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[158] Wir landeten an einem kleinen Städtchen des entgegen liegenden Ufers. Ottomar hielt es nicht sicher vor feindlichem Ueberfall, und verlangte nach einem entfernten Landungsort zu steuern. Aber seine zunehmende Schwäche gebot eilig Hülfe zu suchen; er gab unsern Bitten nach.

In einer Hütte bei guten Leuten fanden wir ein Obdach. Ein Wundarzt kam herbei, er fand die Wunde bedenklich, doch nicht tödtlich.

Die Mutter sagt selbst, wir dürfen ihn nicht verlassen. – Nie, nie würde ich es auch vermocht haben, für Welt und Himmel nicht.

Mancherlei Menschen umgeben uns, denen nicht recht zu trauen ist. Seine Rüstung verrieth den Ritter, aber ein guter Mensch, obgleich[158] ein Anhänger Luthers, ein Protestant, der Gewalt über das Volk hat, ward schnell unser Freund, und hat uns in seinen Schutz genommen.

Er verläßt Ottomar nicht. Seine Liebe für ihn gewinnt ihm mein Herz, auch die Mutter versöhnt sein treuer Antheil, sie duldet seine Reden über Gegenstände der Glaubenslehre, ob sie ihr auch unheilig dünken.

Durch einen sichern Boten habe ich Nachricht von der Mutter; ihre Sorge um mich bei Bestürmung des Klosters wurde früher durch Ottomar beschwichtigt; sie vertraute seinem Versprechen, mich zu retten, was er ihr vom Bauernheer zuzusenden vermochte. Sie segnet ihn tausendfältig. Der Vater ist beim Heer des schwäbischen Bundes, wird auch durch sie über sein Kind getröstet werden.

Ottomars Zustand bessert sich, seiner Heilung sind wir gewiß, aber große Schonung und Sorgfalt bedarf er, um einen neuen Aufbruch der Wunden, der tödtlich werden könnte, zu verhüten.[159] Sanft und gefällig nimmt er meine und der Mutter Dienste jetzt an, ja ich fühle, daß sie sein Herz erfreuen.

Wie schön ist das Leben, meine Bertha, das ihm geweihte! In seiner Gegenwart umdringt es in all' seiner Wahrheit mein Herz mit noch nie gefühlter Zufriedenheit. Wenn alle lieben Wünsche und Träume in lebendige Gestalten sich umwandeln, sich lösen vom unendlichen blauen Grunde der einförmigen Sehnsucht, in frischen Farben von der Sonne der Liebe umglänzt – dann ist es erst Leben zu nennen.

Um uns zu verbergen, mußten wir sogleich unsre Klosterkleidung ablegen. Die Mutter nahm das Gewand einer alten Bürgerin, unsrer Hausfrau, an. Ich habe mir die Kleidung eines artigen Bürgermädchens verschafft.

Als Novize besitze ich meine Haare noch, und sie umgeben meinen Kopf in Flechten, durch eine goldne Nadel gefesselt. Ich trage ein blaues Leibchen über feines Linnen, das Hals und Ermel umkräußelt, durch goldne Kettleins zusammengeschnürt,[160] einen langen faltigen Rock und weiße Schürze. So besorge ich die Geschäfte des Hauses, und als ich Ottomar zum erstenmal das Mittagsessen brachte, sah er mich recht lieb und freundlich an. Ich mußte ihm den Teller nah halten, um daß keine Bewegung ihn aus der ruhigen Lage brächte, und mich an sein Bett setzen.

Sanft legte er die matte Hand auf mein Haupt und sagte: wie freut es mich, meine holde Anna noch im schönen Schmuck der Jugend zu sehen!

Nur noch kurze Zeit, sagte die Mutter, und die blonden Flechten wären am Altar der Einkleidung gefallen. Ich fühlte ein Zucken in seiner Hand, die sich von meinem Haupte aufhob. Wie lieb war es mir in diesem Moment seiner Freude an mir, daß ich im Gehorsam gegen meinen Vater die Novitzenzeit verlängerte, mein ungeduldiges Herz bändigte, das sich so rasch der Entscheidung meines Schicksals entgegendrängte! Auch scheinen mir die Rosen der Wangen zurückgekehrt (ich war erhitzt, da ich beim Feuer[161] gestanden) sagte er, mich mit lieben forschenden Blicken anschauend. Als ich sie hinter der Gartenmauer, im Garten bei den kleinen Mädchen sah, waren sie bleich, ich fürchtete, die zarte Knospe des Lebens sey gebrochen. – Wie, ihr habt mich gesehen, edler Herr? fragte ich verwundert. Er nickte, und fuhr fort: die Abendsonne umgoldete die Pfirstchblüthen, und mild und lehrreich waren Eure Warnungen an den scheidenden Zögling! Ich fühlte, wie all' mein Blut in die Wangen drang, legte den Finger auf den Mund, um ihm Schweigen zu gebieten, nach der Verordnung des Wundarztes.

Er hat mich gesehen, Bertha! so war es keine Täuschung, da ich wundersam seine Nähe fühlte an jenem Abend!

Quelle:
Caroline von Wolzogen: Erzählungen. 2 Bände, Band 2, Stuttgart und Tübingen 1826, S. 158-162.
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