Zweiter Gesang

[19] Kaum beherrschte Lisette nunmehr das eisame Zimmer

Unumschränkt und allein, so nahm sie die Maske der Trauer

Von dem Gesicht, und war nicht mehr der Seufzer Rosaurens

Stets gefälliges Echo. Sie warf auf den Leichnam des Katers,

Den sie so sehr im Leben gehaßt, zufriedene Blicke.

Also schaut der würgende Sieger zufrieden in's Schlachtfeld;

Weidet die Augen am Blut der Erschlagenen; die wiehernden Rosse

Tragen ihn hoch auf Leichnamen her. – Indem die Posaune

Siegender Heerschaaren um ihn ertönt, so dünkt er ein Gott sich.

Höhnisch stieß die erbitterte Zofe den blutigen Leichnam[20]

Mit dem Fuß, doch riß sie vorher mit entweihenden Händen

Von dem Halse den blendenden Purpur, mit silbernen Blumen,

Und mit Laubwerk gestickt; besah ihn mit geizigen Blicken,

Rollt ihn zusammen und sprach: Dem Himmel sey Dank, daß du endlich

Deinen verräth'rischen Hals gebrochen, verworf'nes Geschöpfe!

Wohl mir, daß ich dich todt, du falsche Bestie, sehe!

O, wie bin ich so sicher nunmehr, daß künftig mein Fräulein

In dem Schooße dich wiegt und dich aus Zärtlichkeit küsset.

Pfui! wie konnten die schönsten Lippen so zärtlich dich küssen,

Und wie konnte die weicheste Hand dein Fuchshaar so streicheln!

Geh' nun hin, du hungriger Räuber, und friß mir den Braten,

Oder das braune Ragout, das ich vom Munde mir sparte!

Geh' nun hin und würge dir Tauben, und hole dir ferner

Papageyen zum leckeren Fraß! es sey dir erlaubet!


Also spottete sie des armen getödteten Murners.

O, wie plötzlich ändern sich nicht die gleißenden Reden[21]

Eines veränderten Hofs, der nichts mehr fürchtet und hoffet!

Jetzt eröffnete Lisette das Fenster; sie fasset den Körper

Bei dem hintersten Bein, und wirft ihn zum Fenster herunter

Auf den schimpflichen Mist. So stürzten die Statuen eh'mals

Eines Tyrannen herab; so ward das Schrecken der Römer,

Nun ein verstümmelter Rumpf, in faule Kanäle geschmissen.


Fern vom traurigen Zimmer befand sich indessen Rosaura

Bei dem gütigen Alten, der sie mit holden Gesprächen,

Von anmuthigen Reisen in's Bad, zu trösten bemüht war,

Ihr Geschenke versprach von neuen, modischen Stoffen,

Und mit Soucis, und Lila, und Dauphine sie erfreute.

Muntrer kam sie zu ihrem Gemach; des Lieblings vergessend,

Denket sie nicht an sein Grab, und setzt zum Putze sich nieder.

Schachteln gingen da auf, und Büchsen wurden eröffnet;

Eisen glühten in schwarzen Vulkanen, und Wolken von Puder

Wälzten sich gegen den Tag; dann rollte die rasselnde Kutsche[22]

Glänzender Fremden über den Hof. Es dampfte die Küche

Hohen Geruch von Braten, Pasteten und kräftigen Brühen.

Eine muntere Tafel, von leichten Scherzen umflattert,

Schmauste den langen Nachmittag durch; die hellen Pokale

Taumelten unter den Junkern herum, bis durch die Gewölke

Freundlich der Abendstern blinkte; da unterdessen das Fräulein,

Von der horchenden Schaar am silbernen Flügel umringet,

Mit dem holden Gesang die eilenden Stunden verkürzte.

So ward alles Leid und alle Trauer vergessen.


