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[3] Seit du von uns giengest, meine Bertha, ist's mir, als wäre die Freude auch von uns geschieden. Was ist auch am Leben, ohn' ein Herz, in dem wir es doppelt fühlen! Die Rosen im Burggarten blühen matter, die Vögel singen mir traurig, nur wenn die Abendsonne ihre letzten Strahlen in das grüne Thal, über den hohen Wald herein wirft, und der Fluß ihren Purpur auf seinen Wellen spiegelt, – dann möchte ich mit den Lichtstrahlen fortziehen –[3] Dir nach, denn Dein liebes Bild scheint mir aus der blauen Ferne zu wirken. Ja, an Deiner treuen Brust wohnt der Trost meines Lebens! Der Trost; die Freude, schwebt längst als ein goldnes Wolkenbild über mir, das sich immer mehr entfernt, zu dem mich nur oft ein mildes Wehen der Hoffnung hinführt.

Die Mutter ist mild und gütig, giebt mir im Hause zu thun und zu ordnen, um mich zu zerstreuen. Der gute Caplan kommt Abends zeitiger als gewöhnlich, mit mir in den Welschen Büchern zu lesen, die auch Dir so gefielen. Bei jeder schönen Geschichte denk' ich an Dich.

Diese hohen stolzen Ritterfrauen hatten es besser als wir. Auf dem muthigen Roß konnten sie dem, was sie liebten, frei durch Wälder und ferne Länder nachschweifen, Gefahr und Tod mit ihm zu theilen. Der gute Mann denkt gern seiner Jugendzeit, seiner Wanderungen in den schönen Gärten von Europa, wird nicht[4] müde zu erzählen, von den Eisbergen, die dahin führen, von der Pracht der Schlösser, von den Strömen, an deren Ufern die reichen, schönen Städte liegen, und von der Herrlichkeit Roms. Ein inniges Sehnen ergreift ihn, und in der Sehnsucht begegnen wir uns. Ist es doch, als könnte der Mensch ohne Sehnsucht nicht leben, da selbst das greise Alter, in ihr, die Vergangenheit umfaßt, da keine heiße Liebe seine Gegenwart füllt, und keine Hoffnung seine Zukunft übergoldet! Der Vater ist für einige Tage verreist. Mit ihm wird mir ein heiteres Leben zurückkehren. Er erzählt mir aus der Griechen- und Römer-Zeit, aus der, Carls des Großen, von den Kaisern aus dem Hohenstaufischen Hause, ihren Thaten und Kriegszügen nach dem gelobten Lande. Wenn ich ihn zu Pferd begleite, wird's mir freier ums Herz. Von den Gipfeln der hohen Gebirge werde ich hinab schauen nach der Gegend, wo Du bist, meine Liebe.

Es wird stürmische Zeiten geben, fürchtet der Vater. Des Luthers Anhänger wachsen täglich.[5] Du weißt es, ich kann nicht umhin, Theil an dem Manne zu nehmen, der in der Kraft seines Herzens Allein, gegen eine Welt steht.

Gott möge seinen Glauben richten, seinen Irrthum verzeihen! Ja, ein Mensch, der um der Wahrheit Willen, so scheint es ihm, Gut und Leben opfert, ist immer groß und herrlich zu nennen, und wird es bleiben durch alle Zeiten hindurch, lebte er in Kerker und Ketten, und stürbe er auf dem Scheiterhaufen, wohin ihn Menschenhärte und Trug verdammen. Wer kann in das Innre schauen, als der Vater des Lichts? Erbarmen und Liebe, sind sie nicht die ersten Gebote der ewigen Liebe? Der Vater hat mir die Geschichten des Huß und Hieronimus von Prag gelesen, die vor hundert Jahren sich zutrugen; unter tausend Thränen habe ich sie angehört. Rührend und ehrwürdig ist mir dieses Festhalten an ihrem Glauben, dieses freie Erwählen des Todes, das die Edlen aller Völker für sie bewegte. Dieser Streit, dünkt mir, ward von unsrer Seite mehr um Menschliches[6] und Irrdisches geführt, als um Himmlisches und Ewiges. Gott läßt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute, über Gerechte und Ungerechte. Diesen schönen Spruch, den mich der gute Vater gelehrt, kommt mir nicht aus dem Sinn. Sollten wir schwache, in Dunkelheit wandelnde Menschen, eingreifen in die Hand des Allmächtigen, strafen wo er verschont?

Wenn die Morgensonne sich in den Thautropfen der Rosen unter meinem Fenster spiegelt, da umfaßt mich das allbelebende Gefühl der Allmacht und Liebe, die Himmel und Erde durchstrebt, und ich bete: Ewiger Vater! laß mich nie kränken eines Deiner Geschöpfe, dem Du das Leben verliehen hast, solche Schönheit zu schauen! Ich nehme mirs vor, alle Thränen zu trocknen, wie es in meinem Vermögen steht.

Gott verhüte, daß je welche durch mich fließen sollten!

Lebe wohl, meine Bertha, in all' seinem[7] Leben, in Kummer und Ernst und feundlicher Hoffnung, ist Dir mein Herz nah!

Anna.

Quelle:
Caroline von Wolzogen: Erzählungen. 2 Bände, Band 2, Stuttgart und Tübingen 1826, S. 3-8.
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