Der Fuchs und der Habicht

[82] Ich möchte doch wohl von dir wissen,

(Hub einst, gedrungen vom Gewissen,

Der Fuchs zu einem Habicht an)

Was dir das Taubenvolk gethan,

Daß du so oft auf sie ergrimmst,

Und sie zu deinem Raube nimmst?

Der Habicht sprach: Kann dir's wohl sagen!

Man hat das Amt mir aufgetragen,

Auf Recht und Billigkeit zu sehn;

Als Richter jegliches Vergehn

Scharf zu bestrafen; ohne Schonen

Jedwedem nach Verdienst zu lohnen.

Man muß den Tauben strenge seyn,

Sie fressen Waizen, Erbsen, Lein

Und ließe man sie stets so walten,

Der Landmann würde nichts behalten,

Gut! (sprach der Fuchs) das Ding hat Schein;

Doch warum strafst du nicht den Weih'n,

Und Geier, Adler, Trappen, Raben,

Die so viel Korn zu Schande traben?

Die armen Tauben trifft dein Mord,

Und jenen sagst du nicht ein Wort.[83]

Die sind zu stark, (erwiedert ihm

Der Habicht) voller Ungestüm

Würd' ihre Wuth vereint mich beißen,

Und mich vielleicht in Stücken reißen.

Du strafst ja auch den armen Hasen,

Der auf dem allgemeinen Rasen

Sonst nichts als Gras und Kräuter ißt,

Und schonst des Wolfs, der Lämmer frißt!

Wir sind hierin wohl gleiche Brüder;

Man schonet uns, wir schonen wieder.


Quelle:
Just Friedrich Wilhelm Zachariä: Anthologie aus den Gedichten von J. F. Wilh. Zachariä, Hildburghausen/ New York 1850–55, S. 82-84.
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