19. Ottomar an Anna

[82] Muß denn das kalte Schweigen des Todes gerade gegen die das Herz fesseln, wo es in der reinsten heiligsten Gluth einst reden durfte?

Nur vom Glücke dieses Gefühls bin ich[82] fürs Erdenleben getrennt, aber ewig ist seine Dauer.

Nicht mehr als die Göttin meines Lebens sollst Du, holde Anna, vor mir stehen. Nicht mehr um Dein Bild in mir, ranken sich alle Blüthen des Glücks, alle Gedanken, alle Träume, alle Thaten, alle Wünsche. Im heiligen Augenblick, der mich dem Uebersinnlichen weihte, im Gelübde der Entsagung des schönsten Erdenglücks an Deiner Hand, in Deinem Herzen, mußte ich alle Wünsche beschwichtigen. Aber geheiligt ward eine Liebe, die über dieses Daseyn hinausgeht – Nimmer kann, noch soll ich dieser entsagen.

Die Liebe Deiner Seele, des himmlischreinen Gemüths, das mich mit seinem Himmelsglanz durchstrebte, zu einem neuen Leben umgoß, diese wird mich selbst würdiger machen, das Göttliche auf Erden zu verwalten. Allen Schmerz der Sehnsucht bringe ich zum Opfer dar, das der Ewige segnen wird.

Als mir die Sinne beinah entgingen, der[83] Tod mein Herz durchzuckte, im Gefühl der Trennung von Dir am Altar – da schwebtest Du mir als ein Engel des Friedens vor, der mich über die Kluft des Erdenlebens hinüber trug, und drüben als Lichtglanz mit ewiger Liebe umfing, am Throne dessen, der in Licht und Liebe ewig wirkt und waltet.

Mein Auge fiel auf Dich, als ich nach abgelegtem Gelübde mich wieder ins Leben wendete; Du warst das erste, was ich erblickte. Gott! und wie? Du wanktest in Todtenblässe am Arm Deiner Mutter aus der Kirche. Da ergriff mich der unaussprechliche zerreißende Schmerz, der die Banden des Lebens zu zerstören begann. Bleich waren die holden Wangen, die frische Rosen umblühten, gesenkt das Auge, das Freud und Leben um sich sprühte! Ach, ich darf Dirs sagen, denn nur in der Wahrheit, die reinen Geistern gebührt, müssen wir uns fortan begegnen; selbst alle Hüllen zärterer Gefühle, in denen glückliche Liebe wie in ihrem eignen Element ihre Blüthengestalten[84] webt, müssen weichen. Dem Unglück wie der Ewigkeit gebührt nur schleierlose Wahrheit. Ja, ich darfs Dir sagen, ich sah Dich liebend und leidend, und fühlte den Dolch, den ich Unseliger in Deine zarte Brust gestoßen, tausendfach in der meinen wühlen.

Ohne mich, ohne die unselige Schwachheit, in der ich Ihr in zweifelnder Lage meine Liebe aussprechen durfte, ginge Sie wie die Göttin der Jugend unter ihren Gespielen einher, und nun fällt ihr gesenkter Blick auf den Kummer ihres Herzens hernieder, hält mich für einen Schwachen, einen Falschen.

Eine tödtliche Krankheit raubte mir bald die Besinnung. Der Pfeil des Todes war abgedrückt auf unsre Herzen. Dich sah ich Jenseits in meinen Fieberträumen, rief Dich an als eine Heilige. In den bewußtvollen Augenblicken jener Tage freute ich mich, daß die Gluth des Lebens in meiner Brust erlosch, daß die Kraft der Jugend aus Nerven und Adern schwand, und daß kein Eid mehr zwischen den[85] Gedanken und dem Sehnen nach Dir, das kalte Herz im Grabe fesseln würde. Du würdest über dem Grabe dessen weinen, den Du im Leben verstoßen mußtest. Süße Gedanken! Quell des reichsten Trostes! er hielt mich ab von den Gränzen des Wahnsinns.

Ich sollte die Luft der Erde noch ferner athmen. Als ein Genesender gehe ich auf dem grünen Teppich der Wiesen, unter den Blumen des Gartens einher. Die Freundlichkeit der Natur eröfnet mein erkaltetes Herz nicht. Das heilige Licht umleuchtet uns, der silberne Strahl des Mondes umschimmert noch unsre irdischen Gestalten wie damals – damals, als ich im Gefühl des Neigen Deines Herzens zu dem meinen, unüberschwengliche Seligkeit im Busen trug.

Bin ich noch dasselbe Wesen? frage ich mich oft schaudernd, und lege die Hand an das zitternde Herz, das die Hand des Todes kaum los ließ.

Als ein Schatten komme ich mir vor, den[86] nichts mehr angeht, der spurlos über die Erde hinschwebt.

Dann stehst Du als ein seliger Geist vor mir, der mir neues Leben gibt.

Ja, ich darf Dich lieben – der Geist ist über die Gebrechen und Leiden sinnlicher Natur erhoben – alle Wünsche schweigen.

