Geh hin! mein Heyland Jesu Christ!

[76] Lucä am 18ten der 31. Vers

Sehet, wir gehen hinauf gen Jerusalem etc.


Mel. Ein Lämmlein geht und trägt.


Geh hin! mein Heyland Jesu Christ!

Geh hin nach Salems Mauren,

Wo deine Feinde jetzt mit List

Und Bosheit auf dich lauren.

Geh hin! dein Kampf-Platz ist dir nah,

Die Leidens-Stunde ist nun da,

Damit auf dieser Erde

Des Vaters Zorn von Ewigkeit

Zu unsrer Seelen Trost und Freud,

Durch dich vollendet werde.


Geh hin! und schwitze warmes Blut,

Laß dich die Angst entstellen!

Empfinde Gottes Zorn und Glut,

Und alle Macht der Höllen.[76]

Herr! dieses Leiden tröstet mich,

Wenn mich die Hölle mächtiglich

Will peinigen und plagen.

Ja, dieser Kampf hilft mir in Noth,

In Pein und Quaal, ja selbst im Tod

All meine Angst ertragen.


Geh hin, mein liebster Seelen-Freund!

Und laß dich gerne binden,

So wird an mir der arge Feind,

Nicht leichtlich Herrschaft finden.

Herr! deine Bande drücken dich,

Sie sind mein Schmuck, und können mich

Von Sattans Strick und Ketten;

Von Mosis Fluch und Finsterniß,

Dieß weiß und glaub ich ganz gewiß,

Und von der Höll erretten.


Geh hin! mein Heil! und stelle dich

Den Jüden und den Heyden.

Herr dein Verhör das tröstet mich

In meinem Sünden-Leiden.

Hällt Tod und Höll, und Sattan mir

Gesetz und Straf und Sünde für,

So schützt mich dein Verklagen.

Dieß wiederstehet dem Gericht

Und Gottes Zorn, und läßt mich nicht

In meiner Angst verzagen.


Geh hin! mein treuer Herr und Gott!

Und laß dich da verspotten.

Hier will man sich zu deiner Noth

Mit Macht zusammen rotten.

Schmach, Hohn und Speichel warten dein,

Soll dieses deine Ehre seyn?[77]

O König aller Ehren!

Doch steh es aus: denn deine Schmach,

Dein Hohn zieht mir die Ehre nach.

Dort werd ichs sehn und hören.


Geh hin! mein Gott! laß deinen Leib

Mit Schläg und Striemen färben.

Durch dieses läßt du Mann und Weib,

In keinem Kreuze sterben.

Herr! deine blutge Dornen-Kron

Erwirbt mir der Gerechten Lohn,

Dein Rohr die Sieges-Palmen.

So sing ich denn in meiner Quaal;

Ich steh und dichte bey dem Pfahl

Der Geißlung frohe Psalmen.


Geh hin! mein Seelen-Bräutigam!

Zum Ort der armen Sünder;

Stirb hier als ein gedultigs Lamm

Vor alle Adams Kinder.

Hier mache durch dein strömend Blut

Den zorngen Vater wieder gut,

Und tilg der Höllen Flammen.

So knien wir denn allerseits,

Mit stiller Andacht unters Kreuz;

Nichts kan uns mehr verdammen.


Geh hin! mein Freund! und laß dich nun

In Josephs Grabmaal senken;

Laß meine Sünde bey dir ruhn,

So darf kein Fluch mich kränken.

Geliebter Jesu! deine Kluft

Die heiliget auch meine Gruft

Und läßt mich freudig sterben.

Mein Hingang in das dunkle Grab,[78]

Nimmt mir wie dir das Leiden ab,

Und läßt mich Kronen erben.


Geh hin! und steh von Toden auf!

Brich durch, und triumphire!

Geh, nimm zum Vater deinen Lauf,

Und neben ihm regiere.

Dein Durchbruch Jesu! öfnet mir

Dereinst auch meine Grabes-Thür,

Und heißt mich zu dir kommen.

Da werd ich auch wie du verklärt,

Da seh ich, und mir wiederfährt

Die Herrlichkeit der Frommen.


Quelle:
Sidonia Hedwig Zäunemann: Poetische Rosen in Knospen, Erfurt 1738, S. 76-79.
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