28. Ottomar an Anna

[115] Dein Entschluß, geliebte Schwester, denn so kann ich Dich auch jetzt nennen, die Du wie[115] ich, der Welt und der Freude entsagtest, die sie gewähren kann, hat mich verwundert, betrübt.

Aber läugnen kann ichs nicht, inniger ist nun meine Sorge für Dich. Du bist mir das Wesen auf Erden, das mir zunächst steht, an das heilige Treue der Pflicht mich bindet, dem alle Sorgfalt, aller Trost gebührt, denn allem Andern entsagtest Du, Dich dem Andenken eines Unglücklichen zu weihen. Ehre und Liebe geboten mir, Dich vor den Gefahren Deines Entschlusses zu warnen, Dir einen Lebensweg anzudeuten, der in der Wahrheit der Natur liegt, durch den würdigen Gegenstand Dein Herz dereinst befriedigen konnte. Dein reiner großer Sinn verwirft ihn – Nun so laß uns im Geiste vereint ringen nach den Palmen himmlischer Freiheit, unter denen unsre treue schuldlose Liebe dereinst wandeln wird in unverwelklicher Blüthe.

Schnell rinnt das Leben dahin, wenn auch der Schmerz seiner einzelnen Tage uns lang und[116] ermüdend dünkt. Als eine Rauchsäule, die in die Wolken steigt, als ein Schatten, der schnell und spurlos über die Erde fliegt, scheint es dem matten Greis; aber wer Ewiges in der Brust trägt, dem geht die Ewigkeit auf. Der Geist sucht den ewigen Geist. Ja, die Liebe lehrt hoffen auf eine Fülle des Seyns und der Liebe jenseits – als ein schöner ahnungsvoller Traum erschien sie uns hier.

Du wandelst still den Pfad der Pflicht. Die Blüthe der Tugend und Schönheit in jungen Seelen zu pflegen, ist ein sanftes Loos. Wachsen und Werden sehen, erfrischt den Lebensquell der eignen Brust. Wenn die Blumen und Blüthen des Frühlings sich entfalten, ruft uns die Stimme des Allliebenden zu: verzage nicht Du armes mattes Herz, auch Dein Leben trage ich wie das Leben der Erde, werde es erfrischen zu seiner Zeit, im ewigen Frühling.

Im Aufblühen junger Menschenherzen um Dich, wirst Du das noch schöner und tiefer fühlen.[117]

Durch Erregen der Geister zur Kraft der Wahrheit, durch Läutern der Herzen zum Glauben, erhebe auch ich mich aus der Nacht des Grams und der Sehnsucht. Ich suche die Wahrheit, ich höre auf die Stimme vergangener Jahrhunderte; die Weisesten, Besten aller Zeiten, sammle ich um mich her – aber nur aus reinem stillen Herzen entspringt der lebendige Quell der Ueberzeugung vom Göttlichen – dieses erflehe ich in Demuth und Ergebung.

Ich fasse mich, halte mich, indem ich Dir, Theuerste, diese Zeilen schreibe – möchte Dir nicht bedürftig und schwach erscheinen, da Du selbst mich würdigst, Dir ein Lehrer, ein Tröster zu seyn.

Was ich wünsche, ist, daß der Vater im Himmel mich auserlesen möchte, als ein Opfer für den Glauben, für sein ewiges Wort an die Menschheit, zu fallen. Beginnt der Zug gegen die Türken, den der heilige Vater in Rom will, der neue Kaiser verspricht, so folge ich Deinem Vater nach dem Orient. Treu will ich ihn umgeben[118] in Gefahr und Tod. Er soll in mir den Sohn finden, da ich ihm die Tochter entriß. Verzeihung, ewige Liebe, soll mein letztes Wort seyn, für ihn, für Dich!

Quelle:
Caroline von Wolzogen: Erzählungen. 2 Bände, Band 2, Stuttgart und Tübingen 1826, S. 115-119.
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