Und nun eilte bereits die murrende Seele des Katers

Zu der Hölle hinab. – Verzeiht es, Stygische Mächte

Ihr Beherrscher der Seelen, ihr einsamen Schatten; du, Chaos,

Phlegeton, und ihr öden Behausungen, daß ich es wage,

Vor der Lebenden Blick des Abgrunds Tiefen zu zeigen,

Murner wandelte fort durch dicke Cimmerische Nächte

Ueber Pluto's finstre Gefilde. Der Vorhof der Hölle[23]

Schlang ihn ein. Da wohnten die Klagen, die räch'rischen Sorgen,

Bleiche, tödtliche Seuchen, das traurige Alter, der Hunger,

Armuth und Furcht. Viel scheußliche Larven, der Krieg und die Zwietracht

Mit dem Schlangenhaar hauseten hier. In rauschenden Hainen

Dunkeler Ulmen flatterten da die schrecklichen Träume.

Schaarenweis gingen hier auch viel schreckende Ungeheuer,

Wilde Centauren, Gorgonen, Hyänen und schmutzige Harpyen.

Bang und zitternd eilete Murner durch diese Gestalten

Zu den Stygischen Ufern, und wallte verlassen und traurig

Am Gestade des dunkeln Cocytus. Es brausten die Wasser

Unaufhaltsam und wild zu den Pforten des Todes hinüber.

Durch sie fuhr der finstere Charon; ein schmutziger Alter,

Dessen grauer, verworrener Bart den Gürtel herabfloß.

Mürrisch saß er im Kahn und steuerte langsam sein Fahrzeug

Gegen die brausende Fluth zum Ufer, wo Schaaren von Seelen

Zum Gestade sich drängten. Hier gingen unter einander

Fürsten, Komödianten und Dichter, und Huren und Nonnen,[24]

Goldmacher, Räuber und Prokuratoren, und Aerzte; mit ihnen

Todtengräber, nebst lachenden Erben. Auch gingen hier Seelen

Vornehmer Damen, mit Seelen von Hunden und Katzen, und Vögeln;

Da die Schatten indeß von ihren verachteten Kindern

Einsam an dem Gestade zur Mutter die Stimmen erhuben,

Welche sie vornehm verließ und lieber die Seele des Hündchens,

Ihres Vergnügens im Leben in Charons Nachen mit wegnahm,

Wie im Herbste der Nord die gelbgewordenen Wälder

Brausend durchfährt, und dicke Wolken von fallenden Blättern

Ueber die Thäler verstreut; und wie an Thulens Gestaden

Schreiende Schaaren von wandernden Vögeln die Wogen bedecken:

Also stürzten die Schatten zum Ufer, und streckten die Hände

Bittend zum Charon empor, der einige Bittende einnahm,

Aber andre mit schwankendem Ruder vom Kahne zurückhielt.

Denn der mürrische Greis führt keine verstorbenen Seelen

Ueber die Stygischen Wasser und hohen Cocytischen Fluthen,

Wenn nicht ihr Körper auf Erden die letzten Ehren erhalten[25]

So ward auch der Schatten des Katers vom Fahrzeug entfernet.

Traurig ging er am Ufer herum, und hoffte vergebens

Ueber den Fluß zu kommen. Er sprang zuletzt in die Fluthen,

Und versuchte herüber zu schwimmen; doch Charon ergriff ihn

Mit dem mächtigen Ruder, und schlug ihn zum Ufer zurücke.

Voller Verzweiflung mischt' er sich d'rauf zu bleichen Gespenstern,

Welche zur Oberwelt eilten, und kam mit ihnen von Neuem

Zu dem Schlosse zurück, wo sein verachteter Leichnam

Auf dem Miste noch lag, dem Knecht und der Viehmagd zum Abscheu.


Quelle:
Just Friedrich Wilhelm Zachariä: Anthologie aus den Gedichten von J. F. Wilh. Zachariä, Hildburghausen/ New York 1850–55, S. 19-26.
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