1936.

[1850] Mel. Wie schön leuchtet der etc.


1.

Verwundtes Lamm, mein Herr und Gott! ich liebe deine wunden roth; ich habe sie zur weide; ich bin wol ein sehr armes kind, das kaum zum ausdruk worte findt; doch ist mein herz voll freude, daß ich selig durch die wunden, und gebunden an das Lammes-herze meines bräutigammes.

2.

Ich sehe meine gnaden-wahl in dem vierfachen nägel-maal an händen und an füssen; und diese maale thue ich gebeugt und kind- und inniglich mit liebes-thränen grüssen. O ihr seyd mir alle stunden, hole wunden! da ich made habe meine retirade.

3.

Besonders in dem seiten-ritz da hab ich täubgen einen sitz, darin ich bin geborgen; und in der blutgen seiten-hohl geths meiner seele herzlich wohl, da ist sie ohne sorgen selig, frölich, sünderhaftig, muthig, saftig. Lamm, du herze! dieses alles macht dein schmerze.

4.

Ihr blutgen hände, segnet mich an geist und leib recht seliglich mit euren salbungs-säften; ihr füsse, die durchgraben sind, wenn ich mich sünderhaft drum wind, so merk ich eure kräfte. Seite, heute gib mir nahrung, heils-erfahrung, bis zum küssen; dann will ich dich erst geniessen.

5.

Indessen lebt mein herze dir, es brennt und sehnt sich für und für nach deinem tod[1850] und leiden. Der umgang mit dem schmerzens-mann, ist alles, was ich machen kan, bis leib und seele scheiden. Bis ich küß' dich, seiten-spalte, so behalte dir dein täublein, es ist nur ein armes stäublein.

Quelle:
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Ergänzungsbände zu den Hauptschriften, Band 2, Hildesheim 1964, S. 1850-1851.
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