1935. Das Gebet des Herrn

[1848] Mel. Jesus Christus blik dich an.


1.

Vater! itzo ist die zeit, deinen Sohn zu ehren; das gibt ihm gelegenheit, auch dich zu verklären.

2.

Darum hast du ihm erlaubt überm fleisch zu schweben1, daß er kan dem fleisch, das glaubt, ewigs leben geben.

3.

Und was ist das leben hie? Das ists: Wenn das seine zu Dir sagen kan: Eli! zu Ihm: Mein Gebeine!

4.

Weil Er auf der erde war, hat er dich gezieret, und die arbeit macht' er gar, drein du ihn geführet.

5.

Und dann, Vater! setztst du ihn wieder dir zur seiten, in den platz, den er vorhin hatte, vor den zeiten.

6.

Was durch dich zu ihm gebracht, und der welt entwandt ist, denen hat ers raus-gesagt, wie du ihm bekant bist.

7.

Sein geschöpf war alles dein, auch der Zwölfe seelen,[1848] und du hießst sie seine seyn: dein will ward ihr wehlen.

8.

Er hat sie so weit gebracht, daß sie seine haabe, ob er sie gleich selbst gemacht, nennen deine gabe.

9.

Alle sachen, die er gab, und die sie genommen, sahn sie an als eine haab, die von dir gekommen.

10.

Wußten sicherlich, daß er von dir hergeständet; glaubten, daß du ihn daher williglich gesendet.

11.

Für die bate dort das Lamm, nicht für alle leute; sondern für den gnaden-stamm, seiner siege beute.

Jes. 53.

12.

Was nun sein war, das ward dein, und an dich gewiesen: und was dein ward, das blieb sein, und er dran gepriesen.

13.

Er ist hinfort auf der welt nicht mehr zu erlangen, sie sind nun dahingestellt, weil er heimgegangen.

14.

Heilger Vater! mache du's, denn er schuff sie doch dir, daß nichts stört den Abba-gruß: daß sie Eins seyn wie Ihr.

15.

Da er annoch um sie war, nemlich hier auf erden, kont dein Vater-name zwar nicht verfremdet werden;

16.

Er erhielt dir damals schon, was ihm zugehörte, bis zum ungerathnen sohn, der die schrift bewährte.

17.

Aber eh er in dein reich ging, wars ausgesprochen, daß der jünger freud an euch bleib unterbrochen.

18.

Dein wort hab er sie gelehrt, wärn der welt zuwieder, weil das haupt ihr nicht gehört, noch auch seine glieder.

19.

Ihren heimgang woll er nicht, sondern vindicire sie von welt und bösewicht; denn sie wärn nicht ihre.

20.

In der wahrheit heilge sie, Vater! die ist dein wort. Er war dein gesandter hie: wo sie stehn, war sein ort.

21.

Er wards opfer-lamm für sie: und das that er freylich in der absicht, daß sie hie in Ihm würden heilig.

22.

Dieser aufgelegte fried geht sie nicht allein an, sondern was auf ihr'n credit an dich gläubig seyn kan.

23.

Daß sie alle Eines seyn, wie du, Vater! im Sohn: werden sich durch Euch gemein, Ein leib, Ein geist, Ein thron.[1849]

24.

So wirds von der welt erblikt, daß du ihn geschikket, und sie an dein herz gedrükt, wie du ihn gedrükket.

25.

Vater! was du ihm geschenkt, da ist sein betreiben, daß es, an ihn angehenkt, bleibt, wo er wird bleiben.

26.

Daß es sey den ganzen glast aller seiner gaben: weil du ihn geliebet hast, eh Ihr grund gegraben.

27.

Treuer Vater! der welt hie fremde wie die todten, doch er kennet dich, und die kennen deinen boten.

28.

Diesen leuten sagte er damals deine sachen, und wird ihnen dich nachher noch bekanter machen.

29.

Bis die liebe, die ihn schon auf dem schoos umfangen, ist in ihnen, und der Sohn in sie eingegangen.

Fußnoten

1 Richt. 9,9. Phil. 2.


Quelle:
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Ergänzungsbände zu den Hauptschriften, Band 2, Hildesheim 1964, S. 1848-1850.
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