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[131] Ich habe sie gesehen, ich konnte es so nicht länger aushalten. Wär' es Sünde? Nein, ihr reines Himmelsbild steht weit über der Leidenschaft, die es mit irdischen Wünschen vermengen könnte.

Ihr unbewußt, habe ich sie gesehen, denn in den Frieden ihrer Seele will ich nicht ferner frevelnd greifen – ich Unseliger, der ihn zerstörte!

Es war ein Fest in der Kirche des Klosters, zu dem das Volk weit herkam. Von meinem[131] guten Mann der einsamen Hütte, wo ich durch öftern Besuch heimisch geworden bin, lieh ich einen groben Bauerkittel, der mich verbarg. In der Morgendämmerung stieg ich den einsamen Gebirgspfad hinauf. Wie hoch schlug mein Herz, als ich mich ihrem Wohnplatz näherte! Wiesen und Bäume schienen mir als von überirdischem Licht umglänzt – ihre Augen hatten darauf geruht.

Schon füllte ein Gedräng von Menschen die Kirche, vom vergitterten Chor erscholl der einfach schöne Gruß an die Himmelskönigin.

Kannst Du es fühlen wie mir wurde, als ich in einer Soloparthie ihre Stimme vernahm? Süß und unendlich sanft waren ihre Laute, aber schmerzlich, wie die Stimme des Leidens aus einer ermatteten Brust.

Ich drängte mich auf einen Platz dem Chor gegen über, sah wie die Augen der frommen Kinder sich unter dem weißen Schleier aufschlugen, und durch das Gitter zu schauen strebten. Eine hohe schlanke Gestalt erhob sich jetzt unter[132] ihnen, ich zweifelte, bebte, hinter dem überschatteten Gitter schwankten die Umrisse, ich konnte sie nicht festhalten. Jetzt schlug ihr himmelblaues Auge sich auf durch eine Kluft des Gitters, und ein Himmelsglanz zitterte durch meine Brust.

Ihr Blick traf auf mich – O Magie der Liebe – er traf auf mich, ich täuschte mich nicht! Wie der Blitzstrahl die nächtliche Gegend erhellt, fiel sein Licht auf mich herab; es war nur ein Moment, aber sein Glanz, seine Seligkeit blieb in meiner Brust. Wie die ersten Blicke, die wir auch an heiliger Stätte wechselten, wo sie mit schuldlosem sanften Gefallen auf mich schaute, wo wir Seele. um Seele tauschten – so war es auch jetzt – nur lag eine schreckliche Kluft zwischen uns – das ging als ein zuckendes Schwerdt durch mein Innres.

Ja, die Liebenden gehören sich an, ohngeachtet aller Schranken des äußern und innern Lebens, werden sich ewig angehören; wie es[133] auch seyn und kommen mag, sie schaffen sich eine neue Welt.

Vergebens suchte ich einen zweiten Blick, stand wie ein Gebannter nach dem Gitter gewendet – es wurde mir keiner.

Geleitet durch jenen geheimnißvollen Zug, der in leidenschaftlichen Augenblicken unsre Kräfte, unsern Scharfsinn verdoppelt, hatte ich schnell die ganze Lage des Gebäudes, seine innern Gänge erforscht. Ich eilte hinaus aus der Kirche, schlich mich am Gemäuer hin, das mein beßres Leben umschloß. Ein hohes Fenster mit eisernem Gitter erstieg ich am schwanken Spalier, das Bäume und Hecken stützte, mich hinter ihnen verbergend. Richtig hatte ich den langen Gang ausgefunden, über den die Nonnen ins Innre des Klosters zurückgingen. Sie erschien unter den Schwestern, still und langsam wandelnd, mit gesenktem Blick auf ihren Rosenkranz. Gott! wie verändert ist das holde Geschöpf! Bleich und welk sind die Wangen, wo frisches rosiges Jugendleben blühte, blaß die[134] zarten Lippen, die sich im stillen Gebet bewegten, und die kleine schöne Hand, wie eingefallen und mager! Eben ließ sie ein Kügelchen an ihrem Rosenkranz fallen, als mein Blick senkrecht auf sie niederfiel. Wundersam muß ich glauben, daß sie ihn gefühlt hat, denn eine leichte Röthe flog über die bleiche Stirn; sie sah sich um, als vernähme sie einen Ruf, faltete sich aber schnell wieder in ihr Innres zurück, betete heißer, als wollte sie einer zudringenden Erscheinung entfliehen. Walther, sie welkt dahin – wird in Kurzem ein Raub des Todes! und ich – ich – habe dieß sanfte hohe Herz gebrochen. Schöner Engel, Du verzeihst mir, ahnest in Deiner himmlisch reinen Unschuld nicht einmal woher Dir der Todesstoß kam. – Aber kann ich mir selbst je verzeihen – nicht Erd' und Himmel bewegen zu ihrer Rettung – muß ich in stummer Verzweiflung untergehen?

Wenn ich mir denke, wie Alles anders seyn könnte, beiße ich knirschend wie ein Gefangener in seine Ketten.[135]

Selbst der Mutter frommer Segensblick, die ihren geliebten Sohn auf dem Pfade des Himmels wähnt, spricht keinen Trost in die versengte öde Brust. Im scharfen Kampf, auf blutigem Schlachtfeld den Tod zu suchen – mir ist's, als könnte mirs dabei leichter werden. Möchte der Zug gegen die Türken endlich gelingen – sie würde weinen, aber ihr frommer Glaube mich nicht tadeln.

Sie hat mir nicht wieder geschrieben, wie es selbst der Bischof zu unserm Trost genehmigte. Wähnt sie unsre Schmerzen zu vermehren?

Mein Gefühl darf jetzt keine Worte für Sie suchen – es ist zerstörend, vernichtend.

Könnt ich für Sie sterben!

Quelle:
Caroline von Wolzogen: Erzählungen. 2 Bände, Band 2, Stuttgart und Tübingen 1826, S. 131-136.
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