Als die Hochwürdige und in Gott andächtige Frau Maria Eleonora Sontatagin, Priorin des Jungfräulichen Closters zu Sanct Martin des H. Bernhardi Ordens, zur Aebtißin mit gewöhnlichen Solenitäten gekrönet wurde

[407] Den 11ten Wintermonat 1736.


In fremden Namen.


So ists: Die Tugend siegt und schwinget sich empor;

Ihr Adel ist gerecht; ihr Schimmer bricht hervor,

So, wie der Sonnen Glanz, der Nacht und Wolken trennet,

Und an dem Horizont mit leichten Flammen brennet.

Wo lebt so leicht ein Mensch, der nicht mit größten Fleiß

Auf seine Wohlfahrt denkt, und unter Müh und Schweiß

Sein Glück zu fordern sucht? und gleichwohl wird man finden,

Daß ihrer wenige den rechten Weg ergründen,

Der zum Vergnügen führt; das macht der meiste Theil

Bedenkt nicht, was er thut; verscherzt wohl gar sein Heil,[407]

Indem er säumig ist, die Mittel zu entdecken,

Die gleichwohl nöthig sind, wenn er sein Glück erwecken

Und ruhig leben will. Dieß Laster ist gemein,

Und zeigt sich überall; will einer glücklich seyn/

So muß er sich gewiß mit aller Macht bestreben,


Den falschen Schein zu fliehn und tugendhaft zu leben.

Dieß ist der rechte Weg, dieß ist die rechte Bahn,

Auf der man seinen Zweck gar bald erreichen kan,

Dieß Mittel ist bewährt, und kan uns nie betrügen;

Durch dieses können wir die Mißgunst selbst besiegen.

Ein Lastervoller Mensch, der sich an dem ergötzt,

Was böß und schändlich heist, wird niemahl hoch geschätzt;

Und wär er noch so reich; er wird verachtet bleiben.

Ja wüßt er sein Geschlecht vom Cäsar herzuschreiben;

Und wär er über dieß von Englischer Gestalt;

Dieß wiederstreit ich nicht, daß mancher durch Gewalt

Sich schrecklich machen kan, so, daß man ihn verehren

Und heimlich fürchten muß; allein wie will er wehren,

Daß ihm der Unterthan in seinen Herzen flucht,

Und von der Tyranney sich loß zureissen sucht;

Auch Nero konnte nicht bey seiner Macht bestehen,

Und mußte noch zuletzt erbärmlich untergehen,

Dem doch ein Kayserthum die größte Ehre gab;

Sein Blutdurst brachte ihn noch vor der Zeit ins Grab;

Wer wolte wohl mit Recht ein solches Herze lieben,

Das nichts mehr sucht und wünscht; als böses auszuüben?

Es ist und bleibt verhaßt. Die Tugend nur allein

Erwirbt sich Ehr und Ruhm, und kan versichert seyn,

Daß man ihr Kränze flicht, die ohne Ende grünen,

Und als ein schöner Schmuck der Welt zur Reitzung dienen,

Der Tugend nachzugehn, den Laster-Steg zu fliehn,

Sich aller Uppigkeit und Bosheit zu entziehn,

Und also gleichen Ruhm und Ansehn zuerlangen,

Mit welcher nur allein die Tugendhaften prangen.

Wer nichts als gutes thut; den Nächsten nicht betrübt,

Der wird von jedermann recht inniglich geliebt,

Nicht aus verhaßten Zwang: o nein! aus freyen Willen.

Die Regung läßt sich nicht in unsrer Seele stillen,

Es treibt uns die Natur zu dieser Liebe an:

Dieweil man nimmermehr die Tugend hassen kan,[408]

Es sey denn, daß ein Mensch, der menschlich leben solte,

Den angebohrnen Trieb durchaus verläugnen wolte.

Hochwürdge Frau! Du bist der Tugend Ebenbild;

An Dir wird dieser Satz, den ich berührt, erfüllt:

Man liebt und ehret Dich, weil deine seltne Gaben

Vor vielen tausenden den größten Vorzug haben.

Wir wissen allesamt, mit was vor Frömmigkeit

Du deinen Wandel führst; Dein Unschuld-volles Kleid

Das deine Achsel trägt, kan uns ein Beyspiel geben

Von deinem stillen Geist und Unschuld-vollem Leben.

Wem ist wohl unbekannt, mit was vor Lieb und Treu

Du deinen Gott verehrst? wie streng dein Leben sey?

Mit was vor süsser Art du jedermann begegnest;

Mit was vor Freundlichkeit du deinen Nächsten segnest.

Die Demuth ist dein Schmuck; kein eintzger Tag vergeht,

Da nicht dein mildes Herz den Armen offen steht.

Du bist nur stets bemüht was Gutes auszuüben,

Dieß bringt dir Ehr und Ruhm; dieß zwingt uns Dich zu lieben.

Der Orden, den du zierst, hat dieses längst erkannt,

Drum setzt er heute Dich in einen solchen Stand,

Der nur vor Würdige, wie man dich sieht, gehöret;

Dieß ist der Tugend Lohn; so wird ihr Schmuck verehret.

Du wirst als Aebtißin an diesem Tag gekrönt.

Wornach sich dein Convent, schon lange Zeit gesehnt;

Es freuet sich, durch dich regiert, geführt zu werden,

Dieß zeigt der Jungfern Herz durch Worte und Geberden.

Ich bin im Geist vergnügt bey dieser edlen Wahl;

Die Wünsche, so ich thu, sind ohne alle Zahl,

Ich weiß, Gott wird dir stets ein höchst-beglücktes Leben,

Ein recht vergnügtes Herz, und hohes Alter geben.


Quelle:
Sidonia Hedwig Zäunemann: Poetische Rosen in Knospen, Erfurt 1738, S. 407-409.
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