An die tugend-folkommene Jungfrau/ Jungf. Marien Vermeulen/ als Sie itzund den lieblichen Braut-nahmen entfangen

[327] 1.

Was hall ist dis? was schallt so laut?

Sie sage miers/ o schöne Braut/

o klügste Tochter Ihres standes:

wie? ists der widerruf des neuen landes?

da in der stoltzen Amstel-stadt

Ihr andres Hertz sein bleiben hat.


2.

O nein. es ist der Weisheit schall/

der ädlen Mutter froher hall/

weil sie so weise zucht gebohren/

die nicht märkurisch ist/ noch das erkohren

was dieses volk der märkte kuhr/

das redlich-scheinen wählet nuhr.


3.

Sie wählet andrer gaben zier/

die sich erhöben gantz von hier

und bei den sternen-saaten schweben;

Sie wählt/ o kluge wahl! mit Dem zu leben/

Der alzeit lebet/ wan er stirbt/

und dessen nahme nie verdirbt.[328]


4.

Ihr sinn wird aus der gruft entzükt.

Sie lässt das schwache volk gebükt

nach schnödem gold' und silber kriechen/

das auf der erden klebt/ und manchen flüchen

der Weisen unterworffen liegt/

ja das sich gleichsam prahlend schmiegt.


5.

Es mus sich schmiegen/ ob es schohn

ein stündlein prahlt/ und raubt den lohn

der ehre/ der sonst ungezwungen

der Weisheit nuhr fällt zu von allen zungen;

der Weisheit/ die bei Fürsten wohnt/

und selbst durch Fürsten wird belohnt.


6.

Zugleich wird Weisheit hier beglükt;

weil Ihr das glük ein Lieb zuschikt/

o weise Braut/ Dem Ehr' und günste

so mancher Fürst erzeugt für seine künste;

Der mit im Weisen Rahte sitzt/

und unter diesen Sternen blitzt.


7.

O kluge Weisheit! großes glük!

Der unverfälschten Liebe strük

verknüpft zwo unbeflekte seelen/

die sich mit eitler sorg und last nicht kwehlen.

Die misgunst wühte/ wie sie wil/

so steht doch nuhn ihr glükke stil.


Quelle:
Philipp von Zesen: Sämtliche Werke, 17 Bände, Band 1, Berlin/ New York 1970 ff., S. 327-329.
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