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[148] O Bertha! welche Tage des grauenvollen Entsetzens, des Schreckens, liegen zwischen meinen letzten Zeilen an Dich! Welchen Strahl des Himmels senkte der Allgütige in dieser dunkeln Nacht auf mich herab. Wir wurden gerettet durch Ihn! Ottomar war sichtlich mein Hülfsengel – Und jetzt! – es trennt mich nur eine dünne Wand von seinem Zimmer. Er lebt, er athmet neben mir, schwer verwundet, doch darf ich seine Genesung hoffen. Mir, mir gab Gott den Trost, seine Pflegerin zu seyn, ja es ist meine Pflicht, das von ihm geschenkte Leben auch ihm zu weihen – Ihm, von dem ich mich für diese Welt getrennt glauben mußte!

Ich will suchen, Dir die Begebenheiten klar darzustellen, wie ich sie aus seinen Erzählungen, aus den mich umdrängenden Gerüchten zusammen zu reihen vermag.

Die Kunde des Aufruhrs in Schwaben drang zu uns, aber verworren waren die Gerüchte, es[148] schien uns, als vergrößere die Furcht das Uebel. Bald hörten wir aber die verübten großen Thaten des verirrten Volkes, die sich uns näher zutrugen, zugleich, daß das Heer des Bundes gegen die Empörer vordrang, und wir blieben furchtlos in unserm stillen Thal, keine nahe Gefahr ahnend, bis uns das Netz des Verderbens überzog. Warnende Boten sandten uns die Freunde, aber unsre ehrwürdige Mutter wollte nicht von dem ihr anvertrauten Platz weichen, bis zur dringendsten Noth. Wir sendeten unsre Zöglinge ihren Familien zu, und in stiller Ergebenheit harrten wir des Entschlusses der frommen Mutter, und folgten ihrem Willen. Botschaft vom Herannahen unsres Heeres machte uns sicher. Wir saßen vereint im traulichen Gespräch, als die Pförtnerin hereinstürzte und verkündete, daß man ein wildes Getöse im Thal vernähme, das uns immer näher zu kommen scheine. Wir stiegen auf den Thurm, und erkannten in der Abenddämmerung ein anziehendes Heer. Sind es die Unsern? ist es das[149] Bundesheer, fragten die Schwestern ängstlich? Keine Kriegsmusik ertönte, keinen geordneten Haufen erkannten wir, nur ein wildes Toben und durcheinander Schwärmen. Die Finsterniß der Nacht umzog das Thal immer tiefer, und verhüllte uns die Gegenstände, aber das wilde Getös drang immer lauter an unser Ohr, und in der Ferne sahen wir ein Dorf in Flammen aufgehen. Es ist das Bauernheer, sagte mir die Aebtissin leise. Komm, folge mir zur Kirche, laß uns unsre Heiligthümer retten, und dann mit den Schwestern in den nahen Wald entfliehen – Gott wird uns leiten und schützen. Wir eilten zur Kirche, die an der entgegengesetzten Seite lag. An der Klosterpforte entstand der fürchterlichste Lärm, ein Gebrüll der rauhesten Stimmen, mit höhnendem grassem Gelächter, tönte an unser Ohr, vor dem das Herz erzitterte. Flammen schlugen um die Kirchenfenster, und wir wollten uns in eine Seitenkapelle retten, als die Kirchenthür aufsprang, und ein wilder Haufen hereindrang. Die lodernden Flammen[150] erleuchteten diese Schreckensgestalten der Hölle, Wuth und Frechheit lag auf den grassen Gesichtern. Die Mutter und ich hielten uns in tödtender Angst umfaßt.

Haltet ein! rief eine helltönende Stimme zur Kirchenthür herein. Der ist des Todes von meiner Hand, der die heiligen Jungfrauen berührt! Bertha, es war Ottomars Stimme – die geliebte Stimme war es, die uns Rettung verhieß. Du fühlst mein freudiges Erstaunen. Im hellen Schein der Flamme sah ich sein Antlitz, gleich dem Kriegsgott, leuchtend in Zorn und allbezwingender Macht, unter einem Helm. Nur ein Bauernkittel umgab seine hohe Gestalt.

Durch die Zaubermacht seines Wortes gebändigt war Aller Wildheit um uns her. Er nahm mich und die Mutter in seine Arme, und führte uns durch den wüthenden Haufen.

Immer neue Schreckensgestalten drangen durch das Klosterthor ein; er zog uns in einen Kreuzgang und sagte: Euch und das Fräulein[151] vermag ich zu schützen, ehrwürdige Frau, nicht das Haus zu retten, das die Beute der Barbaren werden wird. Ich führe Euch durch die kleine Pforte hinweg. Wir fanden sie offen, die Schwestern hatten sich dahin geflüchtet, erwartend was aus uns geworden sey. Alle entflohen auf Ottomars Wort durch den Garten. Er hielt mich fest umfaßt. Schrecken und Freude wogten durch meine Brust, mein Herz schlug hoch an seiner Seite. Meine Anna, sey ruhig! sagte er mit sanftem Himmelston, keine Gewalt kann Dich von meiner Seite reißen, auch die Deinen sind gerettet, fürchte nichts mehr.

Das Leben drohte aus meiner Brust zu entfliehen, im Widerstreit all dieser Gefühle. Er faßte mich Bebende auf seinen Arm, der Ohnmacht nahe, umschloß der meine seinen Hals. Die Mutter folgte, und bald waren wir in dem nahen Wald, wo er mich in einer Köhlerhütte sanft niederlegte, und mir einen Moment zu ruhen gebot. Die Schwestern versammelten sich um uns, alle waren glücklich entkommen. Auf[152] seinen Ruf kamen seine Leute, und führten ihm zwei Pferde zu. Nicht alle dürften wir dieselbe Straße ziehen, sagte er, unten am Rhein lägen zwei Schiffe bereit, uns überzuführen. Nun ordnete er den Zug. Er übergab die Schwestern zwei sichern Führern, sprach Allen Trost und Muth ein; der Bergesschluchten und aller Pfade wohl kundig, bezeichnete er jedem seinen Weg aufs genaueste. Als einen Engel, zu unsrer Rettung gesandt, dankten ihm alle, und gehorchten vertrauend seinen Worten. Einem Diener gab er die Mutter aufs Pferd, mich nahm er in seinen Arm auf das seine.

Als wir auf die Anhöhe kamen, sahen wir unsre Wohnung des Friedens in Flammen stehen; sie beleuchtete unsern Pfad im Dunkel der Nacht.

Halt, Verräther! schallte es aus dem Dickicht des Waldes, dicht neben uns, du bist ein verkappter Ritter, jetzt kennen wir Dich. – Blanke Schwerdter blitzten durch die Nacht. Elende, rief Ottomar, hab' ich mich Euch zu Mord und[153] Brand vereint, zu wilder Wuth gegen hülflose Weiber? Zu dem, worin ihr Recht habt, zum Frieden wollte ich Euch führen, zum Throne des Kaisers als Reuige – nicht um Verbrechen auf Verbrechen zu häufen.

Die Schwerdter zuckten um uns. Er stieg vom Roß, befahl mir, mich zu halten, die Zügel dem Pferd zu lassen, es würde mich den Waldpfad sicher hinab tragen. In seiner Gefahr war all mein Muth wiedergekehrt. Nie wußte ich ein Schwerdt zu heben. Ich fühlte die Kraft in meinem Arm es zu führen. Ich nahm den Zügel des Pferdes, das die Mutter trug, und war entschlossen nicht von der Stelle zu weichen. Ottomar vertheidigte sich gegen drei Angreifende. Bald lagen zwei zu Boden gestreckt. Auch durch den Diener fiel einer, und die übrigen entflohen. Es ist vorbei, sagte er zu mir zurückkehrend. Wie ist Dir, meine Anna? Mit Hülfe des Dieners bestieg er das Roß, seine Stimme war matt, ich fühlte seine Kleider naß vom entrinnenden Blut.[154]

