Cantata

[138] Aria.


Fragt mich nicht, ihr schönsten Augen,

Was mein Hertz in Fesseln schlägt;

Eure Reitzungs-vollen Blicke

Raubten mir der Freyheit Gold,

Wann ihrs gleich nicht haben wolt,

Nehm ich es doch nicht zurücke,

Denn dergleichen Sclaverey bringt mir Lust und eitel Ruhm,

Warlich ich vertauschte sie nicht mit einen Käyserthum.

Da Capo.


Jedoch was hilfft es mir,

Daß ich mit meiner Ketten-Last,

Die du, Stellanie, mir angeleget hast,

Vor aller Welt so triumphire,

Da doch dein Hertz, wie ich verspühre,

Mir leider zu verstehen gibt,

Daß es nur hohe Seelen liebt.


[139] Aria.


Schweigt, ihr unbesonnen Lippen!

Und verbeist Verlust und Schmertz

Gebt der Welt nicht zu verstehen,

Daß ihr müßt in Ketten gehen,

Denn sie treibt mit euch sonst Schertz.

Da Capo.


Ach zürne nicht, erlauchtes Götter-Bild,

Daß ich den Schmertz, der mich in meinen Banden

Bisher gedrückt, so frech und frey gestanden;

Ich weiß, daß Crito nichts in deinen Augen gilt,

Dein Strahl, dem man nicht leicht entfliehen kan,

War einig Schuld daran.

Du kanst mir doch, Erzürnte, nicht verwehren,

Daß ich bey deinen Haß dich dennoch muß verehren.


Aria.


Fluche nicht auf meine Liebe,

Weil ich es nicht ändern kan,

Denn der Ursprung meiner Triebe

Fieng von deiner Schönheit an.[140]

Held- und Riesen müssen zittern,

Weil ein einger Blitz von dir

Muß sogleich ihr Hertz zersplittern,

Engels-Kind, vergib es mir.

Quelle:
Christiane Mariane von Ziegler: Versuch In Gebundener Schreib-Art, Leipzig 1728, S. 138-141.
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