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[197] Unter sorglichen Gedanken an Ottomar, saß ich gestern Abend im kleinen Zimmer, den Vater erwartend, als ich ein Anklopfen an die Thür vernahm.

Ich öffnete und ein freundlicher Mann trat herein, mit dem sanftesten Gesicht und den klarsten blauen Augen, die ich je gesehen. Er war als Weltgeistlicher sehr einfach gekleidet. Philipp folgte ihm.

In glühender Ungeduld flog ihm mein Herz entgegen, aber sein Betragen gegen seinen Begleiter war so ehrfurchtsvoll, daß es mir gebot meine Gefühle zu bezähmen.[197]

Dieser schien sie zu errathen und sagte: Wir sind ins Heer gesandt zu Eurem edlen Vater, mein Fräulein, doch vor allem andern Geschäft ist uns aufgetragen die Botschaft an Euch zu überbringen. Entledige Dich Deines Auftrags, Bruder Philipp, während ich den Ritter aufsuche.

Er verließ uns; und mit welcher Freude erkannte ich Ottomars Handschrift auf dem Briefe, den mir Philipp überreichte:

Quelle:
Caroline von Wolzogen: Erzählungen. 2 Bände, Band 2, Stuttgart und Tübingen 1826, S. 197-198.
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