31

[125] Gute Geister umschweben die Stunden, wo ich durch Wald und Fluren schweife, wenn ich auch Anfangs nur ins Weite will, um mich[125] selbst los zu werden. Ein wahrer Priester sollte der Regent des Landes seyn, Walther. Du wirst lächeln, daß mich die Plane des Oheims anstecken. Nein, mein lebendiges Gefühl umfaßte von jeher die Zustände der Menschen, und mein Verstand beschwichtigt es mit Ansichten der möglichen Verbesserungen.

Jeder Hütte möcht' ich Segen und Frieden bringen, und die traurige Sorge und Armuth verscheuchen. Oft erzeugt durch manche unsinnige Einrichtung, die Niemanden frommt, sehe ich diese dann im Geist, durch reinen Willen und klaren Ueberblick der Verhältnisse aufgehoben. Eine Stimme des Segens soll unser Glaube seyn den Schwachen und Armen. Einverstanden mit meinem Wirken, denn eine magische Kraft traue ich den wahrhaft Guten zu, sollten alle tüchtigen Menschen einsehen, daß Regieren nur Uebles verhüten heißt, schonendes Abwenden der nothwendigen Uebel, nicht ein Gebrauch aller Kräfte zu eignen Zwecken.

Wie gut müßten die Menschen werden, sähen[126] sie den Regenten in seiner wahren Haltung gegen sie; auch empfindlich für das Große und Schöne, dessen Freude ihr gemeinsamer Antheil wäre. Nur die Verschwendung des Stolzes empört den, der die Früchte seines Fleißes ihm opfern muß. Ein fruchtbringender Baum, wo labender Schatten für den von Arbeit in der Schwüle des Tages Ermüdeten, und Ruhe für die Schwäche des Alters wohnt, müßte der Herrscher erscheinen, nicht als der Dornstrauch, ein Apolog des Propheten. Hoffnungsvoll ginge der Bauer hinter seinem Pflug, muthig der Krieger zum Schlachtfeld, ein Vaterland zu vertheidigen, das er achtet und liebt, und den heimathlichen Heerd, an dem sich die Seinen oft zu einfachem Genusse versammeln.

Oft halte ich bei meinen Wanderungen in einer einsamen Hütte an, und gehe ein in das Leben des Volkes, höre von seinen Bedürfnissen, seinen Freuden und Leiden. Gestern Abend saß ich bei einer Mutter unter ihren Kindern und genoß eine freundlich dargebrachte Schaale[127] Milch. Auf einmal ertönte ein Freuderuf unter den Kindern, die auf der kleinen Wiese vor dem Hause spielten: der Vater kommt! – Er kam, ein stattlicher Mann, noch kräftig nach des Tages Arbeit, und die Seinen drängten sich um ihn mit Liebkosungen, und waren bemüht ihm Ruhe und Erfrischung zu bereiten. O ich Einsamer! ich ritt nach Hause, und die Bilder des einfachen süßen Glücks standen vor meiner Einbildungskraft, überglänzten die geschmückten Zimmer des reichverzierten Hauses. Ihr Bild stand vor mir und wollte nicht weichen.

Ein unglückliches Gespräch über ein neues Staatsbedürfniß, und einer neuen Last auf das Volk, brachte mich vollends von Sinnen.

Wird mein Wille jemals entscheidend seyn, meine Stimme geltend, so gelobte ich mirs selbst: sie rede für das stille Glück der Hütten! In den Gedanken schlief ich endlich ein, und die Holde erschien mir lächelnd im Traum.[128]

Quelle:
Caroline von Wolzogen: Erzählungen. 2 Bände, Band 2, Stuttgart und Tübingen 1826, S. 125-129.
Lizenz:
Kategorien: