Herr – – – da dein Auge heut das Neue Jahr erblickt, wird dir von bekannten Händen dieses Blätgen zugeschickt

[296] 1734.


Wie sich der Tag und Jahre-Zahl,

In nahen und entfernten Ländern,

Auf den gewölbten Erden-Saal

Verkehren und gar bald verändern;

So ändert sich der Menschen Glück;

Bald rückt es fort, bald gehts zurück;

Licht, Fruchtbarkeit und Finsternissen,

Krieg, Theurung, Unglück, Friedens-Zeit,

Und was erschrecket und erfreut,

Wird meinen Satz bestärken müssen.


Aurora kommt zwar oftermahl,

Und beut uns einen güldnen Morgen;

Allein auch mit des Seigers-Zahl

Vermehren sich gar oft die Sorgen.

Eh wir die Sonne recht erblickt;

So wird der Nord-Wind abgeschickt,

Der macht den Hoffnungs-Klee zunichte.

Geht schon ein Freuden-Sterngen auf;

So folgen zehn Cometen drauf,

Und die verfinstern das Gesichte.


Wie flüchtig und veränderlich

Sind doch die menschlichen Gedancken?

Kein Halm, (wer wiederleget mich?)

Kan so geschwind und leichte wanken.

Zwar spricht ein Großmuthsvolles Blut:

Kein Unglück nimmt mir meinen Muth,

Ich will bey Glück- und Unglücks-Wellen;

Bey Sturm und Stoß; bey Sonnenschein[296]

Beständig, unbeweglich seyn,

Und nie mein Angesicht verstellen.


O wankelmüthger Geist und Sinn!

Wo bleiben deine Helden-Kräfte?

Der erste Anfal wirft dich hin,

Die Furcht vertrocknet deine Säfte.

Kaum will ein kleines Lüftgen wehn;

So wilst du schon verzweifelt stehn.

Wie? lässest Du bey leichtem Knallen,

Bey einem kurzen Sturm und Stoß,

Von deinen Muth so plötzlich loß?

Wie? ist dein Vorsatz umgefallen?


Du Großmuths-voller Sagarit,

Wer will, wie du, den Muth behalten?

Darius, wer folgt deinem Tritt?

Wer kan wohl so beherzt erkalten?

Pompejus hält den Unglücks-Strauß

Standhaftig auf dem Nachen aus:

Und Agag geht getrost zum Sterben.

Kein Unglücks-Tag, kein Schmerzens-Jahr,

Macht eure Kleinmuth offenbar.

Wer wird doch eure Tugend erben?


Man spricht, daß diese Jahres-Zeit

Sehr viel Verändrung mit sich bringe.

Nicht nur den Krieg, der uns schon dräut.

Nein, noch viel andre harte Dinge.

Der Friede würde angetast;

Die Meinung ist bereits gefaßt,

Das Unglück würde höher steigen.

Es schmeichelt sich hierbey der Held,

Und glaubt, nun würden in dem Feld

Sich schöne Ehren-Palmen zeigen.
[297]

Ich bin gewiß, daß dieses Jahr,

Dir auch wird eine Aendrung bringen.

Doch nicht zum Fall und zur Gefahr,

Denn alles muß dir wohl gelingen.

Mich dünckt, es ruft die Ehre schon:

Ich baue dir den Ehren-Thron,

Und will dich mit Vergnügen krönen.

Die Zeit stimmt auch der Ehre bey,

Und spricht ohn alle Heucheley:

Man zehlt dich zu Fortunens Söhnen.


Apollo windet schon den Kranz

Der deine Schläfe soll bezieren.

Selbst Meditrinens Augen-Glanz

Will dich zum Palmen-Hügel führen,

Damit das ehrenwürdge D

Hinfort vor deinen Namen steh.

O Aendrung, die dich kan erfreuen!

Ich wünsche dir zwar kurz, doch gut:

Gott nehme dich in Schuz und Hut,

Und lasse stets dein Werck gedeyen!


Quelle:
Sidonia Hedwig Zäunemann: Poetische Rosen in Knospen, Erfurt 1738, S. 296-298.
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