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[95] Mein Herz ist gestärkt, meine Bertha, seit es sich gegen den Geliebten ausgesprochen. Der dunkle einförmige Grund der Sehnsucht ist gebrochen – so erhellt die wetterleuchtende Wolke die dunkle Nacht.

Wenige Tage, nachdem Ottomar meinen Brief durch den Bischof erhalten, kam dieser mit einer Antwort an mich zurück, in Begleitung seines jüngern Neffen, eines liebenswürdigen Jünglings, dessen Aehnlichkeit mit dem Bruder mich tief bewegte.

Vielleicht ist er schöner wie Ottomar zu nennen, zärter gebildet, aber es fehlt ihm der Ausdruck hoher Männlichkeit, der so gewaltsam[95] zu jenem hinzieht. Mein Vater und meine Mutter sahen vergnügt aus. Ich blieb oft allein mit dem Jüngling; wir waren in einem Garten am Rhein, und sein sanftes Gespräch that meinem Herzen wohl. Die Aehnlichkeit in Ton und Mundart mit Ottomar entzückte mich, ob sie auch alle Laute unaussprechlichen Sehnens erregte. Beim Abschied sagte er mir mit geheimnißvollem Wesen und feuchtem Blick: O hätte ich durch das Opfer meines Lebens Ottomars Glück gründen können! Sehen Sie mich an, als ihm und Ihnen ganz angehörig, ob Sie mich gleich seit wenig Augenblicken erst kennen. Das Edle und Schöne dringt schnell und allbesiegend in ein offnes Herz. Ottomar war von Kindheit an meine innigste Liebe, seine edle Seele mein Vorbild, der Leitstern zu allem Guten für mich.

Meinem eignen Gefühl jetzt eine Stimme zu gestatten, wäre unzart, unedel. Meine Hand lag auf einem Rosenbusch, er nahm die Rose, die meine Finger berührten, barg sie in seinem[96] Busen, und sagte, mit einem Blick voll Milde und Güte: für ihn!

Die Eltern und der Bischof waren sehr freundlich, als wir zu ihnen in den Gartensaal traten, und sahen sich unter einander lächelnd an.

Wie erfreut mich jeder Strahl der Heiterkeit auf dem lieben Angesicht der Meinen!

Ich muß heiter ausgesehn haben, denn der Bischof nahm meine Hand und sagte: kehre Dich wieder nach dem Licht, Du holde Blume, und erfreue uns alle mit Deinem Reiz.

Ich ging sogleich folgenden Brief Ottomars zu lesen:

Quelle:
Caroline von Wolzogen: Erzählungen. 2 Bände, Band 2, Stuttgart und Tübingen 1826, S. 95-97.
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