Warum solltest Du mir nicht das Theuerste aller Wesen bleiben? das ich umgebe mit liebender Sorge, für das ich zuerst den ewigen Segen des Himmels am Altar erflehe, dessen ich immer rührend gedenke, dem ich gefallen will in allen Thaten der Liebe, mit denen es der Vorsehung gefallen kann, meine Schmerzenstage zu versüßen? In allen Thaten des Muthes für Ehre und Recht, wirst Du Dich erfreuen, daß Dein Herz für keinen ganz Unwürdigen schlug. Verdammen kann der, der die ewige Wahrheit ist, diesen Zug meines Herzens nicht. Die Großen und Weisesten unter den Alten sahen die Liebe an, als die Bildnerin[87] zur Tugend, als den belebenden Hauch der Gottheit in der menschlichen Brust.

Hoher Plato, Vorläufer der göttlichen Lehre unsres Herrn, sagst Du nicht, daß in der Liebe die Flügel der Psyche wachsen, um sich zum Himmel zu schwingen? Kannte nicht selbst der Welterlöser zarte Bande der Liebe und Freundschaft, beweinte er nicht die Leiden der Seinen?

Nein, meine Beste, nur starrer Menschenwahn oder klügelnder Verstand, der es rathsam fand, gemeine Naturen in strenge Bande zu schmieden, deren edlere nicht bedürfen, konnten eine heilige zarte Liebe verdammen. Nur das irdische Glück liegt in Fesseln für uns. Ach es war ein schönes Gewölk, auch vom Strahl des Himmels angeglänzt! aber den ewig blauen reinen Aether des Geistes kann nichts trüben, immer steht er rein über allen Wolkenbildern, die Erdenluft erzeugt.

Daß du mir das beste liebenswürdigste Wesen bist, welche Macht kann mir dieses Gefühl entreißen? Das Herz, das sich blutend von Dir[88] riß, im Schmerz, der all seine Adern zerriß, wird sinniger und fühlbarer gegen die ganze Natur werden, inniger und zärter werde ich jedes Leiden verstehen. Im letzten Seufzer des Sterbenden, der unter der Bürde des Lebens verschmachtet, werde ich den Trost des Glaubens an eine ewige Liebe kräftiger aussprechen. Der verlassene, zweifelnde Einsame wird einen wärmern Freund an mir finden. Welches Opfer kann mir zu schwer seyn nach dem, das ich dargebracht habe? In Gott, im Gefühl der Schönheit, im Ueben der Tugend, laß unsre Herzen eins bleiben, meine Geliebte, Engel des Himmels, meine Anna!

Ich wage nicht Deinen Lebensweg zu bezeichnen, noch mir ihn klar zu denken. Mögest Du den erwählen, der Dich am leichtesten über den Schmerz erhebt, den ich Unglücklicher als ein feindseliger Dämon in die Harmonie Deines Lebens warf. Sind Deine Tage heiter, so werde ich die Bürde meiner Erdentage ertragen.[89]

O dürft' ich bitten, laß sie voll meines Andenkens seyn! ich darf es nicht, alle Eigensucht sey mir fern.

Aber wenn Du mein gedenkst, so sey es verzeihend, duldend, schonend, wie es Deine himmlische Natur Dich lehrt.

Mein edler und weiser Oheim, der Dir diese Zeilen übergeben wird, will mich mit der Zeit trösten; sie kann, sie soll mich nicht trösten, denn außer ihrem Gesetz ist, was ich verloren. Als ein Forscher der Herzen und ihrer Gefühle billigt er, daß ich nicht schweige, sagt, daß offne Rede dem Menschen gegeben sey, die verschwiegenen Leiden, allen Irrthum seiner Natur zu erhellen. Möchtest Du ihn Deines Vertrauens werth finden!

Ruhig und klar steht er in der Welt, legt das Maaß seines Verstandes an ihre Gestalten, achtet keine gering, und versucht immer, sie an ihren rechten Platz zu stellen. Die Tiefen des Herzens ermißt er dennoch nicht.[90]

Er hat diese Zeilen nicht gesehen, kein menschliches Auge hat sie gesehen.

Würdigt mich meine Anna eines Wortes, so wird es auch nur in und an meinem Herzen ruhen.

Keinen Richter, als das Auge des Ewigen, erkenne ich über meiner Liebe. Diese innre Freiheit kann mir kein Eid rauben. Meine Thaten gehören der Kirche, ich hoffe ihr kein unwürdiges Mitglied zu werden, eben da ich die Freiheit im Göttlichen in mir trage. Auf die Demuth, die der Welterlöser predigte, führen mich Schwachheit und Mängel in mir, immerwährend zurück.

Er führe uns zu dem Frieden, den ich noch nicht begreife – vom Himmel wird er kommen, das sagt er ja selbst, daß er höher als alle Vernunft sey! Das liebste Kind des Himmels, meine Anna, ruhe sanft unendlicher Liebe im Schoos![91]

Quelle:
Caroline von Wolzogen: Erzählungen. 2 Bände, Band 2, Stuttgart und Tübingen 1826, S. 82-92.
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