Die Gelehrsamkeit, als das wahre Mittel aus welchem Ehren-Stellen zuerlangen. Als mein Hochgeehrter Herr Schwager Herr Kunad, der Philosophie und Medicin Doctor, von Ihro Hochfürstl. Durchlaucht. zu Sachsen-Weymar, zum Stadt-, Land- und Bergwerks-Physicum in Ilmenau gnädigst ernennet wurde

[386] Im Christmonat 1735.


Der, welcher Finsterniß und Licht,

Den Erden-Creis, die Welt gebaut;

Der alles vor der Zeit sehr weißlich eingericht,

Daß man die Spuhr der Allmacht schauet.

Derselbe hat mit Vorbedacht

Dem Menschen die Vernunft gegeben,

Daß er erkennt und sieht, was ihm in diesem Leben

Die Wohlfarth bringen kan, und was ihn glücklich macht.

Er giebt ihm den Verstand, und lässet ihn ergründen,

Wodurch er hier sein Glück kan finden.


Der Mensch hat dieß kaum eingesehn,

So läßt er gleich den Vorsatz spühren;

Mir soll der edle Fleiß stets vor den Augen stehn,

Ich will mein Haupt mit Weisheit zieren.

Dann wird die Last ganz Federleicht,

Die Tages-Stunden schnell verstreichen,

Der Augen Munterkeit will in der Nacht nicht weiche,

Wo mehr das Oel und Schweiß als Wein die Finger feucht.

Was Weisheit, Kunst und Witz verborgen und verstecket,

Das wird hier klärlich aufgedecket,
[386]

Dann freut sich die Gelehrsamkeit,

Daß sie kan ihren Zweck erlangen.

Sie will, sie wird und muß und kan zu aller Zeit

Wie Gold und Diamanten prangen.

Ihr Licht kan nicht verdunkelt seyn,

Und ihre Strahlen bleiben lichte.

Wer sie besitzt und trägt, desselben Angesichte

Verblendet nicht so leicht ein falscher Strich und Schein.

Es schwinget sich sein Geist mit Adlers gleichen Flügeln,

Nur über sich nach hohen Hügeln.


Drum folgt gemeiniglich daraus,

Daß sie den, der ihr Feuer spühret

Vergnügt und wieder liebt, und in der Ehre-Haus,

Ja, auf desselben Gipfel führet.

Sie weis das Thor der Herrlichkeit,

Die Ehren-Pforte aufzuschliessen:

Sie läßt dem, der sie liebt, der Fürsten Huld geniessen;

Sein Ruhm wird stets durch sie vermehrt und ausgebreit.

Wer der Gelehrsamkeit stets eifrig nachgegangen,

Den siehet man in Ehren prangen.


Wer diesen Satz zu leugnen tracht,

Der kan alhier ein Beyspiel schauen.

Er gebe jetzt auf dich, Geliebter Freund! nur acht,

So wird er meinen Worten trauen.

Gelehrter Mann! was Welschland zeigt,

Und was Egypten weis und nennet,

Was Griechenland erzehlt, das hast du so erkennet,[387]

Daß mancher Bücher-Krahm vor deinem Munde schweigt.

Hyppocrates, Galen, die leben noch jetzunder

In dir, du thust fast gleiche Wunder.


Dieß hat ja Sachsens Held August

Gehört, gesehen und vernommen,

Deßwegen sucht Er dich, Er liebt dich, und du must

Nun in sein Land mit Ehren kommen.

So tritt die Ehren-Aemter an,

Die Dir Dein Herzog anvertrauet.

Der, welcher alles thut, und welcher alles schauet,

Der segne Deinen Fleiß und Deines Fußes Bahn.

Ich höre schon bereits Hygäens Söhne singen:

Du wirst Dich bald noch höher schwingen.


Quelle:
Sidonia Hedwig Zäunemann: Poetische Rosen in Knospen, Erfurt 1738, S. 386-388.
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