sie, welche ihr ganzes Leben hindurch, Hoheit des Geistes und Festigkeit zeigte, hätte nicht sagen können, daß sie sich schon die Zerstörung ihres Wesens gedacht hätte? Mit der Erkenntniß, daß wir von einer Fortdauer nach dem Tode nichts wissen können, ist schon der Gedanke von der Zerstörung unsers Wesens verbunden, und viele Menschen müssen ihn schon gedacht haben. Ich wollte zeigen, daß die Ruhe im Tode wohl hauptsächlich aus der Ueberzeugung entspringt, auf der Erde unsere Pflichten erfüllt zu haben; weiter hinaus ist[10] ein Vorhang vorgezogen, den wir Menschen wohl nie aufheben werden. Halbe Aufklärung ist immer schädlich, warum sollen aber denn die Weiber nur halb aufgeklärt seyn? Wer wird es verhindern, daß sie nicht viele Schriften lesen, in welchen über den Satz von der Unsterblichkeit der Seele entgegengesetzte Meynungen aufgestellt sind? Wird diese Ungewißheit sie aber nicht unglücklich machen, wenn sie diesen Satz als eine Bedingung ihrer Glückseeligkeit angenommen haben? Und wäre es nicht besser, wenn jeder Einzelne diesen Satz als eine philosophische Meynung betrachtete, dessen Entscheidung außerhalb dem Gebiete des Menschen liegt, und eben deshalb auf die Ruhe und das Glück des Menschen keinen Einfluß haben kann? Bey mehrerm Nachdenken werden vielleicht die meisten Menschen zu dieser Ueberzeugung gelangen, die vielleicht im Tode am meisten Ruhe gewährt, da wir uns alsdann gewöhnt haben, an die Zukunft mit Ruhe zu denken. Warum sollten wir aber das Nachdenken der Weiber nicht auch auf diesen Gegenstand leiten, da es für sie eben so wichtig ist, hier eine ruhige, feste Ueberzeugung zu erhalten.

Ich übergebe also meinen Mitbürgerinnen Elisa noch einmahl in derselben Gestalt. Selbst[11] ein Weib, wünsche ich, wahre Tugend und höhere Ausbildung des Geistes immer mehr unter meinem Geschlechte verbreitet zu sehen, von welchen wir uns, durch eine falsche Richtung des Verstandes, immer mehr entfernen. Durch die Kunst gebildet, wünschte ich das Weib zur Einfachheit und zur Natur zurückgeführt zu sehen.

Dieses war mein Zweck, als ich dieses Buch meinen Mitbürgerinnen weihete. Mögen Andere diesen Zweck durch kräftigere Mittel erreichen, mögen edle Männer es sich zur Pflicht machen, durch ihr Verhalten die Weiber zur Tugend zu erziehen, jedes edle Weib wird ihnen danken! Und die Verfasserinn der Elisa wird gern ihr Buch der Vergessenheit übergeben, wenn sie hoffen darf, daß das System, welches Elisa befolgte, in den Herzen unserer meisten Weiber eingeprägt ist.[12]

Quelle:
Wilhelmine Karoline von Wobeser: Elisa oder das Weib wie es sein sollte. Leipzig 41799, S. VIII8-XIII13.
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