Ihr seyd verwundet! rief ich; nehmt meinen Schleier, edler Herr, bat ich flehend, stopft die Wunde. – Sey ruhig, sagte er sanft, es ist nur leicht, und bald sind wir am Ziel. Ich hielt die Hand mit dem Schleier über die Wunde, sie war dicht am Herzen. Er drückte sie an sich und sagte: O mein Gott! nimmst Du mein Leben von mir, so laß mich sie erst gerettet sehen, und ich sterbe glücklich!

Der Mond war aufgegangen, und in seinem Licht glänzte der Strom vor uns. Der Diener rief nach dem Schiffe. Ich stieg vom Pferd, half ihm mit dem Diener herab, und bat ihn flehentlich, sich zu schonen. Ja, für Dich will ich es, sagte er mild; und an meinem Arm, auf den Diener gestützt, erreichte er das Schiff. Er gebot den Schiffern Eile, die ihm von ihren Geräthschaften einen Sitz bereiteten; an ihrer Leuchte erkannten wir seine Stirn mit der Blässe des Todes umschattet. Er wollte keine Bemühung um sich dulden, und hielt nur meine Hand über der Wunde fest. Dank Dir, Ewiger![155] sagte er, als wir uns in der Mitte des Stroms befanden, Du bist gerettet, holder Engel!

Die Mutter untersuchte nun, da er es gestattete, die Wunde, wir stillten das Blut, wie wir vermochten, und erhielten ihn vor der Ohnmacht durch geistige Mittel, die die Schiffer bei sich führten. Die Mutter und ich hielten wechselnd sein Haupt an unsrer Brust. Mit matter Stimme machte er Anordnungen für uns, und bezeichnete uns einen Ort, wo wir sicher seyn könnten, sich selbst ganz vergessend. Ihr werdet uns erlauben bei Euch zu bleiben, edler Herr, sagte die Mutter aus meinem Herzen, bis wir Euch ohne Unruhe verlassen können. Liebevoll dankend, beugte er sein Haupt. Die Rosse standen dicht neben uns im Schiff. Lebe ich, meine Anna! so soll das Roß, das Dich getragen, gerettet, nie einen andern Herrn haben; wo nicht, so trage Du dafür Sorge.

Thränen erstickten meine Stimme, ich antwortete nur durch einen Druck seiner Hand. Wir hatten ihm den Helm abgenommen, die[156] schönen Locken umwallten sein Haupt, der Mondstrahl fiel durch die Wolken ein, sein Blick war nach den Sternen gerichtet – wie die eines Heiligen, der bald zum glänzenden Engel wird, leuchteten seine Züge.

Wir erfuhren durch den Diener, denn ihm selbst geboten wir Schweigen, daß er auf der Reise zum Bundesheer, den auf die Gegend des Klosters vordringenden Haufen wahrgenommen, kein andres Rettungsmittel gesehen, als sich in einen Bauerkittel zu verhüllen, und den Wüthenden zuzugesellen. Der Hauptmann, von Ottomars hoher Gestalt ergriffen, habe ihn, als einen tüchtigen Gesellen, wie er hoffte, mit Freuden aufgenommen, und nach wenigen Stunden habe er eine Obermacht über den ganzen Haufen. ausgeübt, und gehofft, ihren Plan auf das Kloster abzuleiten.

Die reiche Beute, die es versprach, habe dennoch alle Wildheit wieder losgekettet, und ein warnender Diener, den er uns gesandt, müsse den Weg verfehlt haben, oder von den[157] umstellenden Wachten aufgefangen worden seyn. Für mich, Bertha, für mich hat er das Alles gewagt, gethan – muß mein ganzes Leben nicht in jedem Odemzug Sein bleiben?

Quelle:
Caroline von Wolzogen: Erzählungen. 2 Bände, Band 2, Stuttgart und Tübingen 1826, S. 148-158.
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