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[48] Seit ich Dir meine Liebe ausgesprochen, meine Bertha, ists mein süßester Trost, Dir zu schreiben. Mir ists, als wäre ich Ottomar näher, vor Dir, der Einzigen, die mein Lieben und mein Sehnen kennt.

Vergebens umfängt mich die Schönheit der Natur, der mein Herz sonst so offen war, mit ihren sanften Liebesarmen. All ihr Reiz dringt nur als Sehnsucht zu mir. Ich träume ihn an meine Seite, dann lächelt mir der Glanz der Ströme, des Abend- und Frühlichts an den waldigen Gebirgs-Ufern vom Grün der frischen Wiesen. Die hohen Burgen, die friedlichen Dörfer, locken mich an wie trauliche Heimath. Aber der Zauber des schönen Traums zerrinnt, und ich erwache in schauerlicher Einsamkeit, eine düstre nächtliche Hülle bedeckt die lieblichen Bilder.

Die Nacht ist mir labender in einsamen Thränen, und die Gestirne winken mir Ewigkeit[48] und Hoffnung zu – auf Erden wird keine mehr für mich seyn.

Ich höre viel ernsten Gesprächen des Vaters zu, mit Verwandten und Freunden, und unter dem Volke, denn er unterläßt nicht, eines Jeden Meinung anzuhören. Sind die Fremden wieder weg, dann erklärt er mir und der Mutter die Zeichen der Zeit. Wir müssen die Lage der Dinge verstehen lernen, um ihr mit Fassung und Muth zu begegnen, sagt er, alle Verblendung dient nur schwachen Geistern und feigen Herzen.

Finstre, stürmeschwangre Wolken hängen über uns; aufgeregt sind die Gemüther der Menge. O, hätten wir den starken und milden Max noch länger behalten! vielleicht hätte er die Stürme zu beschwören vermocht.

Der fremde Enkel wird fremde Klugheit mitbringen, verwirren, was deutsche Kraft und Geradheit friedlich gelöst hätte. Sein Ritterherz bändigte den Aufruhr, in seinem offnen Auge fand Jeder Gesetz und Ordnung wieder,[49] denn seine Klarheit verhieß Gerechtigkeit und Milde. Nur diese versöhnen die streitenden Elemente.

Veränderungen müssen eintreten, sagen die Besten. Welscher umstrickender Despotismus, von kleiner Eigensucht geleitet, muß abfallen von dem freien deutschen Gemüth. Unheiliges, Irdisches muß getrennt werden vom Heiligen und Himmlischen, in Lehr und Leben. Aber ein ordnender Geist muß walten, und dem irren, wilden Treiben der Menge, in dem jede rohe Persönlichkeit herrscht, muß fester Muth in Recht und Licht entgegen treten. Mit jedem Opfer muß die Ordnung erhalten werden, aber in Klarheit und Freiheit. Ein Freier ist nie ein Bedrücker, nur einer, der sklavisch im Sold, und in der Gunst der Mächtigen steht, will wieder Sklaven unter sich sehen. Die Fürsten der Kirche sollten auch als Deutsche fest in ihren Rechten stehen.

Mein Herz schlägt fürs allgemeine Glück, hoch für die Ehre des Vaterlandes – aber an[50] ein geliebtes Bild sind seine tiefsten und zartesten Regungen gebunden. Möge Er hoch und herrlich stehen vor Allen! Könnt' ich an seiner Seite stehen! alle Gefühle des großen Herzens, in den stärkeren Schlägen des meinen empfinden! Ja, ich fühle den Muth in mir, an seiner Seite zu fechten, den Tod von der edlen Brust abzuhalten, und so zu sterben – wie glücklich, wie seelig!

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Caroline von Wolzogen: Erzählungen. 2 Bände, Band 2, Stuttgart und Tübingen 1826, S. 48-51.
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